Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Llsaß - lothringische Fragen

Lothringer in einigen Zweigen der Verwaltung bereits ganz desorganisiert ist
(Justizverwaltung), in anderen aus Mangel an tüchtigem jungen Nach¬
wüchse dem gleichen Schicksale zu verfallen droht, einmütig die vorgeschlagene
Änderung mit Freuden begrüßen wird; jedenfalls wird die Beseitigung des
für das Land jetzt schon verhängnisvollen Grundsatzes: Elsaß-Lothringen den
Elsaß-Lothringern, vor allem auf diesem Gebiete die erfreulichsten Vorteile für
das Laud zeitigen.

Auch in wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung wird Elsaß-Lothringen
durch die Vereinigung mit Preußen nur gewinnen. Die Aufhebung der Statt¬
halterschaft, die Beseitigung des Landesausschusses und des Ministeriums
(dessen gesetzentwerfende Tätigkeit in Zukunft entbehrlich werden würde)
bedeuten an sich schon erhebliche Ersparnisse im Staatshaushalt. Weitere
Ersparnisse werden sich durch die Erweiterung der Selbstverwaltung und
durch die Reform der Verwaltung ergeben. Abgesehen davon werden
auch große wirtschaftliche Aufgaben, wie z. B. die Kaualisierung der
Mosel, Regulierung des Oberrheines (die für Elsaß-Lothringen geradezu
Lebensfragen sind), durch Preußen sehr bald gelöst werden. Auch die Über¬
nahme der Reichseisenbahn durch Preußen, welches das Reich entsprechend zu
entschädigen hätte, wird sicher manche Eisenbahnwünsche des Landes der Erfüllung
näher bringen. Denn es läßt sich mit Sicherheit voraussehen, daß Preußen
versuchen wird und muß, den unfruchtbaren Streit um politische Axiome und
Theorien durch die Voranstellung der Wirtschaftspolitiken Fragen auf ein Gebiet
abzulenken, auf dem die Gemeinsamkeit der Interessen schließlich immer noch
den Sieg über nationale und Stammesgegensätze davongetragen hat, und daß
es bestrebt sein wird, durch Lösung dieser Fragen moralische Eroberungen zu
machen.

Vielleicht weniger schnell, aber stetig wird sich auch in den Grundeigentums¬
verhältnissen der Reichslande ein dem Deutschtum erwünschter Umschwung mit
Naturnotwendigkeit vollziehen. In Lothringen (Elsaß mit überwiegend klein¬
bäuerlichen Besitz kommt dabei nicht in Frage) gibt es noch zahlreiche größere
und mittlere Güter, deren Eigentümer -- Nationalfranzosen -- sie nicht selbst
bewirtschaften, sondern verpachten und die Pachtschillinge im Auslande ver¬
zehren. Die für die Volkswirtschaft ebenso wie für die Pächter und die
beteiligten Gemeinden unerwünschten Folgen des Absentismus werden hier noch
um so bedenklicher, als die Avsentisten Ausländer sind, die selbst bei loyalster
Haltung einfach infolge der Macht wirtschaftlicher Tatsachen einen dem Deutsch¬
tum abträglichen Einfluß ausüben. Unter preußischer Verwaltung wird sich
der allmähliche friedliche Wechsel in den Grundeigentuinsverhältnissen -- aus
Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde -- sicher noch
beschleunigen.

Und kann man daran zweifeln, daß auch das Reich als solches von der
Übertragung seiner staatlichen Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen an Preußen


Llsaß - lothringische Fragen

Lothringer in einigen Zweigen der Verwaltung bereits ganz desorganisiert ist
(Justizverwaltung), in anderen aus Mangel an tüchtigem jungen Nach¬
wüchse dem gleichen Schicksale zu verfallen droht, einmütig die vorgeschlagene
Änderung mit Freuden begrüßen wird; jedenfalls wird die Beseitigung des
für das Land jetzt schon verhängnisvollen Grundsatzes: Elsaß-Lothringen den
Elsaß-Lothringern, vor allem auf diesem Gebiete die erfreulichsten Vorteile für
das Laud zeitigen.

Auch in wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung wird Elsaß-Lothringen
durch die Vereinigung mit Preußen nur gewinnen. Die Aufhebung der Statt¬
halterschaft, die Beseitigung des Landesausschusses und des Ministeriums
(dessen gesetzentwerfende Tätigkeit in Zukunft entbehrlich werden würde)
bedeuten an sich schon erhebliche Ersparnisse im Staatshaushalt. Weitere
Ersparnisse werden sich durch die Erweiterung der Selbstverwaltung und
durch die Reform der Verwaltung ergeben. Abgesehen davon werden
auch große wirtschaftliche Aufgaben, wie z. B. die Kaualisierung der
Mosel, Regulierung des Oberrheines (die für Elsaß-Lothringen geradezu
Lebensfragen sind), durch Preußen sehr bald gelöst werden. Auch die Über¬
nahme der Reichseisenbahn durch Preußen, welches das Reich entsprechend zu
entschädigen hätte, wird sicher manche Eisenbahnwünsche des Landes der Erfüllung
näher bringen. Denn es läßt sich mit Sicherheit voraussehen, daß Preußen
versuchen wird und muß, den unfruchtbaren Streit um politische Axiome und
Theorien durch die Voranstellung der Wirtschaftspolitiken Fragen auf ein Gebiet
abzulenken, auf dem die Gemeinsamkeit der Interessen schließlich immer noch
den Sieg über nationale und Stammesgegensätze davongetragen hat, und daß
es bestrebt sein wird, durch Lösung dieser Fragen moralische Eroberungen zu
machen.

Vielleicht weniger schnell, aber stetig wird sich auch in den Grundeigentums¬
verhältnissen der Reichslande ein dem Deutschtum erwünschter Umschwung mit
Naturnotwendigkeit vollziehen. In Lothringen (Elsaß mit überwiegend klein¬
bäuerlichen Besitz kommt dabei nicht in Frage) gibt es noch zahlreiche größere
und mittlere Güter, deren Eigentümer — Nationalfranzosen — sie nicht selbst
bewirtschaften, sondern verpachten und die Pachtschillinge im Auslande ver¬
zehren. Die für die Volkswirtschaft ebenso wie für die Pächter und die
beteiligten Gemeinden unerwünschten Folgen des Absentismus werden hier noch
um so bedenklicher, als die Avsentisten Ausländer sind, die selbst bei loyalster
Haltung einfach infolge der Macht wirtschaftlicher Tatsachen einen dem Deutsch¬
tum abträglichen Einfluß ausüben. Unter preußischer Verwaltung wird sich
der allmähliche friedliche Wechsel in den Grundeigentuinsverhältnissen — aus
Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde — sicher noch
beschleunigen.

Und kann man daran zweifeln, daß auch das Reich als solches von der
Übertragung seiner staatlichen Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen an Preußen


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0227" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317840"/>
            <fw type="header" place="top"> Llsaß - lothringische Fragen</fw><lb/>
            <p xml:id="ID_1103" prev="#ID_1102"> Lothringer in einigen Zweigen der Verwaltung bereits ganz desorganisiert ist<lb/>
(Justizverwaltung), in anderen aus Mangel an tüchtigem jungen Nach¬<lb/>
wüchse dem gleichen Schicksale zu verfallen droht, einmütig die vorgeschlagene<lb/>
Änderung mit Freuden begrüßen wird; jedenfalls wird die Beseitigung des<lb/>
für das Land jetzt schon verhängnisvollen Grundsatzes: Elsaß-Lothringen den<lb/>
Elsaß-Lothringern, vor allem auf diesem Gebiete die erfreulichsten Vorteile für<lb/>
das Laud zeitigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1104"> Auch in wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung wird Elsaß-Lothringen<lb/>
durch die Vereinigung mit Preußen nur gewinnen. Die Aufhebung der Statt¬<lb/>
halterschaft, die Beseitigung des Landesausschusses und des Ministeriums<lb/>
(dessen gesetzentwerfende Tätigkeit in Zukunft entbehrlich werden würde)<lb/>
bedeuten an sich schon erhebliche Ersparnisse im Staatshaushalt. Weitere<lb/>
Ersparnisse werden sich durch die Erweiterung der Selbstverwaltung und<lb/>
durch die Reform der Verwaltung ergeben. Abgesehen davon werden<lb/>
auch große wirtschaftliche Aufgaben, wie z. B. die Kaualisierung der<lb/>
Mosel, Regulierung des Oberrheines (die für Elsaß-Lothringen geradezu<lb/>
Lebensfragen sind), durch Preußen sehr bald gelöst werden. Auch die Über¬<lb/>
nahme der Reichseisenbahn durch Preußen, welches das Reich entsprechend zu<lb/>
entschädigen hätte, wird sicher manche Eisenbahnwünsche des Landes der Erfüllung<lb/>
näher bringen. Denn es läßt sich mit Sicherheit voraussehen, daß Preußen<lb/>
versuchen wird und muß, den unfruchtbaren Streit um politische Axiome und<lb/>
Theorien durch die Voranstellung der Wirtschaftspolitiken Fragen auf ein Gebiet<lb/>
abzulenken, auf dem die Gemeinsamkeit der Interessen schließlich immer noch<lb/>
den Sieg über nationale und Stammesgegensätze davongetragen hat, und daß<lb/>
es bestrebt sein wird, durch Lösung dieser Fragen moralische Eroberungen zu<lb/>
machen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1105"> Vielleicht weniger schnell, aber stetig wird sich auch in den Grundeigentums¬<lb/>
verhältnissen der Reichslande ein dem Deutschtum erwünschter Umschwung mit<lb/>
Naturnotwendigkeit vollziehen. In Lothringen (Elsaß mit überwiegend klein¬<lb/>
bäuerlichen Besitz kommt dabei nicht in Frage) gibt es noch zahlreiche größere<lb/>
und mittlere Güter, deren Eigentümer &#x2014; Nationalfranzosen &#x2014; sie nicht selbst<lb/>
bewirtschaften, sondern verpachten und die Pachtschillinge im Auslande ver¬<lb/>
zehren. Die für die Volkswirtschaft ebenso wie für die Pächter und die<lb/>
beteiligten Gemeinden unerwünschten Folgen des Absentismus werden hier noch<lb/>
um so bedenklicher, als die Avsentisten Ausländer sind, die selbst bei loyalster<lb/>
Haltung einfach infolge der Macht wirtschaftlicher Tatsachen einen dem Deutsch¬<lb/>
tum abträglichen Einfluß ausüben. Unter preußischer Verwaltung wird sich<lb/>
der allmähliche friedliche Wechsel in den Grundeigentuinsverhältnissen &#x2014; aus<lb/>
Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde &#x2014; sicher noch<lb/>
beschleunigen.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_1106" next="#ID_1107"> Und kann man daran zweifeln, daß auch das Reich als solches von der<lb/>
Übertragung seiner staatlichen Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen an Preußen</p><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0227] Llsaß - lothringische Fragen Lothringer in einigen Zweigen der Verwaltung bereits ganz desorganisiert ist (Justizverwaltung), in anderen aus Mangel an tüchtigem jungen Nach¬ wüchse dem gleichen Schicksale zu verfallen droht, einmütig die vorgeschlagene Änderung mit Freuden begrüßen wird; jedenfalls wird die Beseitigung des für das Land jetzt schon verhängnisvollen Grundsatzes: Elsaß-Lothringen den Elsaß-Lothringern, vor allem auf diesem Gebiete die erfreulichsten Vorteile für das Laud zeitigen. Auch in wirtschaftlicher und finanzieller Beziehung wird Elsaß-Lothringen durch die Vereinigung mit Preußen nur gewinnen. Die Aufhebung der Statt¬ halterschaft, die Beseitigung des Landesausschusses und des Ministeriums (dessen gesetzentwerfende Tätigkeit in Zukunft entbehrlich werden würde) bedeuten an sich schon erhebliche Ersparnisse im Staatshaushalt. Weitere Ersparnisse werden sich durch die Erweiterung der Selbstverwaltung und durch die Reform der Verwaltung ergeben. Abgesehen davon werden auch große wirtschaftliche Aufgaben, wie z. B. die Kaualisierung der Mosel, Regulierung des Oberrheines (die für Elsaß-Lothringen geradezu Lebensfragen sind), durch Preußen sehr bald gelöst werden. Auch die Über¬ nahme der Reichseisenbahn durch Preußen, welches das Reich entsprechend zu entschädigen hätte, wird sicher manche Eisenbahnwünsche des Landes der Erfüllung näher bringen. Denn es läßt sich mit Sicherheit voraussehen, daß Preußen versuchen wird und muß, den unfruchtbaren Streit um politische Axiome und Theorien durch die Voranstellung der Wirtschaftspolitiken Fragen auf ein Gebiet abzulenken, auf dem die Gemeinsamkeit der Interessen schließlich immer noch den Sieg über nationale und Stammesgegensätze davongetragen hat, und daß es bestrebt sein wird, durch Lösung dieser Fragen moralische Eroberungen zu machen. Vielleicht weniger schnell, aber stetig wird sich auch in den Grundeigentums¬ verhältnissen der Reichslande ein dem Deutschtum erwünschter Umschwung mit Naturnotwendigkeit vollziehen. In Lothringen (Elsaß mit überwiegend klein¬ bäuerlichen Besitz kommt dabei nicht in Frage) gibt es noch zahlreiche größere und mittlere Güter, deren Eigentümer — Nationalfranzosen — sie nicht selbst bewirtschaften, sondern verpachten und die Pachtschillinge im Auslande ver¬ zehren. Die für die Volkswirtschaft ebenso wie für die Pächter und die beteiligten Gemeinden unerwünschten Folgen des Absentismus werden hier noch um so bedenklicher, als die Avsentisten Ausländer sind, die selbst bei loyalster Haltung einfach infolge der Macht wirtschaftlicher Tatsachen einen dem Deutsch¬ tum abträglichen Einfluß ausüben. Unter preußischer Verwaltung wird sich der allmähliche friedliche Wechsel in den Grundeigentuinsverhältnissen — aus Gründen, deren Erörterung hier zu weit führen würde — sicher noch beschleunigen. Und kann man daran zweifeln, daß auch das Reich als solches von der Übertragung seiner staatlichen Hoheitsrechte über Elsaß-Lothringen an Preußen

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/227
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/227>, abgerufen am 28.12.2024.