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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Der Beamte als Staatsbürger

gestellt und die Autorität in vernünftigem Sinne aufs neue und sicherer errichtet
und begründet, weil jeder einzelne sich zur Überzeugung hindurchgerungen hat.

Es ist begreiflich, daß die Staatsregierung der Wandelung in der Auf¬
fassung dieser staatsrechtlichen Stellung der Beamten nur zaghaft folgt, weil sie
fürchten mag, daß ihr die Leitung aus den Händen gleitet. Allein bei näherer
Prüfung dürfte sich diese Befürchtung nicht als stichhaltig erweisen. Im
Gegenteil, wer es ehrlich mit der Aufrechterhaltung der Staats autoridad, aber
auch mit der fortschreitenden Entwickelung des öffentlichen Dienstes zum Heil
des Gemeinwesens meint, der muß wünschen, daß die Regierung je eher desto
besser ihre ablehnende Haltung aufgebe, wenn sie Einfluß auf ihre Beamten
behalten will.

Eine Einwirkung wie früher ist heute nicht mehr möglich. Dazu ist das
Heer der Beamten allzusehr angeschwollen. Die Bewegung, die entstanden
ist, geht nicht bloß durch einzelne Köpfe, sie hat das Schicksal der Zeit geteilt
und die Masse ergriffen. Wie groß in Wirklichkeit die Zahl der Staats- und
Kommunalbeamten geworden, läßt sich mit Sicherheit zahlenmäßig nicht fest¬
stellen*). Vergleichen wir die Zahlen, die sich für das Reichsgebiet in der
Verwaltung der Post und Telegraphie ergeben, welche der Höhe von 400000
nahe kommen, stellen wir daneben die Zahl aller im Eisenbahnbetriebs- und
Bauwesen Angestellten, die Lehrerschaft an Volks- und Mittelschulen, aller
Beamten der inneren Verwaltung, der Justiz, überschlagen wir die Zahl der
Beamten der Finanzverwaltung, des Zoll- und Steuerwesens, und ziehen wir
daneben die Gruppe der kommunalen Beamten in Rechnung, so wird die
Gesamtsumme von nahezu eineinhalb Millionen nicht zu hoch gegriffen sein.
Daß in diesen Massen das Bedürfnis nach Zusammenschluß, nach einer fest¬
gefügten und wirksamen Organisation entstand, das war nach dem Beispiel
anderer Stände nur eine Frage der Zeit. Ganz natürlich finden wir einen
solchen Zusammenschluß zuerst in den drei großen Klassen der Post- und
Telegraphenbeamten, der Eisenbahnbediensteten, der Lehrer. Aber weit über
diese Gruppen hinaus haben sich Beamtenvereine gebildet. Es bestehen solche
in allen Klassen der Unterbeamten, der Mittelbeamten, ja auch schon der
höheren Beamten. Das Recht der Freiheit zum Zusammenschluß zur Vereins¬
und Verbandsbilduug kann den Beamten nicht mehr entrissen werden. Damit
sollte sich die Regierung nicht bloß abfinden, sie sollte sich nicht
Schritt für Schritt zu Entgegenkommen drängen lassen, sie sollte
von sich aus die Anerkennung des Gewordenen vollziehen, um auch



") Interessante Angaben hierzu finden sich in einem in den Grenzvoten wiederholt
erwähnten Aufsatz von Albert Hesse in Conrads Jahrbüchern (III- Folge, 40. Band,
Dezember 1910, S. 721 ff.) "Berufliche und soziale Gliederung um 'Deutschen
Reich". Dort lesen wir u. a., daß die Zahl aller Beamten, einschließlich der Privat-
beamten, gestiegen ist von 807265 im Jahre 1882 auf 1299728 im Jahre 1907, früher
1,90 Prozent der Bevölkerung ausmachte, jetzt aber 6,28 Prozent! Die Schriftleitnng.
Der Beamte als Staatsbürger

gestellt und die Autorität in vernünftigem Sinne aufs neue und sicherer errichtet
und begründet, weil jeder einzelne sich zur Überzeugung hindurchgerungen hat.

Es ist begreiflich, daß die Staatsregierung der Wandelung in der Auf¬
fassung dieser staatsrechtlichen Stellung der Beamten nur zaghaft folgt, weil sie
fürchten mag, daß ihr die Leitung aus den Händen gleitet. Allein bei näherer
Prüfung dürfte sich diese Befürchtung nicht als stichhaltig erweisen. Im
Gegenteil, wer es ehrlich mit der Aufrechterhaltung der Staats autoridad, aber
auch mit der fortschreitenden Entwickelung des öffentlichen Dienstes zum Heil
des Gemeinwesens meint, der muß wünschen, daß die Regierung je eher desto
besser ihre ablehnende Haltung aufgebe, wenn sie Einfluß auf ihre Beamten
behalten will.

Eine Einwirkung wie früher ist heute nicht mehr möglich. Dazu ist das
Heer der Beamten allzusehr angeschwollen. Die Bewegung, die entstanden
ist, geht nicht bloß durch einzelne Köpfe, sie hat das Schicksal der Zeit geteilt
und die Masse ergriffen. Wie groß in Wirklichkeit die Zahl der Staats- und
Kommunalbeamten geworden, läßt sich mit Sicherheit zahlenmäßig nicht fest¬
stellen*). Vergleichen wir die Zahlen, die sich für das Reichsgebiet in der
Verwaltung der Post und Telegraphie ergeben, welche der Höhe von 400000
nahe kommen, stellen wir daneben die Zahl aller im Eisenbahnbetriebs- und
Bauwesen Angestellten, die Lehrerschaft an Volks- und Mittelschulen, aller
Beamten der inneren Verwaltung, der Justiz, überschlagen wir die Zahl der
Beamten der Finanzverwaltung, des Zoll- und Steuerwesens, und ziehen wir
daneben die Gruppe der kommunalen Beamten in Rechnung, so wird die
Gesamtsumme von nahezu eineinhalb Millionen nicht zu hoch gegriffen sein.
Daß in diesen Massen das Bedürfnis nach Zusammenschluß, nach einer fest¬
gefügten und wirksamen Organisation entstand, das war nach dem Beispiel
anderer Stände nur eine Frage der Zeit. Ganz natürlich finden wir einen
solchen Zusammenschluß zuerst in den drei großen Klassen der Post- und
Telegraphenbeamten, der Eisenbahnbediensteten, der Lehrer. Aber weit über
diese Gruppen hinaus haben sich Beamtenvereine gebildet. Es bestehen solche
in allen Klassen der Unterbeamten, der Mittelbeamten, ja auch schon der
höheren Beamten. Das Recht der Freiheit zum Zusammenschluß zur Vereins¬
und Verbandsbilduug kann den Beamten nicht mehr entrissen werden. Damit
sollte sich die Regierung nicht bloß abfinden, sie sollte sich nicht
Schritt für Schritt zu Entgegenkommen drängen lassen, sie sollte
von sich aus die Anerkennung des Gewordenen vollziehen, um auch



") Interessante Angaben hierzu finden sich in einem in den Grenzvoten wiederholt
erwähnten Aufsatz von Albert Hesse in Conrads Jahrbüchern (III- Folge, 40. Band,
Dezember 1910, S. 721 ff.) „Berufliche und soziale Gliederung um 'Deutschen
Reich". Dort lesen wir u. a., daß die Zahl aller Beamten, einschließlich der Privat-
beamten, gestiegen ist von 807265 im Jahre 1882 auf 1299728 im Jahre 1907, früher
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[0277] Der Beamte als Staatsbürger gestellt und die Autorität in vernünftigem Sinne aufs neue und sicherer errichtet und begründet, weil jeder einzelne sich zur Überzeugung hindurchgerungen hat. Es ist begreiflich, daß die Staatsregierung der Wandelung in der Auf¬ fassung dieser staatsrechtlichen Stellung der Beamten nur zaghaft folgt, weil sie fürchten mag, daß ihr die Leitung aus den Händen gleitet. Allein bei näherer Prüfung dürfte sich diese Befürchtung nicht als stichhaltig erweisen. Im Gegenteil, wer es ehrlich mit der Aufrechterhaltung der Staats autoridad, aber auch mit der fortschreitenden Entwickelung des öffentlichen Dienstes zum Heil des Gemeinwesens meint, der muß wünschen, daß die Regierung je eher desto besser ihre ablehnende Haltung aufgebe, wenn sie Einfluß auf ihre Beamten behalten will. Eine Einwirkung wie früher ist heute nicht mehr möglich. Dazu ist das Heer der Beamten allzusehr angeschwollen. Die Bewegung, die entstanden ist, geht nicht bloß durch einzelne Köpfe, sie hat das Schicksal der Zeit geteilt und die Masse ergriffen. Wie groß in Wirklichkeit die Zahl der Staats- und Kommunalbeamten geworden, läßt sich mit Sicherheit zahlenmäßig nicht fest¬ stellen*). Vergleichen wir die Zahlen, die sich für das Reichsgebiet in der Verwaltung der Post und Telegraphie ergeben, welche der Höhe von 400000 nahe kommen, stellen wir daneben die Zahl aller im Eisenbahnbetriebs- und Bauwesen Angestellten, die Lehrerschaft an Volks- und Mittelschulen, aller Beamten der inneren Verwaltung, der Justiz, überschlagen wir die Zahl der Beamten der Finanzverwaltung, des Zoll- und Steuerwesens, und ziehen wir daneben die Gruppe der kommunalen Beamten in Rechnung, so wird die Gesamtsumme von nahezu eineinhalb Millionen nicht zu hoch gegriffen sein. Daß in diesen Massen das Bedürfnis nach Zusammenschluß, nach einer fest¬ gefügten und wirksamen Organisation entstand, das war nach dem Beispiel anderer Stände nur eine Frage der Zeit. Ganz natürlich finden wir einen solchen Zusammenschluß zuerst in den drei großen Klassen der Post- und Telegraphenbeamten, der Eisenbahnbediensteten, der Lehrer. Aber weit über diese Gruppen hinaus haben sich Beamtenvereine gebildet. Es bestehen solche in allen Klassen der Unterbeamten, der Mittelbeamten, ja auch schon der höheren Beamten. Das Recht der Freiheit zum Zusammenschluß zur Vereins¬ und Verbandsbilduug kann den Beamten nicht mehr entrissen werden. Damit sollte sich die Regierung nicht bloß abfinden, sie sollte sich nicht Schritt für Schritt zu Entgegenkommen drängen lassen, sie sollte von sich aus die Anerkennung des Gewordenen vollziehen, um auch ") Interessante Angaben hierzu finden sich in einem in den Grenzvoten wiederholt erwähnten Aufsatz von Albert Hesse in Conrads Jahrbüchern (III- Folge, 40. Band, Dezember 1910, S. 721 ff.) „Berufliche und soziale Gliederung um 'Deutschen Reich". Dort lesen wir u. a., daß die Zahl aller Beamten, einschließlich der Privat- beamten, gestiegen ist von 807265 im Jahre 1882 auf 1299728 im Jahre 1907, früher 1,90 Prozent der Bevölkerung ausmachte, jetzt aber 6,28 Prozent! Die Schriftleitnng.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/277>, abgerufen am 24.07.2024.