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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Sechsten", zweiter Teil. Nirgends hat er sich mit dieser Frage so eingehend
befaßt wie im "Koriolcm", der Tragödie des aristokratischen Selbstbewußtseins.

Was Adolf Wilbrcmdt über dieses Stück und seine dramatische Idee sagt,
will vom ästhetischen Standpunkt des Kritikers aufgefaßt sein. "Im Koriolcm
ist es geradezu die männliche Kraft, die in ihrer einseitigen Größe dichterisch
verherrlicht und tragisch gebrochen wird. Denn wie wenig Shakespeare daran
dachte, aus dieser echtesten Charaktertragödie ein politisches Drama zu machen,
in dem die großen historischen Mächte sich bekämpfen und geschichtliche Ideen
unterliegen und siegen sollen, das zeigt am deutlichsten die Unzufriedenheit der
Theoretiker, die aus ästhetischen Maximen diese Forderungen ausstellen und dann
mehr oder minder beredt dem Dichter grollen, daß er die ihm zugeschobene
Ausgabe so schlecht erfüllt habe. Er hat sie allerdings nicht erfüllt, -- weil sie
ihm sicherlich niemals auch nur vorgeschwebt hatte. Er dachte weder den Sieg
der demokratischen Idee über die aristokratische, noch des Adels über die Plebejer
zu feiern. Was den Dichter erregt hatte, war unzweifelhaft das große Schicksal,
das ein gewaltig angelegter Mensch durch rücksichtslose Entfesselung seiner
Naturkraft auf sich herabzieht. Ein Mensch, der nichts sein wollte als ein
Mann, der, wie Plutarch es ausdrückt: .alles zu meistern und sich nie zu fügen,
für das Wesen der Mannheit hielt'."

Shakespeare hat nicht den Sieg der demokratischen Idee über die aristo¬
kratische feiern, auch nicht die Weltanschauung der Aristokratie als die wertvollere
darstellen wollen. Aber die Politiker der rechts stehenden Parteien können aus
dem Drama lernen, wie ein uneingeschränkter Absolutismus im Sinne Koriolans,
und trügen ihn die geeignetsten Persönlichkeiten, eine Unmöglichkeit ist, und wie
die Verachtung, die Nichtachtung berechtigter Forderungen des "Volkes" zu einem
tragischen Ende führt. Und "die Vertreter des Volkes", wie die Abgeordneten
der sozialdemokratischen Partei u. a. genannt zu werden beanspruchen, mögen
an den Gestalten des Brutus und Sicinius ermessen, in welche Gefahr der
Verächtlichkeit derjenige gerät, der das Recht des aristokratischen Individuums
gegenüber dem Recht der Masse verneint, der von der Froschperspektive aus
die Vertreter einer aristokratischen Weltanschauung innerhalb einer anderen
Partei beurteilt.

In einem freilich läßt uns Shakespeares Koriolan nicht im unklaren: Er
lehrt den Wert eines Aristokratismus, der über den Parteien steht, der allein
als Aufgabe und Ziel der Menschheit kennt, was mit seinem Namen bezeichnet
wird. Er läßt erkennen, daß die Weltanschauung, die dem "Besten" die Krone
reichen läßt, die fruchtbarste und der Menschheit dienlichste ist. Der Untergang
Koriolans, der zwar Träger dieser Idee ist, sie aber nur für eine politische
Partei, die der Optimaten -- der Konservativen strengster Richtung, könnten
wir sagen -- in Anspruch nimmt, ist ein Beweis, daß man sich nicht ungestraft
gegen einen solchen Grundsatz des echten Aristokratismus versündigen darf, indem
man ihn überspannt, vereinseitigt und damit in sein Gegenteil verkehrt. Und


Sechsten", zweiter Teil. Nirgends hat er sich mit dieser Frage so eingehend
befaßt wie im „Koriolcm", der Tragödie des aristokratischen Selbstbewußtseins.

Was Adolf Wilbrcmdt über dieses Stück und seine dramatische Idee sagt,
will vom ästhetischen Standpunkt des Kritikers aufgefaßt sein. „Im Koriolcm
ist es geradezu die männliche Kraft, die in ihrer einseitigen Größe dichterisch
verherrlicht und tragisch gebrochen wird. Denn wie wenig Shakespeare daran
dachte, aus dieser echtesten Charaktertragödie ein politisches Drama zu machen,
in dem die großen historischen Mächte sich bekämpfen und geschichtliche Ideen
unterliegen und siegen sollen, das zeigt am deutlichsten die Unzufriedenheit der
Theoretiker, die aus ästhetischen Maximen diese Forderungen ausstellen und dann
mehr oder minder beredt dem Dichter grollen, daß er die ihm zugeschobene
Ausgabe so schlecht erfüllt habe. Er hat sie allerdings nicht erfüllt, — weil sie
ihm sicherlich niemals auch nur vorgeschwebt hatte. Er dachte weder den Sieg
der demokratischen Idee über die aristokratische, noch des Adels über die Plebejer
zu feiern. Was den Dichter erregt hatte, war unzweifelhaft das große Schicksal,
das ein gewaltig angelegter Mensch durch rücksichtslose Entfesselung seiner
Naturkraft auf sich herabzieht. Ein Mensch, der nichts sein wollte als ein
Mann, der, wie Plutarch es ausdrückt: .alles zu meistern und sich nie zu fügen,
für das Wesen der Mannheit hielt'."

Shakespeare hat nicht den Sieg der demokratischen Idee über die aristo¬
kratische feiern, auch nicht die Weltanschauung der Aristokratie als die wertvollere
darstellen wollen. Aber die Politiker der rechts stehenden Parteien können aus
dem Drama lernen, wie ein uneingeschränkter Absolutismus im Sinne Koriolans,
und trügen ihn die geeignetsten Persönlichkeiten, eine Unmöglichkeit ist, und wie
die Verachtung, die Nichtachtung berechtigter Forderungen des „Volkes" zu einem
tragischen Ende führt. Und „die Vertreter des Volkes", wie die Abgeordneten
der sozialdemokratischen Partei u. a. genannt zu werden beanspruchen, mögen
an den Gestalten des Brutus und Sicinius ermessen, in welche Gefahr der
Verächtlichkeit derjenige gerät, der das Recht des aristokratischen Individuums
gegenüber dem Recht der Masse verneint, der von der Froschperspektive aus
die Vertreter einer aristokratischen Weltanschauung innerhalb einer anderen
Partei beurteilt.

In einem freilich läßt uns Shakespeares Koriolan nicht im unklaren: Er
lehrt den Wert eines Aristokratismus, der über den Parteien steht, der allein
als Aufgabe und Ziel der Menschheit kennt, was mit seinem Namen bezeichnet
wird. Er läßt erkennen, daß die Weltanschauung, die dem „Besten" die Krone
reichen läßt, die fruchtbarste und der Menschheit dienlichste ist. Der Untergang
Koriolans, der zwar Träger dieser Idee ist, sie aber nur für eine politische
Partei, die der Optimaten — der Konservativen strengster Richtung, könnten
wir sagen — in Anspruch nimmt, ist ein Beweis, daß man sich nicht ungestraft
gegen einen solchen Grundsatz des echten Aristokratismus versündigen darf, indem
man ihn überspannt, vereinseitigt und damit in sein Gegenteil verkehrt. Und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/17>, abgerufen am 28.12.2024.