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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Autorität der Türkei im Gstjordan-Lande

Dschebel it Druß ist höchstens 30 Ka lang und 20 Ku breit. Genau östlich
vom See Genezareth gelegen, ist sein Fuß von diesen: nur 70 Ka entfernt,
und dieser Zwischenraum ist keineswegs Wüste im eigentlichen Sinne. Das
Entscheidenste aber ist, daß Eisenbahnverbindungen bereits von zwei (oder,
wenn mau will: drei) Seiten herankommen und zwei Drittel dieses schwierigen
Wcgteils überwinden. Die eine Bahn kommt von Halfa, dein Mittelmeerhafeu
am Fuß des Karmel, umgeht südlich den See Genezareth und nähert sich dann
über Muserib den westlichen Ausläufern des Hauran bis auf wenige Kilometer.
Die andere Verbindung ist die von Bevruth in Phönizien über Damaskus, die
sich bei Dera mit der eben erwähnten Bahn vereinigt und dann als Hedschas-
bahn ihren Weg nach Süden fortsetzt. Außerdem ist noch eine zweite Bahn
von Damaskus uach Muserib da, eine französische Konkurrenzbahn. Von
Damaskus aus sieht man den Höhenzug des Hauran in südlicher Richtung ganz
deutlich liegen.

Das bis 1900 Meter ansteigende Gebirge war einst, wahrscheinlich unter
besseren BewässeruugsverlMnissen, dicht bewohnt und stand unter hoher Kultur.
Davon zeugen noch heute die Trümmer von Tempel- und Häuserbauten. Noch
jetzt ist es eine von Regen befruchtete Oase. Der meist vulkanische Boden
erzeugt Massen von Weizen, die weit über den eigenen Bedarf der Bewohner
hinausgehen. Die Bahn nach Halfa ist gebaut, um den Weizen auf deu Weltmarkt
zu bringen; es sind jährlich etwa 100000 Tonnen. Von seinen 140000 Ein¬
wohnern, von denen wie von dein ganzen Lande wir dem Frhrn. Max v. Oppenheim
eine so vortreffliche Schilderung verdanken, sind etwa 90000 Mohammedaner;
der Rest sind Drusen, die mit ihrer völlig selbständigen, von der christlichen
Religion wie von dem Islam völlig verschiedenen Lehre mit den Anhängern
des Propheten wie auch mit der jeweiligen politischen Herrschaft in Fehde
liegen. Der Zwiespalt sollte es der Türkei leicht machen, den Gehorsam auf¬
recht zu erhalten.

Aber eben seit dem Sommer vorigen Jahres ist ein neuer Zwist aus-
gebrochen, den mau beinahe Krieg nennen kann. Denn wenn man einen Pascha
mit dreißig Bataillonen, mit Kavallerie und vierzehn Berggcschützen in jenes
kleine Gebiet und gegen eine so winzige Bevölkerung sendet und dann noch
viel zu schaffen findet, so kann man wohl von einem Kriege sprechen. Die
Schluchten des Gebirges, die Reste älter Burgen und Häuser, die oft geheim
gehaltenen Brunnen und Zisternen ermöglichen den Beivohnern einen nach¬
haltigen Widerstand. So kamen denn von dein General Sami Pascha nach
den ersten, herkömmlicherweise günstigen Nachrichten bald üble Meldungen nach
der Hauptstadt. Anfänglich dringt natürlich jede Truppenmacht solcherart und
in solchem Lande vor. Die Verteidiger bieten nicht an der Grenze ihres
Gebietes eine Entscheidungsschlacht an. Sie weichen zurück und ziehen den
Feind nach sich, wobei sie ihm in Engpässen und sonstigen geeigneten Stellungen
Abbruch tun. Saum Pascha kam sogar sehr gut vorwärts und hatte Mitte


Die Autorität der Türkei im Gstjordan-Lande

Dschebel it Druß ist höchstens 30 Ka lang und 20 Ku breit. Genau östlich
vom See Genezareth gelegen, ist sein Fuß von diesen: nur 70 Ka entfernt,
und dieser Zwischenraum ist keineswegs Wüste im eigentlichen Sinne. Das
Entscheidenste aber ist, daß Eisenbahnverbindungen bereits von zwei (oder,
wenn mau will: drei) Seiten herankommen und zwei Drittel dieses schwierigen
Wcgteils überwinden. Die eine Bahn kommt von Halfa, dein Mittelmeerhafeu
am Fuß des Karmel, umgeht südlich den See Genezareth und nähert sich dann
über Muserib den westlichen Ausläufern des Hauran bis auf wenige Kilometer.
Die andere Verbindung ist die von Bevruth in Phönizien über Damaskus, die
sich bei Dera mit der eben erwähnten Bahn vereinigt und dann als Hedschas-
bahn ihren Weg nach Süden fortsetzt. Außerdem ist noch eine zweite Bahn
von Damaskus uach Muserib da, eine französische Konkurrenzbahn. Von
Damaskus aus sieht man den Höhenzug des Hauran in südlicher Richtung ganz
deutlich liegen.

Das bis 1900 Meter ansteigende Gebirge war einst, wahrscheinlich unter
besseren BewässeruugsverlMnissen, dicht bewohnt und stand unter hoher Kultur.
Davon zeugen noch heute die Trümmer von Tempel- und Häuserbauten. Noch
jetzt ist es eine von Regen befruchtete Oase. Der meist vulkanische Boden
erzeugt Massen von Weizen, die weit über den eigenen Bedarf der Bewohner
hinausgehen. Die Bahn nach Halfa ist gebaut, um den Weizen auf deu Weltmarkt
zu bringen; es sind jährlich etwa 100000 Tonnen. Von seinen 140000 Ein¬
wohnern, von denen wie von dein ganzen Lande wir dem Frhrn. Max v. Oppenheim
eine so vortreffliche Schilderung verdanken, sind etwa 90000 Mohammedaner;
der Rest sind Drusen, die mit ihrer völlig selbständigen, von der christlichen
Religion wie von dem Islam völlig verschiedenen Lehre mit den Anhängern
des Propheten wie auch mit der jeweiligen politischen Herrschaft in Fehde
liegen. Der Zwiespalt sollte es der Türkei leicht machen, den Gehorsam auf¬
recht zu erhalten.

Aber eben seit dem Sommer vorigen Jahres ist ein neuer Zwist aus-
gebrochen, den mau beinahe Krieg nennen kann. Denn wenn man einen Pascha
mit dreißig Bataillonen, mit Kavallerie und vierzehn Berggcschützen in jenes
kleine Gebiet und gegen eine so winzige Bevölkerung sendet und dann noch
viel zu schaffen findet, so kann man wohl von einem Kriege sprechen. Die
Schluchten des Gebirges, die Reste älter Burgen und Häuser, die oft geheim
gehaltenen Brunnen und Zisternen ermöglichen den Beivohnern einen nach¬
haltigen Widerstand. So kamen denn von dein General Sami Pascha nach
den ersten, herkömmlicherweise günstigen Nachrichten bald üble Meldungen nach
der Hauptstadt. Anfänglich dringt natürlich jede Truppenmacht solcherart und
in solchem Lande vor. Die Verteidiger bieten nicht an der Grenze ihres
Gebietes eine Entscheidungsschlacht an. Sie weichen zurück und ziehen den
Feind nach sich, wobei sie ihm in Engpässen und sonstigen geeigneten Stellungen
Abbruch tun. Saum Pascha kam sogar sehr gut vorwärts und hatte Mitte


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[0294] Die Autorität der Türkei im Gstjordan-Lande Dschebel it Druß ist höchstens 30 Ka lang und 20 Ku breit. Genau östlich vom See Genezareth gelegen, ist sein Fuß von diesen: nur 70 Ka entfernt, und dieser Zwischenraum ist keineswegs Wüste im eigentlichen Sinne. Das Entscheidenste aber ist, daß Eisenbahnverbindungen bereits von zwei (oder, wenn mau will: drei) Seiten herankommen und zwei Drittel dieses schwierigen Wcgteils überwinden. Die eine Bahn kommt von Halfa, dein Mittelmeerhafeu am Fuß des Karmel, umgeht südlich den See Genezareth und nähert sich dann über Muserib den westlichen Ausläufern des Hauran bis auf wenige Kilometer. Die andere Verbindung ist die von Bevruth in Phönizien über Damaskus, die sich bei Dera mit der eben erwähnten Bahn vereinigt und dann als Hedschas- bahn ihren Weg nach Süden fortsetzt. Außerdem ist noch eine zweite Bahn von Damaskus uach Muserib da, eine französische Konkurrenzbahn. Von Damaskus aus sieht man den Höhenzug des Hauran in südlicher Richtung ganz deutlich liegen. Das bis 1900 Meter ansteigende Gebirge war einst, wahrscheinlich unter besseren BewässeruugsverlMnissen, dicht bewohnt und stand unter hoher Kultur. Davon zeugen noch heute die Trümmer von Tempel- und Häuserbauten. Noch jetzt ist es eine von Regen befruchtete Oase. Der meist vulkanische Boden erzeugt Massen von Weizen, die weit über den eigenen Bedarf der Bewohner hinausgehen. Die Bahn nach Halfa ist gebaut, um den Weizen auf deu Weltmarkt zu bringen; es sind jährlich etwa 100000 Tonnen. Von seinen 140000 Ein¬ wohnern, von denen wie von dein ganzen Lande wir dem Frhrn. Max v. Oppenheim eine so vortreffliche Schilderung verdanken, sind etwa 90000 Mohammedaner; der Rest sind Drusen, die mit ihrer völlig selbständigen, von der christlichen Religion wie von dem Islam völlig verschiedenen Lehre mit den Anhängern des Propheten wie auch mit der jeweiligen politischen Herrschaft in Fehde liegen. Der Zwiespalt sollte es der Türkei leicht machen, den Gehorsam auf¬ recht zu erhalten. Aber eben seit dem Sommer vorigen Jahres ist ein neuer Zwist aus- gebrochen, den mau beinahe Krieg nennen kann. Denn wenn man einen Pascha mit dreißig Bataillonen, mit Kavallerie und vierzehn Berggcschützen in jenes kleine Gebiet und gegen eine so winzige Bevölkerung sendet und dann noch viel zu schaffen findet, so kann man wohl von einem Kriege sprechen. Die Schluchten des Gebirges, die Reste älter Burgen und Häuser, die oft geheim gehaltenen Brunnen und Zisternen ermöglichen den Beivohnern einen nach¬ haltigen Widerstand. So kamen denn von dein General Sami Pascha nach den ersten, herkömmlicherweise günstigen Nachrichten bald üble Meldungen nach der Hauptstadt. Anfänglich dringt natürlich jede Truppenmacht solcherart und in solchem Lande vor. Die Verteidiger bieten nicht an der Grenze ihres Gebietes eine Entscheidungsschlacht an. Sie weichen zurück und ziehen den Feind nach sich, wobei sie ihm in Engpässen und sonstigen geeigneten Stellungen Abbruch tun. Saum Pascha kam sogar sehr gut vorwärts und hatte Mitte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/294>, abgerufen am 28.12.2024.