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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

sind nicht selten. Das ist das Gebiet, auf dem der lachende Erbe herrscht, zum
Hohn auf jede ehrliche Arbeit. Wer im praktischen Leben steht, weiß, wie es
vielfach mit dem gerühmten Familiensinn in Wirklichkeit bestellt ist. Es besteht
kein Erfahrungssatz dahin, daß Verwandte sich regelmäßig gut vertragen; am
wenigsten läßt sich das gerade bei Erdfällen feststellen, wenn es ans Teilen geht.
Nicht einmal unter Geschwistern, sobald sie verheiratet sind, ist ein gutes Ein¬
vernehmen als Regel anzusehen, geschweige unter entfernten Verwandten' Zwist
oder doch Gleichgültigkeit tritt nur zu oft an die Stelle verwandtschaftlicher
Zuneigung. Das beobachtete schon Goethe als Knabe, und er hat es als alter
Mann nach einem langen Leben bestätigt. Und so ist es noch heute, wenn
man die Wahrheit aussprechen will, -- so bedauerlich es sein mag. Die Auf¬
fassung scheint auch Herr v. Katte zu teilen. Denn er führt aus:


"Gewiß werden sich namentlich zu Anfang energische Naturen finden, die gerade durch
die Einführung eines Reichserbrechts veranlaßt werden, Testamente zugunsten ihrer Ver¬
wandten zu errichten. Die große Mehrheit der Menschen aber läßt sich doch treiben. Man
gewöhnt sich, wie an alles, so auch an den Gedanken, denn Reich beerbt zu werden. Wo
keine Persönlichen Beziehungen die Errichtung eines Testaments befördern, werden die
Testamente ebensooft unterbleiben als bisher, und in einer Generation nach Einführung
des Reichserbrechts werden nur noch einzelne Sonderlinge auf den Gedanken kommen, daß
die Blutsverwandtschaft mit dieser oder jener Person für sich allein ein Grund sein könnte,
sie zum Erben einzusetzen."

Damit wird einmal bestätigt, was ich stets vertreten habe, daß der Erfolg
des Reichserbrechts durch eine Vermehrung der Testamente nicht in Frage gestellt
wird. Gleichzeitig wird mit diesen zutreffenden Ausführungen aber auch still¬
schweigend anerkannt, daß innerhalb des weiteren Familienverbandes, nachdem
die wichtigsten Pflichten der Familie ans Staat und Reich übergegangen find,
schon jetzt kein lebhaftes Gefühl der Zusammengehörigkeit mehr rege ist. Wollte
man jedoch die einmal in natürlicher, geschichtlicher Entwickelung gelockerten
Beziehungen künstlich durch Überlassung von Erbschaften auf Kosten der Gesamt¬
heit festigen, so wäre das vom wirtschaftlichen wie logischen Standpunkt aus
ein verfehltes Unternehmen; Liebe wird nicht erkauft. Bedurfte diese Wahrheit
eines Beweises, so ist er erbracht. Denn der sinnlose römische Satz, wonach
auch die entferntesten Verwandten bis ins Unendliche erben, steht ja heute noch
als deutsches Recht in Geltung, und trotzdem ist der Zusammenhang der Familie
stark gelockert. Angesichts dieser Tatsache ist es doppelt wünschenswert, das,
was einmal an Interesse für die Familie dahingeschwunden ist, mit Hilfe einer
Neugestaltung der Erbfolge wiederzugewinnen an Verständnis für die Ausgaben
und Bedürfnisse des Reiches, an Liebe zum Vaterlande.




Für das Erbrecht des Reiches

sind nicht selten. Das ist das Gebiet, auf dem der lachende Erbe herrscht, zum
Hohn auf jede ehrliche Arbeit. Wer im praktischen Leben steht, weiß, wie es
vielfach mit dem gerühmten Familiensinn in Wirklichkeit bestellt ist. Es besteht
kein Erfahrungssatz dahin, daß Verwandte sich regelmäßig gut vertragen; am
wenigsten läßt sich das gerade bei Erdfällen feststellen, wenn es ans Teilen geht.
Nicht einmal unter Geschwistern, sobald sie verheiratet sind, ist ein gutes Ein¬
vernehmen als Regel anzusehen, geschweige unter entfernten Verwandten' Zwist
oder doch Gleichgültigkeit tritt nur zu oft an die Stelle verwandtschaftlicher
Zuneigung. Das beobachtete schon Goethe als Knabe, und er hat es als alter
Mann nach einem langen Leben bestätigt. Und so ist es noch heute, wenn
man die Wahrheit aussprechen will, — so bedauerlich es sein mag. Die Auf¬
fassung scheint auch Herr v. Katte zu teilen. Denn er führt aus:


„Gewiß werden sich namentlich zu Anfang energische Naturen finden, die gerade durch
die Einführung eines Reichserbrechts veranlaßt werden, Testamente zugunsten ihrer Ver¬
wandten zu errichten. Die große Mehrheit der Menschen aber läßt sich doch treiben. Man
gewöhnt sich, wie an alles, so auch an den Gedanken, denn Reich beerbt zu werden. Wo
keine Persönlichen Beziehungen die Errichtung eines Testaments befördern, werden die
Testamente ebensooft unterbleiben als bisher, und in einer Generation nach Einführung
des Reichserbrechts werden nur noch einzelne Sonderlinge auf den Gedanken kommen, daß
die Blutsverwandtschaft mit dieser oder jener Person für sich allein ein Grund sein könnte,
sie zum Erben einzusetzen."

Damit wird einmal bestätigt, was ich stets vertreten habe, daß der Erfolg
des Reichserbrechts durch eine Vermehrung der Testamente nicht in Frage gestellt
wird. Gleichzeitig wird mit diesen zutreffenden Ausführungen aber auch still¬
schweigend anerkannt, daß innerhalb des weiteren Familienverbandes, nachdem
die wichtigsten Pflichten der Familie ans Staat und Reich übergegangen find,
schon jetzt kein lebhaftes Gefühl der Zusammengehörigkeit mehr rege ist. Wollte
man jedoch die einmal in natürlicher, geschichtlicher Entwickelung gelockerten
Beziehungen künstlich durch Überlassung von Erbschaften auf Kosten der Gesamt¬
heit festigen, so wäre das vom wirtschaftlichen wie logischen Standpunkt aus
ein verfehltes Unternehmen; Liebe wird nicht erkauft. Bedurfte diese Wahrheit
eines Beweises, so ist er erbracht. Denn der sinnlose römische Satz, wonach
auch die entferntesten Verwandten bis ins Unendliche erben, steht ja heute noch
als deutsches Recht in Geltung, und trotzdem ist der Zusammenhang der Familie
stark gelockert. Angesichts dieser Tatsache ist es doppelt wünschenswert, das,
was einmal an Interesse für die Familie dahingeschwunden ist, mit Hilfe einer
Neugestaltung der Erbfolge wiederzugewinnen an Verständnis für die Ausgaben
und Bedürfnisse des Reiches, an Liebe zum Vaterlande.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/292>, abgerufen am 28.12.2024.