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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Die Aufgabe des deutschen Bürgertums

daß man den jungen Leuten das Verfügungsrecht über ihren Verdienst nimmt
und es in die Hand der Fannlien-Vertrauensleute legt. Diese sind die geeignete
Instanz darüber, zu bestimmen, wieviel den jungen Leuten ausgehändigt,
wieviel der Familie zuteil werden und wieviel zurückgelegt werden soll. Wenn
man es für Recht hüte, den Arbeitgebern einen großen Teil ihres Verdienstes
abzunehmen und anderen zu überweisen, so ist es den jungen Arbeitern wahrlich
nicht zu viel zugemutet, wenn ihnen das Verfügungsrecht über ihren Verdienst
in dieser Weise beschränkt wird.

Um ihr Amt erfolgreich betätigen zu können, müssen diese Erziehungs-
ausschüsse also Befugnisse erhalten, die unter Umständen recht tief in das
wirtschaftliche Leben ihrer Mitarbeiter einschneiden. Es liegt nahe, daß die
Betroffenen alle möglichen Mittel anwenden werden, die einzelnen Mitglieder
der Ausschüsse von ihrer pflichtgemäßen Anordnung solcher Maßregeln abzu¬
schrecken. Wenn man also ernstlich eine Schädigung der Jugend verhüten
will, so ist es unumgänglich, daß hinter diese Ausschüsse eine Instanz gestellt
wird, die angewiesen ist, die Ausschüsse zur strengen Durchführung ihrer Aufgabe
anzuhalten. Wenn man dein Arbeitgeber, der gewissermaßen eine Ehrenstellnng
in dieser sozialpolitischen Gesetzgebung einnimmt, insofern er zu den Lasten
beiträgt, ohne etwas selbst davon zu beanspruchen, das Ehrenrecht einräumt,
seine Beisteuer zu diesen Kassen für seinen ganzen Betrieb versagen zu können,
im Falle die Erziehungsausschüsse die Ehre ihres Amtes nicht wahren, gegen
widerstrebende Erwachsene nicht einschreiten oder die jungen Leute uicht genügend
überwachen, so ist diese Instanz geschaffen. Die Erziehungsausschüsse müssen
nun gewärtig sein, daß der Arbeitgeber, der naturgemäß bestrebt ist, möglichst
wenig zu den sozialen Lasten beizutragen, jeden Fall von Lässigkeit ihrerseits
als einen willkommenen Anlaß aufgreifen wird, seine Zuschüsse vermindern zu
können. Sie werden also ihre Aufgabe durchführen, um nicht ihre ganze
Mitarbeiterschaft der großen Beihilfe des Fabrikanten verlustig zu mache".
Wenn der Arbeitgeber, mit diesem Ehrenrecht ausgestattet, dem Erziehungs¬
ausschusse beitritt, so erhält er damit die Ehrenpflicht, wie überall in seinem
Betriebe auch auf diesem sittlichen Gebiete anzuregen, zu leiten und zu fördern.
Und wenn dann noch ein oder mehrere Vertreter der Betriebsbeamten hinzu-
gezogen werden, die Verständnis für die Lebensauffassung der Arbeiter und der
Arbeitgeber haben und ihrer täglichen Aufgabe nach zwischen beiden vermitteln,
so ist die Organisation des Betriebes zu einer Bernfsgemeinde vollendet, in der
durch das Trachten nach gemeinsamem Verdienst zusammengeführte, äußerlich
verschieden gestellte Personen durch das gemeinsame Streben nach allgemein
menschlichen höheren Zielen einander gleich werden können.

Damit nun die erzieherischen Bestrebungen überall gleichlaufend verfolgt
werden, ist es erforderlich, diese Betriebsgemeiudeu in geeigneter Form nach
oben in Amts- oder Orts-, Kreis-, Provinz- und Landesverbünden zusammen¬
zufassen. (Betriebe von beträchtlicher Größe wären von vornherein in Zweig-


Die Aufgabe des deutschen Bürgertums

daß man den jungen Leuten das Verfügungsrecht über ihren Verdienst nimmt
und es in die Hand der Fannlien-Vertrauensleute legt. Diese sind die geeignete
Instanz darüber, zu bestimmen, wieviel den jungen Leuten ausgehändigt,
wieviel der Familie zuteil werden und wieviel zurückgelegt werden soll. Wenn
man es für Recht hüte, den Arbeitgebern einen großen Teil ihres Verdienstes
abzunehmen und anderen zu überweisen, so ist es den jungen Arbeitern wahrlich
nicht zu viel zugemutet, wenn ihnen das Verfügungsrecht über ihren Verdienst
in dieser Weise beschränkt wird.

Um ihr Amt erfolgreich betätigen zu können, müssen diese Erziehungs-
ausschüsse also Befugnisse erhalten, die unter Umständen recht tief in das
wirtschaftliche Leben ihrer Mitarbeiter einschneiden. Es liegt nahe, daß die
Betroffenen alle möglichen Mittel anwenden werden, die einzelnen Mitglieder
der Ausschüsse von ihrer pflichtgemäßen Anordnung solcher Maßregeln abzu¬
schrecken. Wenn man also ernstlich eine Schädigung der Jugend verhüten
will, so ist es unumgänglich, daß hinter diese Ausschüsse eine Instanz gestellt
wird, die angewiesen ist, die Ausschüsse zur strengen Durchführung ihrer Aufgabe
anzuhalten. Wenn man dein Arbeitgeber, der gewissermaßen eine Ehrenstellnng
in dieser sozialpolitischen Gesetzgebung einnimmt, insofern er zu den Lasten
beiträgt, ohne etwas selbst davon zu beanspruchen, das Ehrenrecht einräumt,
seine Beisteuer zu diesen Kassen für seinen ganzen Betrieb versagen zu können,
im Falle die Erziehungsausschüsse die Ehre ihres Amtes nicht wahren, gegen
widerstrebende Erwachsene nicht einschreiten oder die jungen Leute uicht genügend
überwachen, so ist diese Instanz geschaffen. Die Erziehungsausschüsse müssen
nun gewärtig sein, daß der Arbeitgeber, der naturgemäß bestrebt ist, möglichst
wenig zu den sozialen Lasten beizutragen, jeden Fall von Lässigkeit ihrerseits
als einen willkommenen Anlaß aufgreifen wird, seine Zuschüsse vermindern zu
können. Sie werden also ihre Aufgabe durchführen, um nicht ihre ganze
Mitarbeiterschaft der großen Beihilfe des Fabrikanten verlustig zu mache».
Wenn der Arbeitgeber, mit diesem Ehrenrecht ausgestattet, dem Erziehungs¬
ausschusse beitritt, so erhält er damit die Ehrenpflicht, wie überall in seinem
Betriebe auch auf diesem sittlichen Gebiete anzuregen, zu leiten und zu fördern.
Und wenn dann noch ein oder mehrere Vertreter der Betriebsbeamten hinzu-
gezogen werden, die Verständnis für die Lebensauffassung der Arbeiter und der
Arbeitgeber haben und ihrer täglichen Aufgabe nach zwischen beiden vermitteln,
so ist die Organisation des Betriebes zu einer Bernfsgemeinde vollendet, in der
durch das Trachten nach gemeinsamem Verdienst zusammengeführte, äußerlich
verschieden gestellte Personen durch das gemeinsame Streben nach allgemein
menschlichen höheren Zielen einander gleich werden können.

Damit nun die erzieherischen Bestrebungen überall gleichlaufend verfolgt
werden, ist es erforderlich, diese Betriebsgemeiudeu in geeigneter Form nach
oben in Amts- oder Orts-, Kreis-, Provinz- und Landesverbünden zusammen¬
zufassen. (Betriebe von beträchtlicher Größe wären von vornherein in Zweig-


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[0126] Die Aufgabe des deutschen Bürgertums daß man den jungen Leuten das Verfügungsrecht über ihren Verdienst nimmt und es in die Hand der Fannlien-Vertrauensleute legt. Diese sind die geeignete Instanz darüber, zu bestimmen, wieviel den jungen Leuten ausgehändigt, wieviel der Familie zuteil werden und wieviel zurückgelegt werden soll. Wenn man es für Recht hüte, den Arbeitgebern einen großen Teil ihres Verdienstes abzunehmen und anderen zu überweisen, so ist es den jungen Arbeitern wahrlich nicht zu viel zugemutet, wenn ihnen das Verfügungsrecht über ihren Verdienst in dieser Weise beschränkt wird. Um ihr Amt erfolgreich betätigen zu können, müssen diese Erziehungs- ausschüsse also Befugnisse erhalten, die unter Umständen recht tief in das wirtschaftliche Leben ihrer Mitarbeiter einschneiden. Es liegt nahe, daß die Betroffenen alle möglichen Mittel anwenden werden, die einzelnen Mitglieder der Ausschüsse von ihrer pflichtgemäßen Anordnung solcher Maßregeln abzu¬ schrecken. Wenn man also ernstlich eine Schädigung der Jugend verhüten will, so ist es unumgänglich, daß hinter diese Ausschüsse eine Instanz gestellt wird, die angewiesen ist, die Ausschüsse zur strengen Durchführung ihrer Aufgabe anzuhalten. Wenn man dein Arbeitgeber, der gewissermaßen eine Ehrenstellnng in dieser sozialpolitischen Gesetzgebung einnimmt, insofern er zu den Lasten beiträgt, ohne etwas selbst davon zu beanspruchen, das Ehrenrecht einräumt, seine Beisteuer zu diesen Kassen für seinen ganzen Betrieb versagen zu können, im Falle die Erziehungsausschüsse die Ehre ihres Amtes nicht wahren, gegen widerstrebende Erwachsene nicht einschreiten oder die jungen Leute uicht genügend überwachen, so ist diese Instanz geschaffen. Die Erziehungsausschüsse müssen nun gewärtig sein, daß der Arbeitgeber, der naturgemäß bestrebt ist, möglichst wenig zu den sozialen Lasten beizutragen, jeden Fall von Lässigkeit ihrerseits als einen willkommenen Anlaß aufgreifen wird, seine Zuschüsse vermindern zu können. Sie werden also ihre Aufgabe durchführen, um nicht ihre ganze Mitarbeiterschaft der großen Beihilfe des Fabrikanten verlustig zu mache». Wenn der Arbeitgeber, mit diesem Ehrenrecht ausgestattet, dem Erziehungs¬ ausschusse beitritt, so erhält er damit die Ehrenpflicht, wie überall in seinem Betriebe auch auf diesem sittlichen Gebiete anzuregen, zu leiten und zu fördern. Und wenn dann noch ein oder mehrere Vertreter der Betriebsbeamten hinzu- gezogen werden, die Verständnis für die Lebensauffassung der Arbeiter und der Arbeitgeber haben und ihrer täglichen Aufgabe nach zwischen beiden vermitteln, so ist die Organisation des Betriebes zu einer Bernfsgemeinde vollendet, in der durch das Trachten nach gemeinsamem Verdienst zusammengeführte, äußerlich verschieden gestellte Personen durch das gemeinsame Streben nach allgemein menschlichen höheren Zielen einander gleich werden können. Damit nun die erzieherischen Bestrebungen überall gleichlaufend verfolgt werden, ist es erforderlich, diese Betriebsgemeiudeu in geeigneter Form nach oben in Amts- oder Orts-, Kreis-, Provinz- und Landesverbünden zusammen¬ zufassen. (Betriebe von beträchtlicher Größe wären von vornherein in Zweig-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/126>, abgerufen am 29.12.2024.