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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Geselligkeit, Gesclligkcitsformen und Gosclligkeitssurrogcite

Jahrhunderts, deren feinste Frauenerscheimmg Rahel Lewin war, diese sogenannten
ästhetischen Berliner Salons, in denen sich um scharmante und kluge Frauen
Gelehrte und königliche Prinzen, Künstler, Minister und Weltreisende drängten,
diese Salons sind fast die einzigen, deren Bedeutung über den Tag hinausreichte.
Es ging den Berliner Salons übrigens ganz ähnlich wie einst den Salons der
Prscieusen. Warf man jenen ihre Schokolade und ihre Literaturreformen als
Affektation vor, so hänselte man diese ob ihrer frugalen Butterbrode, ihres
Bildungshungers und ihrer Lust an philosophischen Deputaten. Selbst Heine,
auf den Rahel Lewin einen tiefen Eindruck gemacht hatte, konnte sich neben
andern Ironien nicht die Verse versagen:

Es liegt nun nahe und ist interessant, die Frage aufzuwerfen, warum
Deutschland keine wirkliche Geselligkeit gehabt hat, und sie ist selbstverständlich
auch schou des öfteren aufgeworfen worden. Man hat sie dann auch immer sehr fix
beantwortet: "Ja, Deutschland war eben doch immer ein zerrissenes und ein
armes Land, wie hätte es da zu einer wirklichen Geselligkeitstraditiou kommen
sollen?!" Das ist wohl richtig, stimmt aber doch nur zum Teil. Schließlich
sind wir nun seit mehr als einem Menschenalter groß, mächtig und reich, --
aber von einer Geselligkeitskultur ist weniger denn je die Rede. Oder vielmehr,
es ist wohl die Rede von ihr, denn immer wieder wird über Geselligkeit
gesprochen, geschrieben und gejammert, freilich mehr über ihren Mangel als
über ihr Vorhandensein. Der Grund unseres Mangels an Geselligkeit muß also
noch anderswo wurzeln als in wirren politischen und engen finanziellen Ver¬
hältnissen. Er wurzelt auch anderswo, und zwar zunächst in der Natur des Deutschen.

Im Gegensatz zum Franzosen ist der Deutsche schwer beweglichen Geistes.
Sein Hirn wirft Ideen nicht leichthin wie ein Funkenspiel auf, sondern gebiert
sie in langer, schwerer Arbeit. Er ist gründlich im besten wie im überflüssigen
Sinn; er ist nämlich auch da noch gründlich, wo Gründlichkeit unnütz, wenn
nicht gar hinderlich wirkt. Kein anderes Volk der Welt hat je mit solcher
Inbrunst, mit solcher Hingebung, mit solch märtyrerhafter Selbstverleugnung
den großen Ideen der Menschheit nachgespürt, wie der Deutsche. Aber kaum
ein anderes Volk hat auch eine so souveräne Verachtung der Dinge bewiesen,
die an der Oberfläche liegen, der Dinge, die nicht in mühseliger Geistesarbeit,
sondern mit ein bißchen Grazie ergründet sein wollen. Was nicht tief ist, ist
für den Deutschen auch gleich oberflächlich, und wenn er erst einmal "ober¬
flächlich" gesagt hat, ist das Verdammungsurteil schon gesprochen. Frau
v. Geoffrin, die von den Philosophen ihres Salons immer als "ass betes"
sprach, wäre in Deutschland ganz unmöglich gewesen. Kein Geistesheros Hütte
eine Frau gelten lassen, die von Männern der Wissenschaft ungefähr "meine


Geselligkeit, Gesclligkcitsformen und Gosclligkeitssurrogcite

Jahrhunderts, deren feinste Frauenerscheimmg Rahel Lewin war, diese sogenannten
ästhetischen Berliner Salons, in denen sich um scharmante und kluge Frauen
Gelehrte und königliche Prinzen, Künstler, Minister und Weltreisende drängten,
diese Salons sind fast die einzigen, deren Bedeutung über den Tag hinausreichte.
Es ging den Berliner Salons übrigens ganz ähnlich wie einst den Salons der
Prscieusen. Warf man jenen ihre Schokolade und ihre Literaturreformen als
Affektation vor, so hänselte man diese ob ihrer frugalen Butterbrode, ihres
Bildungshungers und ihrer Lust an philosophischen Deputaten. Selbst Heine,
auf den Rahel Lewin einen tiefen Eindruck gemacht hatte, konnte sich neben
andern Ironien nicht die Verse versagen:

Es liegt nun nahe und ist interessant, die Frage aufzuwerfen, warum
Deutschland keine wirkliche Geselligkeit gehabt hat, und sie ist selbstverständlich
auch schou des öfteren aufgeworfen worden. Man hat sie dann auch immer sehr fix
beantwortet: „Ja, Deutschland war eben doch immer ein zerrissenes und ein
armes Land, wie hätte es da zu einer wirklichen Geselligkeitstraditiou kommen
sollen?!" Das ist wohl richtig, stimmt aber doch nur zum Teil. Schließlich
sind wir nun seit mehr als einem Menschenalter groß, mächtig und reich, —
aber von einer Geselligkeitskultur ist weniger denn je die Rede. Oder vielmehr,
es ist wohl die Rede von ihr, denn immer wieder wird über Geselligkeit
gesprochen, geschrieben und gejammert, freilich mehr über ihren Mangel als
über ihr Vorhandensein. Der Grund unseres Mangels an Geselligkeit muß also
noch anderswo wurzeln als in wirren politischen und engen finanziellen Ver¬
hältnissen. Er wurzelt auch anderswo, und zwar zunächst in der Natur des Deutschen.

Im Gegensatz zum Franzosen ist der Deutsche schwer beweglichen Geistes.
Sein Hirn wirft Ideen nicht leichthin wie ein Funkenspiel auf, sondern gebiert
sie in langer, schwerer Arbeit. Er ist gründlich im besten wie im überflüssigen
Sinn; er ist nämlich auch da noch gründlich, wo Gründlichkeit unnütz, wenn
nicht gar hinderlich wirkt. Kein anderes Volk der Welt hat je mit solcher
Inbrunst, mit solcher Hingebung, mit solch märtyrerhafter Selbstverleugnung
den großen Ideen der Menschheit nachgespürt, wie der Deutsche. Aber kaum
ein anderes Volk hat auch eine so souveräne Verachtung der Dinge bewiesen,
die an der Oberfläche liegen, der Dinge, die nicht in mühseliger Geistesarbeit,
sondern mit ein bißchen Grazie ergründet sein wollen. Was nicht tief ist, ist
für den Deutschen auch gleich oberflächlich, und wenn er erst einmal „ober¬
flächlich" gesagt hat, ist das Verdammungsurteil schon gesprochen. Frau
v. Geoffrin, die von den Philosophen ihres Salons immer als „ass betes"
sprach, wäre in Deutschland ganz unmöglich gewesen. Kein Geistesheros Hütte
eine Frau gelten lassen, die von Männern der Wissenschaft ungefähr „meine


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[0178] Geselligkeit, Gesclligkcitsformen und Gosclligkeitssurrogcite Jahrhunderts, deren feinste Frauenerscheimmg Rahel Lewin war, diese sogenannten ästhetischen Berliner Salons, in denen sich um scharmante und kluge Frauen Gelehrte und königliche Prinzen, Künstler, Minister und Weltreisende drängten, diese Salons sind fast die einzigen, deren Bedeutung über den Tag hinausreichte. Es ging den Berliner Salons übrigens ganz ähnlich wie einst den Salons der Prscieusen. Warf man jenen ihre Schokolade und ihre Literaturreformen als Affektation vor, so hänselte man diese ob ihrer frugalen Butterbrode, ihres Bildungshungers und ihrer Lust an philosophischen Deputaten. Selbst Heine, auf den Rahel Lewin einen tiefen Eindruck gemacht hatte, konnte sich neben andern Ironien nicht die Verse versagen: Es liegt nun nahe und ist interessant, die Frage aufzuwerfen, warum Deutschland keine wirkliche Geselligkeit gehabt hat, und sie ist selbstverständlich auch schou des öfteren aufgeworfen worden. Man hat sie dann auch immer sehr fix beantwortet: „Ja, Deutschland war eben doch immer ein zerrissenes und ein armes Land, wie hätte es da zu einer wirklichen Geselligkeitstraditiou kommen sollen?!" Das ist wohl richtig, stimmt aber doch nur zum Teil. Schließlich sind wir nun seit mehr als einem Menschenalter groß, mächtig und reich, — aber von einer Geselligkeitskultur ist weniger denn je die Rede. Oder vielmehr, es ist wohl die Rede von ihr, denn immer wieder wird über Geselligkeit gesprochen, geschrieben und gejammert, freilich mehr über ihren Mangel als über ihr Vorhandensein. Der Grund unseres Mangels an Geselligkeit muß also noch anderswo wurzeln als in wirren politischen und engen finanziellen Ver¬ hältnissen. Er wurzelt auch anderswo, und zwar zunächst in der Natur des Deutschen. Im Gegensatz zum Franzosen ist der Deutsche schwer beweglichen Geistes. Sein Hirn wirft Ideen nicht leichthin wie ein Funkenspiel auf, sondern gebiert sie in langer, schwerer Arbeit. Er ist gründlich im besten wie im überflüssigen Sinn; er ist nämlich auch da noch gründlich, wo Gründlichkeit unnütz, wenn nicht gar hinderlich wirkt. Kein anderes Volk der Welt hat je mit solcher Inbrunst, mit solcher Hingebung, mit solch märtyrerhafter Selbstverleugnung den großen Ideen der Menschheit nachgespürt, wie der Deutsche. Aber kaum ein anderes Volk hat auch eine so souveräne Verachtung der Dinge bewiesen, die an der Oberfläche liegen, der Dinge, die nicht in mühseliger Geistesarbeit, sondern mit ein bißchen Grazie ergründet sein wollen. Was nicht tief ist, ist für den Deutschen auch gleich oberflächlich, und wenn er erst einmal „ober¬ flächlich" gesagt hat, ist das Verdammungsurteil schon gesprochen. Frau v. Geoffrin, die von den Philosophen ihres Salons immer als „ass betes" sprach, wäre in Deutschland ganz unmöglich gewesen. Kein Geistesheros Hütte eine Frau gelten lassen, die von Männern der Wissenschaft ungefähr „meine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/178>, abgerufen am 24.07.2024.