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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Linne verhaercn

und bedeutungsvoll für unsere Zeit ist, so müssen wir es ohne Zaudern und
Zweifeln von dieser anerkennen.

Zurück ins Leben! erschallt nun der Mahnruf. Die Wirklichkeit fordert
ihr Recht. Noch freilich vermag der Genesende sich nicht zurechtzufinden. Es
entstehen die "VillaAes IIlusoire8", Visionen von ungeheurer Gewalt und
hinreißenden Pathos. Die Phantasie des Dichters erfreut sich noch am Gro¬
tesken, aber hinter all diesen dämonischen Bildern und Gestalten fühlt man
doch das reale Geschehnis. Der Regen und der Schnee sinken nieder, und was
sie schaffen und vernichten, wird in breitem Pleinair gemalt. Da sind die
unheimlichen Gedichte von dem Glöckner, der auf dem feuerumrasten Turme
die gellende Glocke schwingt, oder vom Begräbnis des einsamen Müllers auf
endloser, harter Heide. "Der Wind", in eigener Übersetzung, soll dieses stürmende
Ergreifen einer neuen Wirklichkeit kennzeichnen:

Über die endlos weite Heide
Trompetet der Wind November ins Feld;
Über die endlose Heide
Fährt der Wind,
Der sich zerfleischt und heulend gellt,
Stürmt die Dörfer mit schweren schlugen,
Der Wind,
Der wilde Rovemberwind,
An den Brunnen im Hofe
5?reischen die eisernen Ruder und Winden;
An den Zisternen im Hofe
Kreischen die Ruder und Winden
Und schrei'n
Nach dein Tode in ihrer Pein.
Der Wind treibt welkes Birkenlaub
Das Wasser hinunter in raschem Raub,
Der wilde Rovemberwind.
Der Wind zerbeißt
Hoch im Geüst
Das Vogelnest;
Der Wind raspelt das Eisen und reißt
Wütend, wütend mit einem Mal
Den alten Lawinenschnee ins Till,
Der Wind,
Der wilde Novemberwind,
Die kleinen elenden Hütten sind
Zerborsten, klügliche Fetzen verkleben
Aus Glas und Papier die Luken und beben
Und zittern im wilden Nvvemberwind.
Die dunkle, unheimliche Mühle steht
Auf dem schwärzlichen Rasenhügel
Einsam erhoben,
Und mäht und mäht
Von oben nach unten, von unten nach oben
Den Wind, den wilden Novcmberwind.

Linne verhaercn

und bedeutungsvoll für unsere Zeit ist, so müssen wir es ohne Zaudern und
Zweifeln von dieser anerkennen.

Zurück ins Leben! erschallt nun der Mahnruf. Die Wirklichkeit fordert
ihr Recht. Noch freilich vermag der Genesende sich nicht zurechtzufinden. Es
entstehen die „VillaAes IIlusoire8", Visionen von ungeheurer Gewalt und
hinreißenden Pathos. Die Phantasie des Dichters erfreut sich noch am Gro¬
tesken, aber hinter all diesen dämonischen Bildern und Gestalten fühlt man
doch das reale Geschehnis. Der Regen und der Schnee sinken nieder, und was
sie schaffen und vernichten, wird in breitem Pleinair gemalt. Da sind die
unheimlichen Gedichte von dem Glöckner, der auf dem feuerumrasten Turme
die gellende Glocke schwingt, oder vom Begräbnis des einsamen Müllers auf
endloser, harter Heide. „Der Wind", in eigener Übersetzung, soll dieses stürmende
Ergreifen einer neuen Wirklichkeit kennzeichnen:

Über die endlos weite Heide
Trompetet der Wind November ins Feld;
Über die endlose Heide
Fährt der Wind,
Der sich zerfleischt und heulend gellt,
Stürmt die Dörfer mit schweren schlugen,
Der Wind,
Der wilde Rovemberwind,
An den Brunnen im Hofe
5?reischen die eisernen Ruder und Winden;
An den Zisternen im Hofe
Kreischen die Ruder und Winden
Und schrei'n
Nach dein Tode in ihrer Pein.
Der Wind treibt welkes Birkenlaub
Das Wasser hinunter in raschem Raub,
Der wilde Rovemberwind.
Der Wind zerbeißt
Hoch im Geüst
Das Vogelnest;
Der Wind raspelt das Eisen und reißt
Wütend, wütend mit einem Mal
Den alten Lawinenschnee ins Till,
Der Wind,
Der wilde Novemberwind,
Die kleinen elenden Hütten sind
Zerborsten, klügliche Fetzen verkleben
Aus Glas und Papier die Luken und beben
Und zittern im wilden Nvvemberwind.
Die dunkle, unheimliche Mühle steht
Auf dem schwärzlichen Rasenhügel
Einsam erhoben,
Und mäht und mäht
Von oben nach unten, von unten nach oben
Den Wind, den wilden Novcmberwind.

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[0334] Linne verhaercn und bedeutungsvoll für unsere Zeit ist, so müssen wir es ohne Zaudern und Zweifeln von dieser anerkennen. Zurück ins Leben! erschallt nun der Mahnruf. Die Wirklichkeit fordert ihr Recht. Noch freilich vermag der Genesende sich nicht zurechtzufinden. Es entstehen die „VillaAes IIlusoire8", Visionen von ungeheurer Gewalt und hinreißenden Pathos. Die Phantasie des Dichters erfreut sich noch am Gro¬ tesken, aber hinter all diesen dämonischen Bildern und Gestalten fühlt man doch das reale Geschehnis. Der Regen und der Schnee sinken nieder, und was sie schaffen und vernichten, wird in breitem Pleinair gemalt. Da sind die unheimlichen Gedichte von dem Glöckner, der auf dem feuerumrasten Turme die gellende Glocke schwingt, oder vom Begräbnis des einsamen Müllers auf endloser, harter Heide. „Der Wind", in eigener Übersetzung, soll dieses stürmende Ergreifen einer neuen Wirklichkeit kennzeichnen: Über die endlos weite Heide Trompetet der Wind November ins Feld; Über die endlose Heide Fährt der Wind, Der sich zerfleischt und heulend gellt, Stürmt die Dörfer mit schweren schlugen, Der Wind, Der wilde Rovemberwind, An den Brunnen im Hofe 5?reischen die eisernen Ruder und Winden; An den Zisternen im Hofe Kreischen die Ruder und Winden Und schrei'n Nach dein Tode in ihrer Pein. Der Wind treibt welkes Birkenlaub Das Wasser hinunter in raschem Raub, Der wilde Rovemberwind. Der Wind zerbeißt Hoch im Geüst Das Vogelnest; Der Wind raspelt das Eisen und reißt Wütend, wütend mit einem Mal Den alten Lawinenschnee ins Till, Der Wind, Der wilde Novemberwind, Die kleinen elenden Hütten sind Zerborsten, klügliche Fetzen verkleben Aus Glas und Papier die Luken und beben Und zittern im wilden Nvvemberwind. Die dunkle, unheimliche Mühle steht Auf dem schwärzlichen Rasenhügel Einsam erhoben, Und mäht und mäht Von oben nach unten, von unten nach oben Den Wind, den wilden Novcmberwind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/334>, abgerufen am 24.07.2024.