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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

alles dies sinkt aber auch das Niveau der Jnfanterieoffizierskorps allmählich unter
das der anderen Waffen hinab. Die Kommandeure zahlreicher Jnfanterieregimenter
können kaum noch die Bedingungen aufrecht halten, die ihnen vom Kabinett vor-
geschriebenwerden. dürfen aber garnicht daran denken, an ihren Nachwuchs Ansprüche
zu stellen, wie es die Kommandeure der Feldartillerie tun dürfen, indem sie die
Ablegung der Abiturientenprüfung, höhere Zulagen und obendrein noch Abkunft aus
bevorzugten sozialen Schichten fordern können. Wird hier nicht Einhalt getan,
dann lassen wir die Zerstörung der Homogenität des Offizierkorps geschehen und
lassen eine automatische Zweiteilung sich vorbereiten, gegen die sich gerade
die maßgebenden Kreise sträuben, und die nur dann mit den Interessen des
Heeres in Einklang gebracht werden könnte, wenn sie zielbewußt von langer
Hand vorbereitet würde.

So bedenklich nun auch der Mangel an Ersatz für die Infanterie ist, so
wäre er schließlich technisch und im Hinblick auf unfer Unteroffizierkorps noch zu
überwinden. Was aber ihn und die gesamten Beförderungsverhältnisse geradezu
zu einer Gefahr macht, ja was die Kriegsbereitschaft der Infanterie in
Frage stellt, das sind die Nebenerscheinungen. Der Geist in den Offizierkorps
könnte unter den bestehenden und sich immer schärfer zuspitzenden Verhält¬
nissen schwer leiden, wenn er noch nicht gelitten haben sollte. Man täusche sich
über diese Gefahr nicht etwa mit der Bemerkung hinweg, daß die Jnfanterie-
offiziere auch unter den bestehenden ungünstigen Verhältnissen ihre Pflicht tun
und daß unsere Infanterie noch immer auf voller Höhe stehe. Noch ist dies
zweifellos der Fall. Trotz eines außerordentlich starken Abganges von Haupt¬
leuten, Stabsoffizieren und Generalen, der auch jetzt schon bei der vom Herrn
Kriegsminister zugestandenen Überalterung der Offiziere im Falle der Mobil¬
machung eintreten müßte, würde unsere Infanterie jetzt noch den höchstgespannten
Anforderungen genügen. Wie aber wird sie in fünf Jahren dastehen? Wie, wenn
ein neues Quinquennatsgesetz wieder wegen mangelnder Mittel die Entwicklung
der Armee nicht in der erwünschten Weise fördern kann? Unter dem
immerwährenden Druck, der nicht schwächer, sondern von Jahr zu Jahr stärker
fühlbar wird, fängt doch so mancher Hauptmann zu erlahmen an, und mancher
Regimentskommandeur mag die Frage verneinen, ob es denn einen Zweck habe,
seine Hauptleute und Stabsoffiziere für höhere Stellen vorzubereiten und aus¬
zubilden. Es wäre nur zu menschlich und ist bequem, wäre auch im Hinblick
auf das Alter der meisten Regimentskommandeure nicht zu verwundern. Denn
auch darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen: wenn man rach mit großer
Achtung, ja, mit Bewunderung beobachten kann, was die in Wahrheit "Alten
Herren" in: Frieden noch leisten, so werden sie doch im Kriege den Strapazen,
den Witterungs- und Verpflegungsunbilden nicht nichr gewachsen sein und schon
in den ersten Wochen und Tagen des Feldzuges ausscheiden und an ihre Stelle
werden solche Offiziere treten müssen, die vordem nie ein Regiment geführt
haben.


Reichsspiegel

alles dies sinkt aber auch das Niveau der Jnfanterieoffizierskorps allmählich unter
das der anderen Waffen hinab. Die Kommandeure zahlreicher Jnfanterieregimenter
können kaum noch die Bedingungen aufrecht halten, die ihnen vom Kabinett vor-
geschriebenwerden. dürfen aber garnicht daran denken, an ihren Nachwuchs Ansprüche
zu stellen, wie es die Kommandeure der Feldartillerie tun dürfen, indem sie die
Ablegung der Abiturientenprüfung, höhere Zulagen und obendrein noch Abkunft aus
bevorzugten sozialen Schichten fordern können. Wird hier nicht Einhalt getan,
dann lassen wir die Zerstörung der Homogenität des Offizierkorps geschehen und
lassen eine automatische Zweiteilung sich vorbereiten, gegen die sich gerade
die maßgebenden Kreise sträuben, und die nur dann mit den Interessen des
Heeres in Einklang gebracht werden könnte, wenn sie zielbewußt von langer
Hand vorbereitet würde.

So bedenklich nun auch der Mangel an Ersatz für die Infanterie ist, so
wäre er schließlich technisch und im Hinblick auf unfer Unteroffizierkorps noch zu
überwinden. Was aber ihn und die gesamten Beförderungsverhältnisse geradezu
zu einer Gefahr macht, ja was die Kriegsbereitschaft der Infanterie in
Frage stellt, das sind die Nebenerscheinungen. Der Geist in den Offizierkorps
könnte unter den bestehenden und sich immer schärfer zuspitzenden Verhält¬
nissen schwer leiden, wenn er noch nicht gelitten haben sollte. Man täusche sich
über diese Gefahr nicht etwa mit der Bemerkung hinweg, daß die Jnfanterie-
offiziere auch unter den bestehenden ungünstigen Verhältnissen ihre Pflicht tun
und daß unsere Infanterie noch immer auf voller Höhe stehe. Noch ist dies
zweifellos der Fall. Trotz eines außerordentlich starken Abganges von Haupt¬
leuten, Stabsoffizieren und Generalen, der auch jetzt schon bei der vom Herrn
Kriegsminister zugestandenen Überalterung der Offiziere im Falle der Mobil¬
machung eintreten müßte, würde unsere Infanterie jetzt noch den höchstgespannten
Anforderungen genügen. Wie aber wird sie in fünf Jahren dastehen? Wie, wenn
ein neues Quinquennatsgesetz wieder wegen mangelnder Mittel die Entwicklung
der Armee nicht in der erwünschten Weise fördern kann? Unter dem
immerwährenden Druck, der nicht schwächer, sondern von Jahr zu Jahr stärker
fühlbar wird, fängt doch so mancher Hauptmann zu erlahmen an, und mancher
Regimentskommandeur mag die Frage verneinen, ob es denn einen Zweck habe,
seine Hauptleute und Stabsoffiziere für höhere Stellen vorzubereiten und aus¬
zubilden. Es wäre nur zu menschlich und ist bequem, wäre auch im Hinblick
auf das Alter der meisten Regimentskommandeure nicht zu verwundern. Denn
auch darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen: wenn man rach mit großer
Achtung, ja, mit Bewunderung beobachten kann, was die in Wahrheit „Alten
Herren" in: Frieden noch leisten, so werden sie doch im Kriege den Strapazen,
den Witterungs- und Verpflegungsunbilden nicht nichr gewachsen sein und schon
in den ersten Wochen und Tagen des Feldzuges ausscheiden und an ihre Stelle
werden solche Offiziere treten müssen, die vordem nie ein Regiment geführt
haben.


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[0516] Reichsspiegel alles dies sinkt aber auch das Niveau der Jnfanterieoffizierskorps allmählich unter das der anderen Waffen hinab. Die Kommandeure zahlreicher Jnfanterieregimenter können kaum noch die Bedingungen aufrecht halten, die ihnen vom Kabinett vor- geschriebenwerden. dürfen aber garnicht daran denken, an ihren Nachwuchs Ansprüche zu stellen, wie es die Kommandeure der Feldartillerie tun dürfen, indem sie die Ablegung der Abiturientenprüfung, höhere Zulagen und obendrein noch Abkunft aus bevorzugten sozialen Schichten fordern können. Wird hier nicht Einhalt getan, dann lassen wir die Zerstörung der Homogenität des Offizierkorps geschehen und lassen eine automatische Zweiteilung sich vorbereiten, gegen die sich gerade die maßgebenden Kreise sträuben, und die nur dann mit den Interessen des Heeres in Einklang gebracht werden könnte, wenn sie zielbewußt von langer Hand vorbereitet würde. So bedenklich nun auch der Mangel an Ersatz für die Infanterie ist, so wäre er schließlich technisch und im Hinblick auf unfer Unteroffizierkorps noch zu überwinden. Was aber ihn und die gesamten Beförderungsverhältnisse geradezu zu einer Gefahr macht, ja was die Kriegsbereitschaft der Infanterie in Frage stellt, das sind die Nebenerscheinungen. Der Geist in den Offizierkorps könnte unter den bestehenden und sich immer schärfer zuspitzenden Verhält¬ nissen schwer leiden, wenn er noch nicht gelitten haben sollte. Man täusche sich über diese Gefahr nicht etwa mit der Bemerkung hinweg, daß die Jnfanterie- offiziere auch unter den bestehenden ungünstigen Verhältnissen ihre Pflicht tun und daß unsere Infanterie noch immer auf voller Höhe stehe. Noch ist dies zweifellos der Fall. Trotz eines außerordentlich starken Abganges von Haupt¬ leuten, Stabsoffizieren und Generalen, der auch jetzt schon bei der vom Herrn Kriegsminister zugestandenen Überalterung der Offiziere im Falle der Mobil¬ machung eintreten müßte, würde unsere Infanterie jetzt noch den höchstgespannten Anforderungen genügen. Wie aber wird sie in fünf Jahren dastehen? Wie, wenn ein neues Quinquennatsgesetz wieder wegen mangelnder Mittel die Entwicklung der Armee nicht in der erwünschten Weise fördern kann? Unter dem immerwährenden Druck, der nicht schwächer, sondern von Jahr zu Jahr stärker fühlbar wird, fängt doch so mancher Hauptmann zu erlahmen an, und mancher Regimentskommandeur mag die Frage verneinen, ob es denn einen Zweck habe, seine Hauptleute und Stabsoffiziere für höhere Stellen vorzubereiten und aus¬ zubilden. Es wäre nur zu menschlich und ist bequem, wäre auch im Hinblick auf das Alter der meisten Regimentskommandeure nicht zu verwundern. Denn auch darüber dürfen wir uns nicht hinwegtäuschen: wenn man rach mit großer Achtung, ja, mit Bewunderung beobachten kann, was die in Wahrheit „Alten Herren" in: Frieden noch leisten, so werden sie doch im Kriege den Strapazen, den Witterungs- und Verpflegungsunbilden nicht nichr gewachsen sein und schon in den ersten Wochen und Tagen des Feldzuges ausscheiden und an ihre Stelle werden solche Offiziere treten müssen, die vordem nie ein Regiment geführt haben.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/516>, abgerufen am 04.07.2024.