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Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.

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Reichsspiegel

Er braucht schon aus dem Grunde aus seinem Herzen keine Mördergrube
zu machen, weil ja der Kolonialetat für 1911 im ganzen ein Bild erfreulicher
Entwicklung der Kolonien bietet. Besondere Veränderungen und Neuerungen als
Ausfluß der Anschauungen des neuen Kolonialsekretärs kann er nicht zeigen,
da er ja im wesentlichen noch unter Dernburg entstanden ist.

Allerlei neue Vorgänge auf kolonialen Gebiet erfordern aber gebieterisch
verschiedene Ergänzungen, die noch möglich sind. Wir meinen namentlich den
Aufstand in Ponape, der wieder Verhältnisse zutage gefördert hat, welche mit
dem heutigen Stand der kolonialen Entwicklung nicht im Einklang stehen. Es
ist eine wenn auch wenig beachtete Tatsache, daß unter Dernburg für die
Südsee sozusagen nichts geschehen ist; die Verkehrsverhältnisse sind noch genau
so jammervoll wie vor fünf Jahren, oder fast noch jammervoller. Nicht genug,
daß die Südseekolonien der telegraphischen Verbindung mit der Außenwelt fast
ganz entbehren, hat man nicht einmal für eine ausreichende Flottille in der Hand
der Verwaltung gesorgt, ja nicht einmal in Abgang geratene Fahrzeuge recht¬
zeitig ersetzt, so daß z. B. das jetzt teilweise in Aufstand befindliche Ponave
ausschließlich auf Ruderboote angewiesen war! Kein Wunder, wenn die Kunde
von dem neulichen Unglück mehr als zwei Monate, nachdem es geschehen war,
hierher gelangte und die Europäer in Ponape wochenlang auf Hilfe warten mußten.
Denn die fünfzig farbigen Polizeisoldaten hätten im schlimmsten Fall eher eine
Gefahr bedeutet. Es ist dieselbe Geschichte wie vor einundeinhalb Jahren auf
Samoa, wo das Gouvernement auch nichts dafür konnte, daß die Eingeborenen
sich auf einen kleinen Pulses beschränkten. Wenn sie die sämtlichen Europäer
niedergemacht hätten, niemand hätte sie hindern können. Waren sie doch zum
Teil sogar vom Gouverneur mit modernen Gewehren ausgerüstet. Die Kolonial-
verwaltung hat sich diesen Fall nicht zur Warnung dienen lassen, sonst hätten
wir jetzt auf Ponape eine andere Situation gehabt. Und man könnte fast
glauben, daß sie auch jetzt wieder alles nicht wahr haben und keine Änderung
in der unbegreiflich sorglosen Politik in der Südsee eintreten lassen will, denn
sonst ist die dieser Tage verkündete Rangerhöhung des samoanischen Gouverneurs
Dr. Sols nicht verständlich, über den die öffentliche Meinung daheim und draußen
auf Grund von unleugbaren Tatsachen ziemlich deutlich das Urteil gesprochen
hat -- es sei denn, daß es sich um eine Abschiedsehrung handelt, die Herrn
Dr. Sols für frühere Verdienste gern gegönnt würde. Niemand kann schließlich
aus seiner Haut heraus; aber wenn man von den Tatsachen so eklatant A<1
adsuräum geführt wird, wie Herr Dr. Sols im vorletzten Jahre, so sollte man
die Schlußfolgerungen ziehen. Die Kolonialverwaltung hat in den letzten
Jahren allerlei handgreifliche Mahnungen zur Umkehr erhalten, die ihr zu denken
geben müßten.

Das Gedächtnis der jüngst verstorbenen Kolonialpioniere Graf
Goetzen, Regierungsrat Boeder und Major Dominik könnte bei der Kolonial-
.verwaltung praktische Erinnerungen wachrufen. Graf Goetzen hat einmal als


Reichsspiegel

Er braucht schon aus dem Grunde aus seinem Herzen keine Mördergrube
zu machen, weil ja der Kolonialetat für 1911 im ganzen ein Bild erfreulicher
Entwicklung der Kolonien bietet. Besondere Veränderungen und Neuerungen als
Ausfluß der Anschauungen des neuen Kolonialsekretärs kann er nicht zeigen,
da er ja im wesentlichen noch unter Dernburg entstanden ist.

Allerlei neue Vorgänge auf kolonialen Gebiet erfordern aber gebieterisch
verschiedene Ergänzungen, die noch möglich sind. Wir meinen namentlich den
Aufstand in Ponape, der wieder Verhältnisse zutage gefördert hat, welche mit
dem heutigen Stand der kolonialen Entwicklung nicht im Einklang stehen. Es
ist eine wenn auch wenig beachtete Tatsache, daß unter Dernburg für die
Südsee sozusagen nichts geschehen ist; die Verkehrsverhältnisse sind noch genau
so jammervoll wie vor fünf Jahren, oder fast noch jammervoller. Nicht genug,
daß die Südseekolonien der telegraphischen Verbindung mit der Außenwelt fast
ganz entbehren, hat man nicht einmal für eine ausreichende Flottille in der Hand
der Verwaltung gesorgt, ja nicht einmal in Abgang geratene Fahrzeuge recht¬
zeitig ersetzt, so daß z. B. das jetzt teilweise in Aufstand befindliche Ponave
ausschließlich auf Ruderboote angewiesen war! Kein Wunder, wenn die Kunde
von dem neulichen Unglück mehr als zwei Monate, nachdem es geschehen war,
hierher gelangte und die Europäer in Ponape wochenlang auf Hilfe warten mußten.
Denn die fünfzig farbigen Polizeisoldaten hätten im schlimmsten Fall eher eine
Gefahr bedeutet. Es ist dieselbe Geschichte wie vor einundeinhalb Jahren auf
Samoa, wo das Gouvernement auch nichts dafür konnte, daß die Eingeborenen
sich auf einen kleinen Pulses beschränkten. Wenn sie die sämtlichen Europäer
niedergemacht hätten, niemand hätte sie hindern können. Waren sie doch zum
Teil sogar vom Gouverneur mit modernen Gewehren ausgerüstet. Die Kolonial-
verwaltung hat sich diesen Fall nicht zur Warnung dienen lassen, sonst hätten
wir jetzt auf Ponape eine andere Situation gehabt. Und man könnte fast
glauben, daß sie auch jetzt wieder alles nicht wahr haben und keine Änderung
in der unbegreiflich sorglosen Politik in der Südsee eintreten lassen will, denn
sonst ist die dieser Tage verkündete Rangerhöhung des samoanischen Gouverneurs
Dr. Sols nicht verständlich, über den die öffentliche Meinung daheim und draußen
auf Grund von unleugbaren Tatsachen ziemlich deutlich das Urteil gesprochen
hat — es sei denn, daß es sich um eine Abschiedsehrung handelt, die Herrn
Dr. Sols für frühere Verdienste gern gegönnt würde. Niemand kann schließlich
aus seiner Haut heraus; aber wenn man von den Tatsachen so eklatant A<1
adsuräum geführt wird, wie Herr Dr. Sols im vorletzten Jahre, so sollte man
die Schlußfolgerungen ziehen. Die Kolonialverwaltung hat in den letzten
Jahren allerlei handgreifliche Mahnungen zur Umkehr erhalten, die ihr zu denken
geben müßten.

Das Gedächtnis der jüngst verstorbenen Kolonialpioniere Graf
Goetzen, Regierungsrat Boeder und Major Dominik könnte bei der Kolonial-
.verwaltung praktische Erinnerungen wachrufen. Graf Goetzen hat einmal als


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[0116] Reichsspiegel Er braucht schon aus dem Grunde aus seinem Herzen keine Mördergrube zu machen, weil ja der Kolonialetat für 1911 im ganzen ein Bild erfreulicher Entwicklung der Kolonien bietet. Besondere Veränderungen und Neuerungen als Ausfluß der Anschauungen des neuen Kolonialsekretärs kann er nicht zeigen, da er ja im wesentlichen noch unter Dernburg entstanden ist. Allerlei neue Vorgänge auf kolonialen Gebiet erfordern aber gebieterisch verschiedene Ergänzungen, die noch möglich sind. Wir meinen namentlich den Aufstand in Ponape, der wieder Verhältnisse zutage gefördert hat, welche mit dem heutigen Stand der kolonialen Entwicklung nicht im Einklang stehen. Es ist eine wenn auch wenig beachtete Tatsache, daß unter Dernburg für die Südsee sozusagen nichts geschehen ist; die Verkehrsverhältnisse sind noch genau so jammervoll wie vor fünf Jahren, oder fast noch jammervoller. Nicht genug, daß die Südseekolonien der telegraphischen Verbindung mit der Außenwelt fast ganz entbehren, hat man nicht einmal für eine ausreichende Flottille in der Hand der Verwaltung gesorgt, ja nicht einmal in Abgang geratene Fahrzeuge recht¬ zeitig ersetzt, so daß z. B. das jetzt teilweise in Aufstand befindliche Ponave ausschließlich auf Ruderboote angewiesen war! Kein Wunder, wenn die Kunde von dem neulichen Unglück mehr als zwei Monate, nachdem es geschehen war, hierher gelangte und die Europäer in Ponape wochenlang auf Hilfe warten mußten. Denn die fünfzig farbigen Polizeisoldaten hätten im schlimmsten Fall eher eine Gefahr bedeutet. Es ist dieselbe Geschichte wie vor einundeinhalb Jahren auf Samoa, wo das Gouvernement auch nichts dafür konnte, daß die Eingeborenen sich auf einen kleinen Pulses beschränkten. Wenn sie die sämtlichen Europäer niedergemacht hätten, niemand hätte sie hindern können. Waren sie doch zum Teil sogar vom Gouverneur mit modernen Gewehren ausgerüstet. Die Kolonial- verwaltung hat sich diesen Fall nicht zur Warnung dienen lassen, sonst hätten wir jetzt auf Ponape eine andere Situation gehabt. Und man könnte fast glauben, daß sie auch jetzt wieder alles nicht wahr haben und keine Änderung in der unbegreiflich sorglosen Politik in der Südsee eintreten lassen will, denn sonst ist die dieser Tage verkündete Rangerhöhung des samoanischen Gouverneurs Dr. Sols nicht verständlich, über den die öffentliche Meinung daheim und draußen auf Grund von unleugbaren Tatsachen ziemlich deutlich das Urteil gesprochen hat — es sei denn, daß es sich um eine Abschiedsehrung handelt, die Herrn Dr. Sols für frühere Verdienste gern gegönnt würde. Niemand kann schließlich aus seiner Haut heraus; aber wenn man von den Tatsachen so eklatant A<1 adsuräum geführt wird, wie Herr Dr. Sols im vorletzten Jahre, so sollte man die Schlußfolgerungen ziehen. Die Kolonialverwaltung hat in den letzten Jahren allerlei handgreifliche Mahnungen zur Umkehr erhalten, die ihr zu denken geben müßten. Das Gedächtnis der jüngst verstorbenen Kolonialpioniere Graf Goetzen, Regierungsrat Boeder und Major Dominik könnte bei der Kolonial- .verwaltung praktische Erinnerungen wachrufen. Graf Goetzen hat einmal als

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341893_317612/116>, abgerufen am 29.12.2024.