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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Stendhal (Henry Beyle)

wenn es geeigneter wäre, meinen Gedanken deutlicher zu machen." Auf diese
Weise erlangte seine Sprache eine Bestimmtheit und Plastik, die lateinisch anmutet,
und man versteht, daß Tacitus einer seiner Lieblingsschriftsteller sein konnte. Auch
an Macchiavelli erinnert sein Stil. schroff stellt er oft Beobachtung unvermittelt
neben Beobachtung. Man sieht ihn stets bemüht, das Wesentliche einer Sache in
einem Wort zu bezeichnen. Er malt nicht mit Worten und unterdrückt das zweite
Adjettivum gern, wenn das eine die Phantasie des Lesers zur Nachbildung kräftig
genug auffordert. Dafür strahlen seine Worte gewissermaßen einzeln für sich eine
eigentümliche Kraft geleisteter Denkarbeit aus, eine Erscheinung, die sich in der
deutschen Literatur in dem Grade nur bei Lessing findet. Den denkbar größten
Gegensatz bildet z. B, sein Stil zu dem Rousseaus. Bei Rousseau ist der Aus¬
druck intensiv ängstlich, oft ganz undeutlich zerfließend und doch wortreich, bei
Stendhal kühl plastisch, anschaulich umfassend und wortkarg. Stendhal versucht
keine Gefühle in Worte zu sperren, sie gleichsam mit ihnen herauszuschleudern,
er weiß, daß Worte nur bescheiden dienend sich dem Leben nähern können. Er
respektierte die Distanz, die die Sprache fordert. Glaubwürdig ist die Anekdote,
wonach er immer einige Seiten im Locke civil zu lesen pflegte, bevor er anfing
zu schreiben. Denn "heilig" war auch ihm (mit Hölderlin) jenes Quantum
Nüchternheit beim Künstler, das allein erst das Heraustreten der Phantasiegebilde
aus dem Dunkel des Unbewußten ermöglicht. Ihm lag beinahe alles daran, daß
der Ausdruck plastisch werde, ja er hat diesem Gebot das gar nicht kärglich vor¬
handene Lyrische seines Wesens bis auf einen kleinen Rest geopfert. Er unter-
drückte es in der Sprache oder ließ es nur latent bei der Sprachbildung mit¬
wirken. Die Sorge, das Gefühl möchte den Ausdruck verhindern, undeutlich
machen, ließ seinen scharfen Kunstverstand alles Impressionistische fernhalten. Man
muß diese Strenge bewundern, um so mehr, als sie sich bei Stendhal gegen eine
sehr empfindliche Sensibilität durchzusetzen hatte.

Verse hat Stendhal aber nicht geschrieben. Wie seinen großen Schuler
Naubert. so hinderte auch ihn ein zartes Schamgefühl an dieser persönlichsten
Form künstlerischen Bekenners.

Daß er Verse hätte bilden können, wird kaum jemand bezweifeln; aber sein
männlicher Geist hatte nur Befriedigung an der Darstellung ganzer Menschen und
der Mitteilung von Gedanken, denen der Reim keine Gewalt antun durfte. So
wurde er der Meister der.Prosa, ein Lehrer in der Kunst des Schreibens, und
man wird seine Schriften immer wieder vornehmen, wenn man sich über die
Bedingungen künstlerischen Sprachschaffens orientieren will. Ein Schriftsteller
kann eminent viel von ihm lernen. Mit welchem Nutzen würden z. B. viele
unserer gewandten Journalisten ihn studieren, wenn sie ihn lasen, um von ihm
on lernen. Freilich würde sich dann mancher von ihnen seiner Ärmlichkeit bewußt
werden. Denn nicht jeder kann einfach sein, ohne trivial zu werden. - Stendhal
konnte es.




Stendhal (Henry Beyle)

wenn es geeigneter wäre, meinen Gedanken deutlicher zu machen." Auf diese
Weise erlangte seine Sprache eine Bestimmtheit und Plastik, die lateinisch anmutet,
und man versteht, daß Tacitus einer seiner Lieblingsschriftsteller sein konnte. Auch
an Macchiavelli erinnert sein Stil. schroff stellt er oft Beobachtung unvermittelt
neben Beobachtung. Man sieht ihn stets bemüht, das Wesentliche einer Sache in
einem Wort zu bezeichnen. Er malt nicht mit Worten und unterdrückt das zweite
Adjettivum gern, wenn das eine die Phantasie des Lesers zur Nachbildung kräftig
genug auffordert. Dafür strahlen seine Worte gewissermaßen einzeln für sich eine
eigentümliche Kraft geleisteter Denkarbeit aus, eine Erscheinung, die sich in der
deutschen Literatur in dem Grade nur bei Lessing findet. Den denkbar größten
Gegensatz bildet z. B, sein Stil zu dem Rousseaus. Bei Rousseau ist der Aus¬
druck intensiv ängstlich, oft ganz undeutlich zerfließend und doch wortreich, bei
Stendhal kühl plastisch, anschaulich umfassend und wortkarg. Stendhal versucht
keine Gefühle in Worte zu sperren, sie gleichsam mit ihnen herauszuschleudern,
er weiß, daß Worte nur bescheiden dienend sich dem Leben nähern können. Er
respektierte die Distanz, die die Sprache fordert. Glaubwürdig ist die Anekdote,
wonach er immer einige Seiten im Locke civil zu lesen pflegte, bevor er anfing
zu schreiben. Denn „heilig" war auch ihm (mit Hölderlin) jenes Quantum
Nüchternheit beim Künstler, das allein erst das Heraustreten der Phantasiegebilde
aus dem Dunkel des Unbewußten ermöglicht. Ihm lag beinahe alles daran, daß
der Ausdruck plastisch werde, ja er hat diesem Gebot das gar nicht kärglich vor¬
handene Lyrische seines Wesens bis auf einen kleinen Rest geopfert. Er unter-
drückte es in der Sprache oder ließ es nur latent bei der Sprachbildung mit¬
wirken. Die Sorge, das Gefühl möchte den Ausdruck verhindern, undeutlich
machen, ließ seinen scharfen Kunstverstand alles Impressionistische fernhalten. Man
muß diese Strenge bewundern, um so mehr, als sie sich bei Stendhal gegen eine
sehr empfindliche Sensibilität durchzusetzen hatte.

Verse hat Stendhal aber nicht geschrieben. Wie seinen großen Schuler
Naubert. so hinderte auch ihn ein zartes Schamgefühl an dieser persönlichsten
Form künstlerischen Bekenners.

Daß er Verse hätte bilden können, wird kaum jemand bezweifeln; aber sein
männlicher Geist hatte nur Befriedigung an der Darstellung ganzer Menschen und
der Mitteilung von Gedanken, denen der Reim keine Gewalt antun durfte. So
wurde er der Meister der.Prosa, ein Lehrer in der Kunst des Schreibens, und
man wird seine Schriften immer wieder vornehmen, wenn man sich über die
Bedingungen künstlerischen Sprachschaffens orientieren will. Ein Schriftsteller
kann eminent viel von ihm lernen. Mit welchem Nutzen würden z. B. viele
unserer gewandten Journalisten ihn studieren, wenn sie ihn lasen, um von ihm
on lernen. Freilich würde sich dann mancher von ihnen seiner Ärmlichkeit bewußt
werden. Denn nicht jeder kann einfach sein, ohne trivial zu werden. - Stendhal
konnte es.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/553>, abgerufen am 28.12.2024.