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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Ratholische Airche und Freiheit des Denkens und Forscheiis

die einem "Heiligen Vater" ziemt, wenn er im Namen Jesu zu seinen irrenden
Kindern spricht? Ich möchte meinen, daß kein feinfühliger Katholik manche
Sätze dieser Enzyklika lesen konnte, ohne im stillen zu erröten und sich dieses
Stellvertreters Christi zu schämen.

Und gar die Disziplinarbestimmungen, die der Enzyklika angefügt sind!
Sie fordern eine strenge Überwachung der katholischen Universitätsprofessoren,
der Seminare, der Buchhandlungen, der Zeitschriften, überhaupt der Lektüre der
Katholiken. Alle drei Jahre aber sollen die Bischöfe berichten, ob diese Über¬
wachung in ihren Diözesen auch wirklich gehandhabt werde. Dazu ist mit dem
Ende des Jahres 1910 noch der Amel-Modernisten-Eid gekommen.

Ich betone ausdrücklich, daß die vorstehenden Ausführungen lange vorher
verfaßt sind, aber sie haben durch die Forderung jenes Eides ihre Bestätigung
gefunden.

Inhaltlich hat dieser nicht viel Neues gebracht -- immerhin dürften
dadurch für die Bibelkritik und die kirchen- und dogmengeschichtliche Forschung
die Grenzen noch wesentlich enger gezogen sein. Formell aber ist jetzt
die geistige Bindung der katholischen Theologen noch viel straffer geworden,
und sie wird mit geradezu erschreckender Deutlichkeit aller Welt vor Augen
geführt. Alle diese Bestimmungen sind herausgeboren aus dein Geist des
Mißtrauens gegen Wissenschaft und Universitäten; sie können nur lähmend
wirken auf alles echt wissenschaftliche Streben; sie müssen auf der einen Seite
ängstliches Sich-anklammern an das Traditionelle erzeugen, auf der anderen
den Geist des Argwohns, der Spionage und der Denunziation großziehen.

Freilich, auch hier sind die Verteidiger der Kirche nicht wegen Abschwächung
und Entschuldigung in Verlegenheit. Sie erklären etwa, jene beiden päpstlichen
Erlasse seien nicht als "unfehlbare" anzusehen (was freilich von anderen bestritten
wird). -- Beiläufig bemerkt: eine "unfehlbare" Instanz sollte doch vor allem
das unzweideutig zu erkennen geben, welche ihrer Kundgebungen "unfehlbar"
seien und welche nicht. Oder vermeidet man es absichtlich, darüber Klarheit zu
schaffen? -- Ferner betont man, jene Disziplinarbestimmungen seien etwas nur
durch Zeitumstände Bedingtes, das abgeändert werden könne. Das ist nicht zu
bestreiten, und in der Tat mag ein Papst von tieferer und reicherer Bildung
und wirklicher Herzenskultur die Beaufsichtigung der Wissenschaft in feinere
Formen kleiden können; aber daß er ihr je wirkliche Freiheit gewähre, das ist
durch die katholische Lehre selbst ausgeschlossen.

Es ist zwar unwahrscheinlich, aber doch nicht prinzipiell unmöglich, daß
die Kirche den einzelnen gegenüber eine veränderte pädagogische Haltung ein¬
nehme, daß sie ihnen mehr Spielraum lasse in der subjektiven Aneignung ihres
Lehrgehalts, und daß sie ihnen insofern mehr Denkfreiheit gewähre. Aber eine
grundsätzliche Änderung des Verhaltens der Kirche zur Wissenschaft ist leider nicht
zu erhoffen. Ihre Grundprinzipien sind zu verschieden: dort der Anspruch, die
Wahrheit mit unfehlbarer Sicherheit zu besitzen, hier die Überzeugung, daß die


Ratholische Airche und Freiheit des Denkens und Forscheiis

die einem „Heiligen Vater" ziemt, wenn er im Namen Jesu zu seinen irrenden
Kindern spricht? Ich möchte meinen, daß kein feinfühliger Katholik manche
Sätze dieser Enzyklika lesen konnte, ohne im stillen zu erröten und sich dieses
Stellvertreters Christi zu schämen.

Und gar die Disziplinarbestimmungen, die der Enzyklika angefügt sind!
Sie fordern eine strenge Überwachung der katholischen Universitätsprofessoren,
der Seminare, der Buchhandlungen, der Zeitschriften, überhaupt der Lektüre der
Katholiken. Alle drei Jahre aber sollen die Bischöfe berichten, ob diese Über¬
wachung in ihren Diözesen auch wirklich gehandhabt werde. Dazu ist mit dem
Ende des Jahres 1910 noch der Amel-Modernisten-Eid gekommen.

Ich betone ausdrücklich, daß die vorstehenden Ausführungen lange vorher
verfaßt sind, aber sie haben durch die Forderung jenes Eides ihre Bestätigung
gefunden.

Inhaltlich hat dieser nicht viel Neues gebracht — immerhin dürften
dadurch für die Bibelkritik und die kirchen- und dogmengeschichtliche Forschung
die Grenzen noch wesentlich enger gezogen sein. Formell aber ist jetzt
die geistige Bindung der katholischen Theologen noch viel straffer geworden,
und sie wird mit geradezu erschreckender Deutlichkeit aller Welt vor Augen
geführt. Alle diese Bestimmungen sind herausgeboren aus dein Geist des
Mißtrauens gegen Wissenschaft und Universitäten; sie können nur lähmend
wirken auf alles echt wissenschaftliche Streben; sie müssen auf der einen Seite
ängstliches Sich-anklammern an das Traditionelle erzeugen, auf der anderen
den Geist des Argwohns, der Spionage und der Denunziation großziehen.

Freilich, auch hier sind die Verteidiger der Kirche nicht wegen Abschwächung
und Entschuldigung in Verlegenheit. Sie erklären etwa, jene beiden päpstlichen
Erlasse seien nicht als „unfehlbare" anzusehen (was freilich von anderen bestritten
wird). — Beiläufig bemerkt: eine „unfehlbare" Instanz sollte doch vor allem
das unzweideutig zu erkennen geben, welche ihrer Kundgebungen „unfehlbar"
seien und welche nicht. Oder vermeidet man es absichtlich, darüber Klarheit zu
schaffen? — Ferner betont man, jene Disziplinarbestimmungen seien etwas nur
durch Zeitumstände Bedingtes, das abgeändert werden könne. Das ist nicht zu
bestreiten, und in der Tat mag ein Papst von tieferer und reicherer Bildung
und wirklicher Herzenskultur die Beaufsichtigung der Wissenschaft in feinere
Formen kleiden können; aber daß er ihr je wirkliche Freiheit gewähre, das ist
durch die katholische Lehre selbst ausgeschlossen.

Es ist zwar unwahrscheinlich, aber doch nicht prinzipiell unmöglich, daß
die Kirche den einzelnen gegenüber eine veränderte pädagogische Haltung ein¬
nehme, daß sie ihnen mehr Spielraum lasse in der subjektiven Aneignung ihres
Lehrgehalts, und daß sie ihnen insofern mehr Denkfreiheit gewähre. Aber eine
grundsätzliche Änderung des Verhaltens der Kirche zur Wissenschaft ist leider nicht
zu erhoffen. Ihre Grundprinzipien sind zu verschieden: dort der Anspruch, die
Wahrheit mit unfehlbarer Sicherheit zu besitzen, hier die Überzeugung, daß die


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[0380] Ratholische Airche und Freiheit des Denkens und Forscheiis die einem „Heiligen Vater" ziemt, wenn er im Namen Jesu zu seinen irrenden Kindern spricht? Ich möchte meinen, daß kein feinfühliger Katholik manche Sätze dieser Enzyklika lesen konnte, ohne im stillen zu erröten und sich dieses Stellvertreters Christi zu schämen. Und gar die Disziplinarbestimmungen, die der Enzyklika angefügt sind! Sie fordern eine strenge Überwachung der katholischen Universitätsprofessoren, der Seminare, der Buchhandlungen, der Zeitschriften, überhaupt der Lektüre der Katholiken. Alle drei Jahre aber sollen die Bischöfe berichten, ob diese Über¬ wachung in ihren Diözesen auch wirklich gehandhabt werde. Dazu ist mit dem Ende des Jahres 1910 noch der Amel-Modernisten-Eid gekommen. Ich betone ausdrücklich, daß die vorstehenden Ausführungen lange vorher verfaßt sind, aber sie haben durch die Forderung jenes Eides ihre Bestätigung gefunden. Inhaltlich hat dieser nicht viel Neues gebracht — immerhin dürften dadurch für die Bibelkritik und die kirchen- und dogmengeschichtliche Forschung die Grenzen noch wesentlich enger gezogen sein. Formell aber ist jetzt die geistige Bindung der katholischen Theologen noch viel straffer geworden, und sie wird mit geradezu erschreckender Deutlichkeit aller Welt vor Augen geführt. Alle diese Bestimmungen sind herausgeboren aus dein Geist des Mißtrauens gegen Wissenschaft und Universitäten; sie können nur lähmend wirken auf alles echt wissenschaftliche Streben; sie müssen auf der einen Seite ängstliches Sich-anklammern an das Traditionelle erzeugen, auf der anderen den Geist des Argwohns, der Spionage und der Denunziation großziehen. Freilich, auch hier sind die Verteidiger der Kirche nicht wegen Abschwächung und Entschuldigung in Verlegenheit. Sie erklären etwa, jene beiden päpstlichen Erlasse seien nicht als „unfehlbare" anzusehen (was freilich von anderen bestritten wird). — Beiläufig bemerkt: eine „unfehlbare" Instanz sollte doch vor allem das unzweideutig zu erkennen geben, welche ihrer Kundgebungen „unfehlbar" seien und welche nicht. Oder vermeidet man es absichtlich, darüber Klarheit zu schaffen? — Ferner betont man, jene Disziplinarbestimmungen seien etwas nur durch Zeitumstände Bedingtes, das abgeändert werden könne. Das ist nicht zu bestreiten, und in der Tat mag ein Papst von tieferer und reicherer Bildung und wirklicher Herzenskultur die Beaufsichtigung der Wissenschaft in feinere Formen kleiden können; aber daß er ihr je wirkliche Freiheit gewähre, das ist durch die katholische Lehre selbst ausgeschlossen. Es ist zwar unwahrscheinlich, aber doch nicht prinzipiell unmöglich, daß die Kirche den einzelnen gegenüber eine veränderte pädagogische Haltung ein¬ nehme, daß sie ihnen mehr Spielraum lasse in der subjektiven Aneignung ihres Lehrgehalts, und daß sie ihnen insofern mehr Denkfreiheit gewähre. Aber eine grundsätzliche Änderung des Verhaltens der Kirche zur Wissenschaft ist leider nicht zu erhoffen. Ihre Grundprinzipien sind zu verschieden: dort der Anspruch, die Wahrheit mit unfehlbarer Sicherheit zu besitzen, hier die Überzeugung, daß die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/380>, abgerufen am 26.07.2024.