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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der religiöse Hintergrund der Vrewsschen "Lhristnsmythe"

Kämpfen Frieden und Trost bringen könnte, reicht dies Gebilde der Professoraten
Studierstube nicht aus. Nur wo man mit ihn: handeln kann auf Du und Du, erfaßt
Gott wirklich die Herzen. Nur ein persönlicher Gott erfüllt das Bedürfnis des
Menschengemüth. Selbst ein Fetisch kann dem Menschen mehr sein als ein
Gott, der eigentlich nur der Mensch selbst und noch dazu unbewußt ist, unbewußt
seiner selbst und vor allem unbewußt der Ängste und Nöte des bewußten,
empfindenden, hilfesuchenden Ich. Drews kann sich auf den Buddhismus
berufen, die Religion, die ursprünglich überhaupt keinen Gott kennt, oder noch
besser auf den Brahmanismus, der, ähnlich wie Drews, ihn in den unbewußten
Tiefen des Selbst zu finden meint. Er kann behaupten, diese Religionen
bewiesen, daß das religiöse Gemüt keines Gottes, zum mindesten keines bewußten
Gottes bedürfe, und kann darauf hinweisen, daß diese Religionen ein großes
Gebiet erobert und durch Jahrtausende hin behauptet haben. Aber er wird
auch zugeben müssen, daß diese Religionen nicht in ihrer ursprünglichen, philo¬
sophischen Gestalt ihren Siegeszug unter den Völkern angetreten haben, sondern
daß der leere Raum, der durch das Fehlen eines bewußten, persönlichen Gottes
geschaffen war, sich mit dem wüstesten Aberglauben anfüllte, daß Buddhismus
und Brahmanismus, wie wir sie als Volksreligionen finden, zwar nicht einen
Gott, dafür aber ein ganzes Pantheon der abenteuerlichsten Götterpersönlichkeiteu
besitzen. So fürchten wir, daß die Massen, die vielleicht dem Drewsschen
Pantheismus zufallen, entweder seinen idealen Monismus nicht verstehen,
sondern ihn nur als ein neues Panier des Abfalls begrüßen, oder die reine
vom Philosophen geschaffene Gestalt desselben vergröbern und zu Aberglauben
verzerren werden.

Gegen den liberalen Protestantismus kehrt Drews die Spitze seiner Waffe.
Denn dieser ist der Gegner, der ihm am nächsten steht und von seinem Schwert
am leichtesten erreicht wird. Darin stehen der moderne historische Protestantismus
und Drews auf gleichem Boden, daß beide den Eintritt eines wunderbaren
Gottmenschen, wie die Schrift ihn verkündet, von vornherein für unmöglich
halten. Dieser Grundgedanke gibt ihren wissenschaftlichen Methoden den Zu¬
schnitt. Nur macht Drews von diesen Methoden radikaleren Gebrauch, und wir
müssen es den Streitenden überlassen, wer das streitige gemeinsame Terrain
gewinnen wird. Nur beiläufig wendet sich Drews gegen die positiv gerichteten
Christen, die überzeugt sind, in dem Christus des Evangeliums eben den
historischen Jesus zu haben. Teilweise nur entstammt die verhältnismäßige
Schonung, die er ihnen angedeihen läßt, einen: stillen Wohlwollen, weil sie doch,
wenn auch in einer bizarr erscheinenden Gestalt, noch die Idee des leidenden
Gottmenschen pflegen. Im letzten Grunde liegt ihre Position der seinen so fern,
daß er sie gar nicht für wert hält, sie mit weitergehender Ausführlichkeit zu
bestreiten. Sie scheinen ihm schon längst abgetan, überwunden von denselben
Gegnern, die zu vernichten er sich nun seinerseits anschickt. In der Tat, gegen
jene mit seinen Waffen zu streiten, lohnt sich für ihn nicht, diese Waffen


Der religiöse Hintergrund der Vrewsschen „Lhristnsmythe"

Kämpfen Frieden und Trost bringen könnte, reicht dies Gebilde der Professoraten
Studierstube nicht aus. Nur wo man mit ihn: handeln kann auf Du und Du, erfaßt
Gott wirklich die Herzen. Nur ein persönlicher Gott erfüllt das Bedürfnis des
Menschengemüth. Selbst ein Fetisch kann dem Menschen mehr sein als ein
Gott, der eigentlich nur der Mensch selbst und noch dazu unbewußt ist, unbewußt
seiner selbst und vor allem unbewußt der Ängste und Nöte des bewußten,
empfindenden, hilfesuchenden Ich. Drews kann sich auf den Buddhismus
berufen, die Religion, die ursprünglich überhaupt keinen Gott kennt, oder noch
besser auf den Brahmanismus, der, ähnlich wie Drews, ihn in den unbewußten
Tiefen des Selbst zu finden meint. Er kann behaupten, diese Religionen
bewiesen, daß das religiöse Gemüt keines Gottes, zum mindesten keines bewußten
Gottes bedürfe, und kann darauf hinweisen, daß diese Religionen ein großes
Gebiet erobert und durch Jahrtausende hin behauptet haben. Aber er wird
auch zugeben müssen, daß diese Religionen nicht in ihrer ursprünglichen, philo¬
sophischen Gestalt ihren Siegeszug unter den Völkern angetreten haben, sondern
daß der leere Raum, der durch das Fehlen eines bewußten, persönlichen Gottes
geschaffen war, sich mit dem wüstesten Aberglauben anfüllte, daß Buddhismus
und Brahmanismus, wie wir sie als Volksreligionen finden, zwar nicht einen
Gott, dafür aber ein ganzes Pantheon der abenteuerlichsten Götterpersönlichkeiteu
besitzen. So fürchten wir, daß die Massen, die vielleicht dem Drewsschen
Pantheismus zufallen, entweder seinen idealen Monismus nicht verstehen,
sondern ihn nur als ein neues Panier des Abfalls begrüßen, oder die reine
vom Philosophen geschaffene Gestalt desselben vergröbern und zu Aberglauben
verzerren werden.

Gegen den liberalen Protestantismus kehrt Drews die Spitze seiner Waffe.
Denn dieser ist der Gegner, der ihm am nächsten steht und von seinem Schwert
am leichtesten erreicht wird. Darin stehen der moderne historische Protestantismus
und Drews auf gleichem Boden, daß beide den Eintritt eines wunderbaren
Gottmenschen, wie die Schrift ihn verkündet, von vornherein für unmöglich
halten. Dieser Grundgedanke gibt ihren wissenschaftlichen Methoden den Zu¬
schnitt. Nur macht Drews von diesen Methoden radikaleren Gebrauch, und wir
müssen es den Streitenden überlassen, wer das streitige gemeinsame Terrain
gewinnen wird. Nur beiläufig wendet sich Drews gegen die positiv gerichteten
Christen, die überzeugt sind, in dem Christus des Evangeliums eben den
historischen Jesus zu haben. Teilweise nur entstammt die verhältnismäßige
Schonung, die er ihnen angedeihen läßt, einen: stillen Wohlwollen, weil sie doch,
wenn auch in einer bizarr erscheinenden Gestalt, noch die Idee des leidenden
Gottmenschen pflegen. Im letzten Grunde liegt ihre Position der seinen so fern,
daß er sie gar nicht für wert hält, sie mit weitergehender Ausführlichkeit zu
bestreiten. Sie scheinen ihm schon längst abgetan, überwunden von denselben
Gegnern, die zu vernichten er sich nun seinerseits anschickt. In der Tat, gegen
jene mit seinen Waffen zu streiten, lohnt sich für ihn nicht, diese Waffen


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[0584] Der religiöse Hintergrund der Vrewsschen „Lhristnsmythe" Kämpfen Frieden und Trost bringen könnte, reicht dies Gebilde der Professoraten Studierstube nicht aus. Nur wo man mit ihn: handeln kann auf Du und Du, erfaßt Gott wirklich die Herzen. Nur ein persönlicher Gott erfüllt das Bedürfnis des Menschengemüth. Selbst ein Fetisch kann dem Menschen mehr sein als ein Gott, der eigentlich nur der Mensch selbst und noch dazu unbewußt ist, unbewußt seiner selbst und vor allem unbewußt der Ängste und Nöte des bewußten, empfindenden, hilfesuchenden Ich. Drews kann sich auf den Buddhismus berufen, die Religion, die ursprünglich überhaupt keinen Gott kennt, oder noch besser auf den Brahmanismus, der, ähnlich wie Drews, ihn in den unbewußten Tiefen des Selbst zu finden meint. Er kann behaupten, diese Religionen bewiesen, daß das religiöse Gemüt keines Gottes, zum mindesten keines bewußten Gottes bedürfe, und kann darauf hinweisen, daß diese Religionen ein großes Gebiet erobert und durch Jahrtausende hin behauptet haben. Aber er wird auch zugeben müssen, daß diese Religionen nicht in ihrer ursprünglichen, philo¬ sophischen Gestalt ihren Siegeszug unter den Völkern angetreten haben, sondern daß der leere Raum, der durch das Fehlen eines bewußten, persönlichen Gottes geschaffen war, sich mit dem wüstesten Aberglauben anfüllte, daß Buddhismus und Brahmanismus, wie wir sie als Volksreligionen finden, zwar nicht einen Gott, dafür aber ein ganzes Pantheon der abenteuerlichsten Götterpersönlichkeiteu besitzen. So fürchten wir, daß die Massen, die vielleicht dem Drewsschen Pantheismus zufallen, entweder seinen idealen Monismus nicht verstehen, sondern ihn nur als ein neues Panier des Abfalls begrüßen, oder die reine vom Philosophen geschaffene Gestalt desselben vergröbern und zu Aberglauben verzerren werden. Gegen den liberalen Protestantismus kehrt Drews die Spitze seiner Waffe. Denn dieser ist der Gegner, der ihm am nächsten steht und von seinem Schwert am leichtesten erreicht wird. Darin stehen der moderne historische Protestantismus und Drews auf gleichem Boden, daß beide den Eintritt eines wunderbaren Gottmenschen, wie die Schrift ihn verkündet, von vornherein für unmöglich halten. Dieser Grundgedanke gibt ihren wissenschaftlichen Methoden den Zu¬ schnitt. Nur macht Drews von diesen Methoden radikaleren Gebrauch, und wir müssen es den Streitenden überlassen, wer das streitige gemeinsame Terrain gewinnen wird. Nur beiläufig wendet sich Drews gegen die positiv gerichteten Christen, die überzeugt sind, in dem Christus des Evangeliums eben den historischen Jesus zu haben. Teilweise nur entstammt die verhältnismäßige Schonung, die er ihnen angedeihen läßt, einen: stillen Wohlwollen, weil sie doch, wenn auch in einer bizarr erscheinenden Gestalt, noch die Idee des leidenden Gottmenschen pflegen. Im letzten Grunde liegt ihre Position der seinen so fern, daß er sie gar nicht für wert hält, sie mit weitergehender Ausführlichkeit zu bestreiten. Sie scheinen ihm schon längst abgetan, überwunden von denselben Gegnern, die zu vernichten er sich nun seinerseits anschickt. In der Tat, gegen jene mit seinen Waffen zu streiten, lohnt sich für ihn nicht, diese Waffen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/584>, abgerufen am 24.07.2024.