Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Marokkanischer Brief

unter Anerkennung der getroffenen Abkommen für sich ähnliche Vorteile zu
erlangen, wie sie Spanien erhalten hatte, oder aber sie ignorierte diese Ab¬
kommen völlig und stellte sich auf den völkerrechtlichen Boden, den die Madrider
Konvention im Jahre 1880 festgelegt hatte. Eine Änderung dieser Konvention
konnte dann nur mit Zustimmung aller Kontrahenten vorgenommen werden.

Die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg hing natürlich nicht in
erster Linie von unseren marokkanischen Interessen, sondern von allgemein¬
politischen Gesichtspunkten ab, und da siel vor allem ins Gewicht, daß in dem
Delcasseschen Vorgehen eine kecke Herausforderung und bewußte Brüskierung
Deutschlands gelegen hatte, und daß schon deshalb ein nachträglicher Beitritt
zu dem englisch-französischen Abkommen ausgeschlossen erschien. Es blieb
Deutschland deshalb nur die Möglichkeit, die drei beteiligten Mächte auf den
Boden der Madrider Konvention zurückzuzwiugen. Dies hat es getan.

Der Besuch des Kaisers in Tanger wird allen, die ihn erlebt haben, un¬
vergeßlich bleiben. Extradampfer von der Küste hatten die dort lebenden
Deutschen in großer Zahl nach Tanger gebracht, und alles harrte voller Er¬
wartung der festlichen Stunde. Leider wurde die Landung Seiner Majestät
durch schlechte See um mehrere Stunden verzögert, was von der französischen
Presse sofort dahin ausgelegt wurde, daß sich noch in letzter Stunde Bedenken
über die Zweckmäßigkeit des Besuches geltend gemacht hätten. Endlich, fast
unerwartet, löste sich vom Geschwader eine Reihe von Pinassen und brachte
den Kaiser unter dem Donner der Geschütze an Land. An: Hafentor wurden
Seiner Majestät von den: damaligen Geschäftsträger v. Kühlmcmn die Mit¬
glieder der Gesandtschaft und der deutschen Kolonie vorgestellt; ihr Senior, der
inzwischen verstorbene Herr Rottenburg, hielt eine Begrüßungsansprache, deren
Wirkung leider durch allzu starke Ergriffenheit von der historischen Bedeutung
der Stunde etwas beeinträchtigt wurde, und Seine Majestät versicherte in der
Antwort der deutschen Kolonie, daß sie im Vertrauen auf den Schutz des Reichs
unbeirrt ihre Pionierarbeit in Marokko fortsetzen solle. Dann ging es zu Pferde
durch die enge Hauptstraße hinauf zum großen Markt nach der Kaiserlichen
Gesandtschaft. Auf dem riesigen Platze hatten sich Tausende wehrhafter Kabnlen
aus der Nachbarschaft Tangers eingefunden, um den Kaiser durch wildes Ab¬
feuern ihrer Flinten zu grüßen, -- eine so eindrucksvolle Begrüßung, daß die
Pferde nur mit größter Mühe am Durchgehen gehindert werden konnten! In
der großen maurischen Halle der Gesandtschaft fand offizieller Empfang der
marokkanischen Würdenträger und des diplomatischen Korps statt, wobei Seine
Majestät Gelegenheit nahm, den französischen Geschäftsträger, Comte de Chörizey,
in unzweideutiger Weise darauf aufmerksam zu machen, daß das englisch-
französische Abkommen das Verhältnis Deutschlands zu Marokko in keiner Weise
berühre. -- Ein nach dem Empfang in Aussicht genommener weiterer Umritt
durch die Stadt über den sogen. Marsham wurde ini letzten Moment auf¬
gegeben, und zwar, weil, wie man sagte, bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit


Grenzboten I 1911 17
Marokkanischer Brief

unter Anerkennung der getroffenen Abkommen für sich ähnliche Vorteile zu
erlangen, wie sie Spanien erhalten hatte, oder aber sie ignorierte diese Ab¬
kommen völlig und stellte sich auf den völkerrechtlichen Boden, den die Madrider
Konvention im Jahre 1880 festgelegt hatte. Eine Änderung dieser Konvention
konnte dann nur mit Zustimmung aller Kontrahenten vorgenommen werden.

Die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg hing natürlich nicht in
erster Linie von unseren marokkanischen Interessen, sondern von allgemein¬
politischen Gesichtspunkten ab, und da siel vor allem ins Gewicht, daß in dem
Delcasseschen Vorgehen eine kecke Herausforderung und bewußte Brüskierung
Deutschlands gelegen hatte, und daß schon deshalb ein nachträglicher Beitritt
zu dem englisch-französischen Abkommen ausgeschlossen erschien. Es blieb
Deutschland deshalb nur die Möglichkeit, die drei beteiligten Mächte auf den
Boden der Madrider Konvention zurückzuzwiugen. Dies hat es getan.

Der Besuch des Kaisers in Tanger wird allen, die ihn erlebt haben, un¬
vergeßlich bleiben. Extradampfer von der Küste hatten die dort lebenden
Deutschen in großer Zahl nach Tanger gebracht, und alles harrte voller Er¬
wartung der festlichen Stunde. Leider wurde die Landung Seiner Majestät
durch schlechte See um mehrere Stunden verzögert, was von der französischen
Presse sofort dahin ausgelegt wurde, daß sich noch in letzter Stunde Bedenken
über die Zweckmäßigkeit des Besuches geltend gemacht hätten. Endlich, fast
unerwartet, löste sich vom Geschwader eine Reihe von Pinassen und brachte
den Kaiser unter dem Donner der Geschütze an Land. An: Hafentor wurden
Seiner Majestät von den: damaligen Geschäftsträger v. Kühlmcmn die Mit¬
glieder der Gesandtschaft und der deutschen Kolonie vorgestellt; ihr Senior, der
inzwischen verstorbene Herr Rottenburg, hielt eine Begrüßungsansprache, deren
Wirkung leider durch allzu starke Ergriffenheit von der historischen Bedeutung
der Stunde etwas beeinträchtigt wurde, und Seine Majestät versicherte in der
Antwort der deutschen Kolonie, daß sie im Vertrauen auf den Schutz des Reichs
unbeirrt ihre Pionierarbeit in Marokko fortsetzen solle. Dann ging es zu Pferde
durch die enge Hauptstraße hinauf zum großen Markt nach der Kaiserlichen
Gesandtschaft. Auf dem riesigen Platze hatten sich Tausende wehrhafter Kabnlen
aus der Nachbarschaft Tangers eingefunden, um den Kaiser durch wildes Ab¬
feuern ihrer Flinten zu grüßen, — eine so eindrucksvolle Begrüßung, daß die
Pferde nur mit größter Mühe am Durchgehen gehindert werden konnten! In
der großen maurischen Halle der Gesandtschaft fand offizieller Empfang der
marokkanischen Würdenträger und des diplomatischen Korps statt, wobei Seine
Majestät Gelegenheit nahm, den französischen Geschäftsträger, Comte de Chörizey,
in unzweideutiger Weise darauf aufmerksam zu machen, daß das englisch-
französische Abkommen das Verhältnis Deutschlands zu Marokko in keiner Weise
berühre. — Ein nach dem Empfang in Aussicht genommener weiterer Umritt
durch die Stadt über den sogen. Marsham wurde ini letzten Moment auf¬
gegeben, und zwar, weil, wie man sagte, bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit


Grenzboten I 1911 17
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0143" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317756"/>
          <fw type="header" place="top"> Marokkanischer Brief</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_637" prev="#ID_636"> unter Anerkennung der getroffenen Abkommen für sich ähnliche Vorteile zu<lb/>
erlangen, wie sie Spanien erhalten hatte, oder aber sie ignorierte diese Ab¬<lb/>
kommen völlig und stellte sich auf den völkerrechtlichen Boden, den die Madrider<lb/>
Konvention im Jahre 1880 festgelegt hatte. Eine Änderung dieser Konvention<lb/>
konnte dann nur mit Zustimmung aller Kontrahenten vorgenommen werden.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_638"> Die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg hing natürlich nicht in<lb/>
erster Linie von unseren marokkanischen Interessen, sondern von allgemein¬<lb/>
politischen Gesichtspunkten ab, und da siel vor allem ins Gewicht, daß in dem<lb/>
Delcasseschen Vorgehen eine kecke Herausforderung und bewußte Brüskierung<lb/>
Deutschlands gelegen hatte, und daß schon deshalb ein nachträglicher Beitritt<lb/>
zu dem englisch-französischen Abkommen ausgeschlossen erschien. Es blieb<lb/>
Deutschland deshalb nur die Möglichkeit, die drei beteiligten Mächte auf den<lb/>
Boden der Madrider Konvention zurückzuzwiugen. Dies hat es getan.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_639" next="#ID_640"> Der Besuch des Kaisers in Tanger wird allen, die ihn erlebt haben, un¬<lb/>
vergeßlich bleiben. Extradampfer von der Küste hatten die dort lebenden<lb/>
Deutschen in großer Zahl nach Tanger gebracht, und alles harrte voller Er¬<lb/>
wartung der festlichen Stunde. Leider wurde die Landung Seiner Majestät<lb/>
durch schlechte See um mehrere Stunden verzögert, was von der französischen<lb/>
Presse sofort dahin ausgelegt wurde, daß sich noch in letzter Stunde Bedenken<lb/>
über die Zweckmäßigkeit des Besuches geltend gemacht hätten. Endlich, fast<lb/>
unerwartet, löste sich vom Geschwader eine Reihe von Pinassen und brachte<lb/>
den Kaiser unter dem Donner der Geschütze an Land. An: Hafentor wurden<lb/>
Seiner Majestät von den: damaligen Geschäftsträger v. Kühlmcmn die Mit¬<lb/>
glieder der Gesandtschaft und der deutschen Kolonie vorgestellt; ihr Senior, der<lb/>
inzwischen verstorbene Herr Rottenburg, hielt eine Begrüßungsansprache, deren<lb/>
Wirkung leider durch allzu starke Ergriffenheit von der historischen Bedeutung<lb/>
der Stunde etwas beeinträchtigt wurde, und Seine Majestät versicherte in der<lb/>
Antwort der deutschen Kolonie, daß sie im Vertrauen auf den Schutz des Reichs<lb/>
unbeirrt ihre Pionierarbeit in Marokko fortsetzen solle. Dann ging es zu Pferde<lb/>
durch die enge Hauptstraße hinauf zum großen Markt nach der Kaiserlichen<lb/>
Gesandtschaft. Auf dem riesigen Platze hatten sich Tausende wehrhafter Kabnlen<lb/>
aus der Nachbarschaft Tangers eingefunden, um den Kaiser durch wildes Ab¬<lb/>
feuern ihrer Flinten zu grüßen, &#x2014; eine so eindrucksvolle Begrüßung, daß die<lb/>
Pferde nur mit größter Mühe am Durchgehen gehindert werden konnten! In<lb/>
der großen maurischen Halle der Gesandtschaft fand offizieller Empfang der<lb/>
marokkanischen Würdenträger und des diplomatischen Korps statt, wobei Seine<lb/>
Majestät Gelegenheit nahm, den französischen Geschäftsträger, Comte de Chörizey,<lb/>
in unzweideutiger Weise darauf aufmerksam zu machen, daß das englisch-<lb/>
französische Abkommen das Verhältnis Deutschlands zu Marokko in keiner Weise<lb/>
berühre. &#x2014; Ein nach dem Empfang in Aussicht genommener weiterer Umritt<lb/>
durch die Stadt über den sogen. Marsham wurde ini letzten Moment auf¬<lb/>
gegeben, und zwar, weil, wie man sagte, bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit</p><lb/>
          <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten I 1911 17</fw><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0143] Marokkanischer Brief unter Anerkennung der getroffenen Abkommen für sich ähnliche Vorteile zu erlangen, wie sie Spanien erhalten hatte, oder aber sie ignorierte diese Ab¬ kommen völlig und stellte sich auf den völkerrechtlichen Boden, den die Madrider Konvention im Jahre 1880 festgelegt hatte. Eine Änderung dieser Konvention konnte dann nur mit Zustimmung aller Kontrahenten vorgenommen werden. Die Entscheidung über den einzuschlagenden Weg hing natürlich nicht in erster Linie von unseren marokkanischen Interessen, sondern von allgemein¬ politischen Gesichtspunkten ab, und da siel vor allem ins Gewicht, daß in dem Delcasseschen Vorgehen eine kecke Herausforderung und bewußte Brüskierung Deutschlands gelegen hatte, und daß schon deshalb ein nachträglicher Beitritt zu dem englisch-französischen Abkommen ausgeschlossen erschien. Es blieb Deutschland deshalb nur die Möglichkeit, die drei beteiligten Mächte auf den Boden der Madrider Konvention zurückzuzwiugen. Dies hat es getan. Der Besuch des Kaisers in Tanger wird allen, die ihn erlebt haben, un¬ vergeßlich bleiben. Extradampfer von der Küste hatten die dort lebenden Deutschen in großer Zahl nach Tanger gebracht, und alles harrte voller Er¬ wartung der festlichen Stunde. Leider wurde die Landung Seiner Majestät durch schlechte See um mehrere Stunden verzögert, was von der französischen Presse sofort dahin ausgelegt wurde, daß sich noch in letzter Stunde Bedenken über die Zweckmäßigkeit des Besuches geltend gemacht hätten. Endlich, fast unerwartet, löste sich vom Geschwader eine Reihe von Pinassen und brachte den Kaiser unter dem Donner der Geschütze an Land. An: Hafentor wurden Seiner Majestät von den: damaligen Geschäftsträger v. Kühlmcmn die Mit¬ glieder der Gesandtschaft und der deutschen Kolonie vorgestellt; ihr Senior, der inzwischen verstorbene Herr Rottenburg, hielt eine Begrüßungsansprache, deren Wirkung leider durch allzu starke Ergriffenheit von der historischen Bedeutung der Stunde etwas beeinträchtigt wurde, und Seine Majestät versicherte in der Antwort der deutschen Kolonie, daß sie im Vertrauen auf den Schutz des Reichs unbeirrt ihre Pionierarbeit in Marokko fortsetzen solle. Dann ging es zu Pferde durch die enge Hauptstraße hinauf zum großen Markt nach der Kaiserlichen Gesandtschaft. Auf dem riesigen Platze hatten sich Tausende wehrhafter Kabnlen aus der Nachbarschaft Tangers eingefunden, um den Kaiser durch wildes Ab¬ feuern ihrer Flinten zu grüßen, — eine so eindrucksvolle Begrüßung, daß die Pferde nur mit größter Mühe am Durchgehen gehindert werden konnten! In der großen maurischen Halle der Gesandtschaft fand offizieller Empfang der marokkanischen Würdenträger und des diplomatischen Korps statt, wobei Seine Majestät Gelegenheit nahm, den französischen Geschäftsträger, Comte de Chörizey, in unzweideutiger Weise darauf aufmerksam zu machen, daß das englisch- französische Abkommen das Verhältnis Deutschlands zu Marokko in keiner Weise berühre. — Ein nach dem Empfang in Aussicht genommener weiterer Umritt durch die Stadt über den sogen. Marsham wurde ini letzten Moment auf¬ gegeben, und zwar, weil, wie man sagte, bei dieser Gelegenheit die Möglichkeit Grenzboten I 1911 17

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/143
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/143>, abgerufen am 29.12.2024.