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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Richard Ivagners Kunst in? modernen Frankreich

mindestens ebenso störend, wie es der Anblick der Maschinen und der zu ihrer
Bedienung ans der Bühne verwandten Menschen wäre." Adolphe Sax, der
Schöpfer des nach ihn: benannten und in Frankreich viel verwendeten Blas¬
instruments, hatte für die Pariser Ausstellung 1867 sogar einen Theaterbauplan
ganz im Sinne Wagners ausgearbeitet und sich dabei auf die Andeutungen
eines weit älteren Landsmannes, des Komponisten Gretry, gestützt. Dieser
schrieb im Jahre fünf der französischen Republik: "Ich wünsche, daß der Theater¬
saal klein sei und höchstens tausend Personen fasse, daß er nur eine Art Plätze
habe und weder kleine noch große Logen. Ich wünsche, daß das Orchester
bedeckt sei, und daß man weder die Musiker uoch die Lichter der Pulte vom
Zuschauerraum aus bemerke. Die Wirkung wäre zauberhaft, man wüßte jeden¬
falls, daß man das Orchester niemals dort vermuten würde". Alle diese
Beziehungen Wagners zu phantasievollen Wünschen französischer Musiker
schmeichelten der gallischen Eitelkeit und näherten die Kunstfreunde jenseits des
Rheins den Banrenther Plänen.

Da trat mit dem Jahre 1870 plötzlich der große Wandel ein. Gewiß,
das große Publikum hatte damals in Frankreich ebensowenig wie in Deutsch¬
land innigere Fühlung mit der neuen Kunst gewonnen. Das Beispiel der
"Tannhäuser"-Aufführung in Paris spricht dafür deutlich genug. Aber die
Musiker schienen sich in die Ideen überraschend schnell eingelebt zu haben. AIs
im Jahre 1876 die Bayreuther Festspiele ins Leben traten, ließen es sich die
Führer der französischen Kunst trotz der nach dem Kriege eingetretenen, allzu
begreiflichen Spannung nicht nehmen, nach Bayreuth zu kommen, um mit eigenen
Ohren und Augen zu genießen. Freilich, Saint-Säens, der einst mit lautester
Stimme den Ruhm Wagners verkündet, der alle nachstrebenden mit Begeisterung
auf das hehre Vorbild hingewiesen hatte, ließ jetzt statt des Jubels nur Warnungen
hören. Er nörgelte an allen Ecken, verbohrte sich in Äußerlichkeiten des Szenischen
und Gesanglichen, um über den Kern der Sache, die Wagnerkunst, kurz hinweg-
zu gleiten.

Sollen nur ihn: daraus eine Anklage schmieden? -- Mit richten. Wer den
französischen Charakter, den nationalen Stolz versteht, muß seine Berechtigung
anerkennen und darf dann auch diese aus den politischen Verhältnissen erklär¬
lichen Gegensätze nicht unterschätzen. Zur Ehre Saint-Säens' aber sei es gesagt,
daß er sich später bemühte, die Widersprüche in seiner Stellung zu Wagner zu
erklären und in einer kleinen Schrift zu begründen. In seinem frühen Mannes¬
alter erkor er sich den "Fliegenden Holländer", den "Lohengrin" zum Vorbild.
Mit vornehmer Freimütigkeit gesteht er zu, daß mit dem Fortschreiten der
Wagnerschen Kunst seine Stellung zu ihm sich änderte. Wer den "Lohengrin"
liebt, braucht den "Tristan" nicht zu lieben. Gewiß gibt er zu, das Genie
stecke sich nicht seine Straße ab, sondern bahne sich den Weg im Vorwärts¬
dringen; sich an eine Route binden, hieße sich der Tatenlosigkeit preisgeben.
Er achte, er preise die Freiheit, die Wagner in der Kunst für sich beanspruche.


Richard Ivagners Kunst in? modernen Frankreich

mindestens ebenso störend, wie es der Anblick der Maschinen und der zu ihrer
Bedienung ans der Bühne verwandten Menschen wäre." Adolphe Sax, der
Schöpfer des nach ihn: benannten und in Frankreich viel verwendeten Blas¬
instruments, hatte für die Pariser Ausstellung 1867 sogar einen Theaterbauplan
ganz im Sinne Wagners ausgearbeitet und sich dabei auf die Andeutungen
eines weit älteren Landsmannes, des Komponisten Gretry, gestützt. Dieser
schrieb im Jahre fünf der französischen Republik: „Ich wünsche, daß der Theater¬
saal klein sei und höchstens tausend Personen fasse, daß er nur eine Art Plätze
habe und weder kleine noch große Logen. Ich wünsche, daß das Orchester
bedeckt sei, und daß man weder die Musiker uoch die Lichter der Pulte vom
Zuschauerraum aus bemerke. Die Wirkung wäre zauberhaft, man wüßte jeden¬
falls, daß man das Orchester niemals dort vermuten würde". Alle diese
Beziehungen Wagners zu phantasievollen Wünschen französischer Musiker
schmeichelten der gallischen Eitelkeit und näherten die Kunstfreunde jenseits des
Rheins den Banrenther Plänen.

Da trat mit dem Jahre 1870 plötzlich der große Wandel ein. Gewiß,
das große Publikum hatte damals in Frankreich ebensowenig wie in Deutsch¬
land innigere Fühlung mit der neuen Kunst gewonnen. Das Beispiel der
„Tannhäuser"-Aufführung in Paris spricht dafür deutlich genug. Aber die
Musiker schienen sich in die Ideen überraschend schnell eingelebt zu haben. AIs
im Jahre 1876 die Bayreuther Festspiele ins Leben traten, ließen es sich die
Führer der französischen Kunst trotz der nach dem Kriege eingetretenen, allzu
begreiflichen Spannung nicht nehmen, nach Bayreuth zu kommen, um mit eigenen
Ohren und Augen zu genießen. Freilich, Saint-Säens, der einst mit lautester
Stimme den Ruhm Wagners verkündet, der alle nachstrebenden mit Begeisterung
auf das hehre Vorbild hingewiesen hatte, ließ jetzt statt des Jubels nur Warnungen
hören. Er nörgelte an allen Ecken, verbohrte sich in Äußerlichkeiten des Szenischen
und Gesanglichen, um über den Kern der Sache, die Wagnerkunst, kurz hinweg-
zu gleiten.

Sollen nur ihn: daraus eine Anklage schmieden? — Mit richten. Wer den
französischen Charakter, den nationalen Stolz versteht, muß seine Berechtigung
anerkennen und darf dann auch diese aus den politischen Verhältnissen erklär¬
lichen Gegensätze nicht unterschätzen. Zur Ehre Saint-Säens' aber sei es gesagt,
daß er sich später bemühte, die Widersprüche in seiner Stellung zu Wagner zu
erklären und in einer kleinen Schrift zu begründen. In seinem frühen Mannes¬
alter erkor er sich den „Fliegenden Holländer", den „Lohengrin" zum Vorbild.
Mit vornehmer Freimütigkeit gesteht er zu, daß mit dem Fortschreiten der
Wagnerschen Kunst seine Stellung zu ihm sich änderte. Wer den „Lohengrin"
liebt, braucht den „Tristan" nicht zu lieben. Gewiß gibt er zu, das Genie
stecke sich nicht seine Straße ab, sondern bahne sich den Weg im Vorwärts¬
dringen; sich an eine Route binden, hieße sich der Tatenlosigkeit preisgeben.
Er achte, er preise die Freiheit, die Wagner in der Kunst für sich beanspruche.


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[0283] Richard Ivagners Kunst in? modernen Frankreich mindestens ebenso störend, wie es der Anblick der Maschinen und der zu ihrer Bedienung ans der Bühne verwandten Menschen wäre." Adolphe Sax, der Schöpfer des nach ihn: benannten und in Frankreich viel verwendeten Blas¬ instruments, hatte für die Pariser Ausstellung 1867 sogar einen Theaterbauplan ganz im Sinne Wagners ausgearbeitet und sich dabei auf die Andeutungen eines weit älteren Landsmannes, des Komponisten Gretry, gestützt. Dieser schrieb im Jahre fünf der französischen Republik: „Ich wünsche, daß der Theater¬ saal klein sei und höchstens tausend Personen fasse, daß er nur eine Art Plätze habe und weder kleine noch große Logen. Ich wünsche, daß das Orchester bedeckt sei, und daß man weder die Musiker uoch die Lichter der Pulte vom Zuschauerraum aus bemerke. Die Wirkung wäre zauberhaft, man wüßte jeden¬ falls, daß man das Orchester niemals dort vermuten würde". Alle diese Beziehungen Wagners zu phantasievollen Wünschen französischer Musiker schmeichelten der gallischen Eitelkeit und näherten die Kunstfreunde jenseits des Rheins den Banrenther Plänen. Da trat mit dem Jahre 1870 plötzlich der große Wandel ein. Gewiß, das große Publikum hatte damals in Frankreich ebensowenig wie in Deutsch¬ land innigere Fühlung mit der neuen Kunst gewonnen. Das Beispiel der „Tannhäuser"-Aufführung in Paris spricht dafür deutlich genug. Aber die Musiker schienen sich in die Ideen überraschend schnell eingelebt zu haben. AIs im Jahre 1876 die Bayreuther Festspiele ins Leben traten, ließen es sich die Führer der französischen Kunst trotz der nach dem Kriege eingetretenen, allzu begreiflichen Spannung nicht nehmen, nach Bayreuth zu kommen, um mit eigenen Ohren und Augen zu genießen. Freilich, Saint-Säens, der einst mit lautester Stimme den Ruhm Wagners verkündet, der alle nachstrebenden mit Begeisterung auf das hehre Vorbild hingewiesen hatte, ließ jetzt statt des Jubels nur Warnungen hören. Er nörgelte an allen Ecken, verbohrte sich in Äußerlichkeiten des Szenischen und Gesanglichen, um über den Kern der Sache, die Wagnerkunst, kurz hinweg- zu gleiten. Sollen nur ihn: daraus eine Anklage schmieden? — Mit richten. Wer den französischen Charakter, den nationalen Stolz versteht, muß seine Berechtigung anerkennen und darf dann auch diese aus den politischen Verhältnissen erklär¬ lichen Gegensätze nicht unterschätzen. Zur Ehre Saint-Säens' aber sei es gesagt, daß er sich später bemühte, die Widersprüche in seiner Stellung zu Wagner zu erklären und in einer kleinen Schrift zu begründen. In seinem frühen Mannes¬ alter erkor er sich den „Fliegenden Holländer", den „Lohengrin" zum Vorbild. Mit vornehmer Freimütigkeit gesteht er zu, daß mit dem Fortschreiten der Wagnerschen Kunst seine Stellung zu ihm sich änderte. Wer den „Lohengrin" liebt, braucht den „Tristan" nicht zu lieben. Gewiß gibt er zu, das Genie stecke sich nicht seine Straße ab, sondern bahne sich den Weg im Vorwärts¬ dringen; sich an eine Route binden, hieße sich der Tatenlosigkeit preisgeben. Er achte, er preise die Freiheit, die Wagner in der Kunst für sich beanspruche.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/283>, abgerufen am 28.12.2024.