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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Geselligkeit, Gesolligkeitsformeu und Geselligkeitssurrogate

die Reformer von: Wesen der Geselligkeit gar keine Ahnung haben. Die einen
kommen mit der alten deutschen Ernsthaftigkeit an, sind Gelehrtensnobs und
bilden sich ein, daß Geselligkeit da entsteht, wo zwei Professoren drei Stunden
lang sich über "das Geistesleben auf Island" oder ein ähnlich populäres
Thema unterhalten und die Umsitzenden ihnen notgedrungen und gelangweilt
zuhören. Oder sie meinen Geselligkeit zu erzeugen, wenn sie hundert Personen,
darunter zwanzig Berühmtheiten kunterbunt in einen Raum zusammensperren
und jedem Nichtberühmten schon an der Tür verzückt zuflüstern: "Der und der
ist auch da. . . Wir erwarten auch die und die." Vor allem aber will
der Gründlichkeitsmeier zum Heil der Geselligkeit jede Diskusston über Persön¬
liches vermieden wissen, denn Persönliches nennt er Klatsch, und Klatsch ist für
ihn immer ein niedriges, bösartiges Altweibergeschwätz, das zum Strickstrumpf
und zur Kaffeetasse gehört. Daß in den berühmten Pariser Salons, wie ich
schon vorhin sagte, auch der Klatsch, d. h. Interesse und Neugier für Mensch¬
liches und Allzumenschliches, immer rege war, daß in einem geistreichen und
vertieften sogenannten Klatschgespräch zehnmal mehr Psychologie, menschliche
Teilnahme und Blutwärme stecken kann, als in einem gelehrten Walzer, ist ihm
nicht beizubringen. Auch der Wechsel der Gesprächsthemen verdrießt den
Gründlichkeitsreformer. Man soll "bei der Stange bleiben", um "etwas zu¬
tage zu fördern", und wie die Redensarten lauten, bei denen jedem die Haut
schaudert, der von Geselligkeit nur eine Ahnung hat. Es ist immer so, als
ob man bunten Schmetterlingen raten würde, Somatose oder Emmenthaler Käse
herzustellen ...

Die ästhetischen Reformer versuchen es auf einem andern Wege. Sie
wollen den stilvoll dekorierten Raum, das eigenartige Gewand, Beleuchtungs-,
Gruppierungs- und Parfümeffekte zu Hilfe rufen, um die Geselligkeit zu heben.
Ellen Key, die vor einigen Jahren mit einem Vortrag über Geselligkeit reiste,
versuchte einen Kompromiß zwischen Gründlichkeit und Ästhetik mit einenr
kleinen Einschlag von "zurück zur Natur", d. h. zur Einfachheit, und sie brachte
höchst eigenartige Vorschläge an den Tag. Sie rühmte z. B., daß ein Professor
sein Zimmer mit blauen Tüchern behängt, rundum Photographien des Straß-
burger Münsters aufgestellt und seinen Gästen über das Straßburger Münster
vorgelesen habe. Sie rühmte ferner gesellige Veranstaltungen in ihrer Heimat,
bei denen junge Leute das Nationalkostüm trugen, Heimattänze aufführten und
Wasser dazu tranken, weil sie alle Temperenzler waren. Sie sprach von
Studenten, die Kommilitonen einluden, um ihnen Märchen zu erzählen, und
was derlei rührend weit- und geselligkeitsfremde Dinge mehr sind; denn es
wird wohl niemand ernsthaft glauben, daß es Geselligkeit vorstellt, wenn man
über das Straßburger Münster vorliest, Nationaltünzen zusieht oder Märchen hört.

Noch andere meinen, unsere Geselligkeit leide unter dein allzu großen
Luxus, den man ihr aufbürdet, und verweisen auf die einst so vielverlästerten,
armen Butterbrode der Berliner Salons. Andere wiederum vertreten die eut-


Geselligkeit, Gesolligkeitsformeu und Geselligkeitssurrogate

die Reformer von: Wesen der Geselligkeit gar keine Ahnung haben. Die einen
kommen mit der alten deutschen Ernsthaftigkeit an, sind Gelehrtensnobs und
bilden sich ein, daß Geselligkeit da entsteht, wo zwei Professoren drei Stunden
lang sich über „das Geistesleben auf Island" oder ein ähnlich populäres
Thema unterhalten und die Umsitzenden ihnen notgedrungen und gelangweilt
zuhören. Oder sie meinen Geselligkeit zu erzeugen, wenn sie hundert Personen,
darunter zwanzig Berühmtheiten kunterbunt in einen Raum zusammensperren
und jedem Nichtberühmten schon an der Tür verzückt zuflüstern: „Der und der
ist auch da. . . Wir erwarten auch die und die." Vor allem aber will
der Gründlichkeitsmeier zum Heil der Geselligkeit jede Diskusston über Persön¬
liches vermieden wissen, denn Persönliches nennt er Klatsch, und Klatsch ist für
ihn immer ein niedriges, bösartiges Altweibergeschwätz, das zum Strickstrumpf
und zur Kaffeetasse gehört. Daß in den berühmten Pariser Salons, wie ich
schon vorhin sagte, auch der Klatsch, d. h. Interesse und Neugier für Mensch¬
liches und Allzumenschliches, immer rege war, daß in einem geistreichen und
vertieften sogenannten Klatschgespräch zehnmal mehr Psychologie, menschliche
Teilnahme und Blutwärme stecken kann, als in einem gelehrten Walzer, ist ihm
nicht beizubringen. Auch der Wechsel der Gesprächsthemen verdrießt den
Gründlichkeitsreformer. Man soll „bei der Stange bleiben", um „etwas zu¬
tage zu fördern", und wie die Redensarten lauten, bei denen jedem die Haut
schaudert, der von Geselligkeit nur eine Ahnung hat. Es ist immer so, als
ob man bunten Schmetterlingen raten würde, Somatose oder Emmenthaler Käse
herzustellen ...

Die ästhetischen Reformer versuchen es auf einem andern Wege. Sie
wollen den stilvoll dekorierten Raum, das eigenartige Gewand, Beleuchtungs-,
Gruppierungs- und Parfümeffekte zu Hilfe rufen, um die Geselligkeit zu heben.
Ellen Key, die vor einigen Jahren mit einem Vortrag über Geselligkeit reiste,
versuchte einen Kompromiß zwischen Gründlichkeit und Ästhetik mit einenr
kleinen Einschlag von „zurück zur Natur", d. h. zur Einfachheit, und sie brachte
höchst eigenartige Vorschläge an den Tag. Sie rühmte z. B., daß ein Professor
sein Zimmer mit blauen Tüchern behängt, rundum Photographien des Straß-
burger Münsters aufgestellt und seinen Gästen über das Straßburger Münster
vorgelesen habe. Sie rühmte ferner gesellige Veranstaltungen in ihrer Heimat,
bei denen junge Leute das Nationalkostüm trugen, Heimattänze aufführten und
Wasser dazu tranken, weil sie alle Temperenzler waren. Sie sprach von
Studenten, die Kommilitonen einluden, um ihnen Märchen zu erzählen, und
was derlei rührend weit- und geselligkeitsfremde Dinge mehr sind; denn es
wird wohl niemand ernsthaft glauben, daß es Geselligkeit vorstellt, wenn man
über das Straßburger Münster vorliest, Nationaltünzen zusieht oder Märchen hört.

Noch andere meinen, unsere Geselligkeit leide unter dein allzu großen
Luxus, den man ihr aufbürdet, und verweisen auf die einst so vielverlästerten,
armen Butterbrode der Berliner Salons. Andere wiederum vertreten die eut-


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[0181] Geselligkeit, Gesolligkeitsformeu und Geselligkeitssurrogate die Reformer von: Wesen der Geselligkeit gar keine Ahnung haben. Die einen kommen mit der alten deutschen Ernsthaftigkeit an, sind Gelehrtensnobs und bilden sich ein, daß Geselligkeit da entsteht, wo zwei Professoren drei Stunden lang sich über „das Geistesleben auf Island" oder ein ähnlich populäres Thema unterhalten und die Umsitzenden ihnen notgedrungen und gelangweilt zuhören. Oder sie meinen Geselligkeit zu erzeugen, wenn sie hundert Personen, darunter zwanzig Berühmtheiten kunterbunt in einen Raum zusammensperren und jedem Nichtberühmten schon an der Tür verzückt zuflüstern: „Der und der ist auch da. . . Wir erwarten auch die und die." Vor allem aber will der Gründlichkeitsmeier zum Heil der Geselligkeit jede Diskusston über Persön¬ liches vermieden wissen, denn Persönliches nennt er Klatsch, und Klatsch ist für ihn immer ein niedriges, bösartiges Altweibergeschwätz, das zum Strickstrumpf und zur Kaffeetasse gehört. Daß in den berühmten Pariser Salons, wie ich schon vorhin sagte, auch der Klatsch, d. h. Interesse und Neugier für Mensch¬ liches und Allzumenschliches, immer rege war, daß in einem geistreichen und vertieften sogenannten Klatschgespräch zehnmal mehr Psychologie, menschliche Teilnahme und Blutwärme stecken kann, als in einem gelehrten Walzer, ist ihm nicht beizubringen. Auch der Wechsel der Gesprächsthemen verdrießt den Gründlichkeitsreformer. Man soll „bei der Stange bleiben", um „etwas zu¬ tage zu fördern", und wie die Redensarten lauten, bei denen jedem die Haut schaudert, der von Geselligkeit nur eine Ahnung hat. Es ist immer so, als ob man bunten Schmetterlingen raten würde, Somatose oder Emmenthaler Käse herzustellen ... Die ästhetischen Reformer versuchen es auf einem andern Wege. Sie wollen den stilvoll dekorierten Raum, das eigenartige Gewand, Beleuchtungs-, Gruppierungs- und Parfümeffekte zu Hilfe rufen, um die Geselligkeit zu heben. Ellen Key, die vor einigen Jahren mit einem Vortrag über Geselligkeit reiste, versuchte einen Kompromiß zwischen Gründlichkeit und Ästhetik mit einenr kleinen Einschlag von „zurück zur Natur", d. h. zur Einfachheit, und sie brachte höchst eigenartige Vorschläge an den Tag. Sie rühmte z. B., daß ein Professor sein Zimmer mit blauen Tüchern behängt, rundum Photographien des Straß- burger Münsters aufgestellt und seinen Gästen über das Straßburger Münster vorgelesen habe. Sie rühmte ferner gesellige Veranstaltungen in ihrer Heimat, bei denen junge Leute das Nationalkostüm trugen, Heimattänze aufführten und Wasser dazu tranken, weil sie alle Temperenzler waren. Sie sprach von Studenten, die Kommilitonen einluden, um ihnen Märchen zu erzählen, und was derlei rührend weit- und geselligkeitsfremde Dinge mehr sind; denn es wird wohl niemand ernsthaft glauben, daß es Geselligkeit vorstellt, wenn man über das Straßburger Münster vorliest, Nationaltünzen zusieht oder Märchen hört. Noch andere meinen, unsere Geselligkeit leide unter dein allzu großen Luxus, den man ihr aufbürdet, und verweisen auf die einst so vielverlästerten, armen Butterbrode der Berliner Salons. Andere wiederum vertreten die eut-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/181>, abgerufen am 23.06.2024.