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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Grundfragen der Privatangestellteiwerficherung

wesentliche Leistung aus Reichsmitteln, indem das Reich zu jeder Invaliden-
und Altersrente einen Beitrag von jährlich 50 Mark leistet und überdies die
Kosten des Reichsversicherungsamts trägt, nach der neuen Reichsversicherungs-
ordnung außerdem noch einen Teil der Kosten der übrigen Versicherungsbehörden.
Auch eine derartige Heranziehung des Reichs zu den Verwaltungskosten ist bei
der Privatangestelltenversicherung nicht in Aussicht genommen.

Die Versicherung kann an sich der Gesamtheit der Versicherten einen finan¬
ziellen Vorteil nicht bringen; ihre Leistung besteht lediglich in einer zweckmäßigen
Verteilung der Einzahlungen entsprechend dem Bedarf der einzelnen Versicherten.
Insoweit dabei für deu einzelnen Versicherten mehr geleistet wird, als seinen
Einzahlungen entspricht, kann das nur geschehen auf Kosten anderer Versicherten,
für die weniger geleistet wird, als ihren Einzahlungen entspricht. So selbst¬
verständlich diese Tatsache ist, so muß sie doch bei der Beurteilung einer Zwangs¬
versicherung, wie sie das neue Gesetz in Aussicht nimmt, ganz besonders
betont werden.

Das neue Gesetz nimmt Durchschnittsbeiträge in Aussicht, d. h. die Beiträge
stehen zwar in einem gewissen Verhältnis zu den Leistungen insofern, als Beiträge
und Leistungen in gleichartiger Weise- von dem Einkommen der einzelnen An¬
gestellten, die Leistungen auch von der Versicherungs-(Beitrags-)dauer abhängig
gemacht send. Irgendwelche andere Momente, die zweifellos ebenfalls den Wert
der Versicherungsleistungen in hohem Maße beeinflussen, wie etwa das Eintritts-
alter in die Versicherung, der individuelle Gesundheitszustand zur Zeit des Ein¬
tritts, die mehr oder minder großen Gefahren des Berufs, bleiben dabei voll¬
kommen unberücksichtigt. Die Versicherungsleistungen bestehen aus Ruhegehältern
der Angestellten und aus Pensionen, die an ihre Hinterbliebenen zu zahlen sind.
Auch der Umstand, ob und in welchem Grade eine Leistung an Hinterbliebene
für den Angestellten möglich und wahrscheinlich ist und welchen Wert sie hat,
bleibt bei der Bemessung der Beiträge unberücksichtigt. Es ist klar, daß durch
diese Festsetzung der Beiträge das Verhältnis der Leistungen zu den Beiträgen
für die einzelnen Versicherten in hohem Grade verschieden sein muß. Der Jung¬
geselle hat, trotzdem die Versicherungsanstalt niemals seine Witwe und seine
Waisen zu versorgen haben wird, doch denselben Beitrag zu zahlen wie der
Verheiratete, der Kinderlose denselben Beitrag wie der Kinderreiche, der Bank¬
beamte denselben Beitrag wie der Werkführer in einer Pulverfabrik, derjenige,
der erst im fünfundvierzigsten Lebensjahre in eine Versicherungspflichtige Stelle
eintritt, denselben Beitrag wie derjenige, welcher seit seinem sechzehnten Lebens¬
jahre als Privatangestellter tätig ist.

Würden die Beiträge von den Versicherten allein zu zahlen sein, so wäre
eine derartige ungerechte Verteilung der Beitragslast unmöglich. Nach Ansicht
der Regierung werden die Ungerechtigkeiten im einzelnen dadurch ausgeglichen,
daß der Versicherte aus eigenen Mitteln nur die Hälfte des erforderlichen
Beitrags zahlt, während die andere Hälfte von seinem Arbeitgeber zu leisten ist


Grundfragen der Privatangestellteiwerficherung

wesentliche Leistung aus Reichsmitteln, indem das Reich zu jeder Invaliden-
und Altersrente einen Beitrag von jährlich 50 Mark leistet und überdies die
Kosten des Reichsversicherungsamts trägt, nach der neuen Reichsversicherungs-
ordnung außerdem noch einen Teil der Kosten der übrigen Versicherungsbehörden.
Auch eine derartige Heranziehung des Reichs zu den Verwaltungskosten ist bei
der Privatangestelltenversicherung nicht in Aussicht genommen.

Die Versicherung kann an sich der Gesamtheit der Versicherten einen finan¬
ziellen Vorteil nicht bringen; ihre Leistung besteht lediglich in einer zweckmäßigen
Verteilung der Einzahlungen entsprechend dem Bedarf der einzelnen Versicherten.
Insoweit dabei für deu einzelnen Versicherten mehr geleistet wird, als seinen
Einzahlungen entspricht, kann das nur geschehen auf Kosten anderer Versicherten,
für die weniger geleistet wird, als ihren Einzahlungen entspricht. So selbst¬
verständlich diese Tatsache ist, so muß sie doch bei der Beurteilung einer Zwangs¬
versicherung, wie sie das neue Gesetz in Aussicht nimmt, ganz besonders
betont werden.

Das neue Gesetz nimmt Durchschnittsbeiträge in Aussicht, d. h. die Beiträge
stehen zwar in einem gewissen Verhältnis zu den Leistungen insofern, als Beiträge
und Leistungen in gleichartiger Weise- von dem Einkommen der einzelnen An¬
gestellten, die Leistungen auch von der Versicherungs-(Beitrags-)dauer abhängig
gemacht send. Irgendwelche andere Momente, die zweifellos ebenfalls den Wert
der Versicherungsleistungen in hohem Maße beeinflussen, wie etwa das Eintritts-
alter in die Versicherung, der individuelle Gesundheitszustand zur Zeit des Ein¬
tritts, die mehr oder minder großen Gefahren des Berufs, bleiben dabei voll¬
kommen unberücksichtigt. Die Versicherungsleistungen bestehen aus Ruhegehältern
der Angestellten und aus Pensionen, die an ihre Hinterbliebenen zu zahlen sind.
Auch der Umstand, ob und in welchem Grade eine Leistung an Hinterbliebene
für den Angestellten möglich und wahrscheinlich ist und welchen Wert sie hat,
bleibt bei der Bemessung der Beiträge unberücksichtigt. Es ist klar, daß durch
diese Festsetzung der Beiträge das Verhältnis der Leistungen zu den Beiträgen
für die einzelnen Versicherten in hohem Grade verschieden sein muß. Der Jung¬
geselle hat, trotzdem die Versicherungsanstalt niemals seine Witwe und seine
Waisen zu versorgen haben wird, doch denselben Beitrag zu zahlen wie der
Verheiratete, der Kinderlose denselben Beitrag wie der Kinderreiche, der Bank¬
beamte denselben Beitrag wie der Werkführer in einer Pulverfabrik, derjenige,
der erst im fünfundvierzigsten Lebensjahre in eine Versicherungspflichtige Stelle
eintritt, denselben Beitrag wie derjenige, welcher seit seinem sechzehnten Lebens¬
jahre als Privatangestellter tätig ist.

Würden die Beiträge von den Versicherten allein zu zahlen sein, so wäre
eine derartige ungerechte Verteilung der Beitragslast unmöglich. Nach Ansicht
der Regierung werden die Ungerechtigkeiten im einzelnen dadurch ausgeglichen,
daß der Versicherte aus eigenen Mitteln nur die Hälfte des erforderlichen
Beitrags zahlt, während die andere Hälfte von seinem Arbeitgeber zu leisten ist


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/484>, abgerufen am 24.07.2024.