Die Grenzboten. Jg. 70, 1911, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] keine" irrationalen Rest mehr aufzuweisen Dies ist i" aller Kürze der Gedaiikengang in ihrem gegenwärtigen Bestände der großen Bildungsfragen staatsbürgerliche Erziehung in der Fortbildungsschule. Unter den Pädagogische" Wir haben in unserm Lande eine konkrete Maßgebliches und Unmaßgebliches [Beginn Spaltensatz] keine» irrationalen Rest mehr aufzuweisen Dies ist i» aller Kürze der Gedaiikengang in ihrem gegenwärtigen Bestände der großen Bildungsfragen staatsbürgerliche Erziehung in der Fortbildungsschule. Unter den Pädagogische» Wir haben in unserm Lande eine konkrete <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0107" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317720"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <cb type="start"/> <p xml:id="ID_507" prev="#ID_506"> keine» irrationalen Rest mehr aufzuweisen<lb/> schien, zusammen und schlug in sein Gegen¬<lb/> teil, eine geschichtslose, aller Werte bare<lb/> Weltanschauung um. Nunmohr sollte das<lb/> Irrationale in der Welt und im Leben ge¬<lb/> nommen werden, wie es ist! dem Irrationalis¬<lb/> mus, dem Materialismus und Pessimismus<lb/> wurde der Boden bereitet. Aber auch nach¬<lb/> dem Bismarck durch die Macht seines Willens<lb/> eine Höhezcit des politischen Lebens herbei¬<lb/> geführt hatte, vermochte keine große Dichtung,<lb/> keine adäquate Philosophie zu erstehen, Deutsch¬<lb/> land erlebte vielmehr sein Positives Zeitalter.<lb/> Rede» der Bearbeitung einer ins Empiristische<lb/> umgedeutete» Erkenntnistheorie, die allmählich<lb/> i» Psychologie umgewandelt wurde, erkannte<lb/> man überhaupt mir der historischen Betrachtung<lb/> der Philosophischen Systeme Sinn und Be¬<lb/> deutung zu. Nun scheint eS anders werden<lb/> zu wollen. Aus der Unruhe und den, Zweifel,<lb/> die die völlige Umgestaltung der Lebensformen<lb/> des deutschen Volkes notwendig begleiten,<lb/> ringt sich das ihm eingeborene Bedürfnis,<lb/> sich ans die bleibenden Werte des Lebens zu<lb/> besinnen, wieder machtvoll durch und findet<lb/> i» einer Neuvelegung und Vertiefung der<lb/> philosophischen Arbeit ihren Ausdruck. Im<lb/> Gegendruck gegen die aus den realen Ver¬<lb/> hältnissen des Wirtschaftslebens erwachsene<lb/> Masscnherrschaft, die das Lebe» der Gegen¬<lb/> wart charakterisiert, hat sich das intensive<lb/> Bedürfnis nach einem Persönlichkcitsleben<lb/> entwickelt. Das Problem der Gegenwart<lb/> liegt in der widerspruchslose» Vereinigung<lb/> der Persönlichkeitswerte des Innenlebens und<lb/> des Außculevens, dessen Werte durch jene<lb/> Herrschaft der Masse bestimmt sind.</p> <p xml:id="ID_508" next="#ID_509"> Dies ist i» aller Kürze der Gedaiikengang<lb/> des Buches, dessen Wiedergabe lediglich dazu<lb/> diene» soll, zur Lektüre dieses geistvollen<lb/> Erzeugnisses aus der Feder Windelbands<lb/> anzuregen. Die Feinheit und Eigenart der<lb/> Linienführung der Betrachtungen kann in<lb/> einem kurzen Referat nicht zu ihrem Rechte<lb/> kommen. Das Geistesleben des neunzehnte»<lb/> Jahrhunderts in eine» e»gen Rahmen zu<lb/> banne» und dabei die bestimmende» Momente<lb/> seiner Gestaltung mit wunderbarer Klarheit<lb/> hervortreten zu lassen, vermag nur die Hand<lb/> eines Meisters. Die philosophischen Regungen<lb/> unserer Volksseele sind in ihrer Genesis und</p> <cb/><lb/> <p xml:id="ID_509" prev="#ID_508"> in ihrem gegenwärtigen Bestände der großen<lb/> Mehrzahl der Gebildeten unbekannt: die Arbeit<lb/> der Philosophen wird öfter verurteilt als<lb/> beurteilt. Windelbands Buch ist vorzüglich<lb/> geeignet, sie dem Verständnis Fernstehender<lb/> näher zu bringen und auch manchem Philo¬<lb/> sophiebeflissenen eine schwerwiegende Frage<lb/> philosophischen Denkens — die Frage nach<lb/> der Allgemeingültigkeit der Werte — besonders<lb/> ans Herz zu legen. </p> <note type="byline"> M. Kelchner-</note> </div> </div> <div n="2"> <head> Bildungsfragen</head> <div n="3"> <head> staatsbürgerliche Erziehung in der</head><lb/> </div> <div n="3"> <head> Fortbildungsschule. </head> <p xml:id="ID_510"> Unter den Pädagogische»<lb/> Forderungen der Gegenwart wird mit am<lb/> meisten über die Frage der staatsbürgerlichen<lb/> Erziehung geredet und geschrieben, und<lb/> daraus, daß man dieses Problem so sehr in<lb/> den Vordergrund der Diskussion stellt, darf<lb/> man zugleich schließen, daß es sich hier um<lb/> bedeutungsvolle Dinge handelt. Die Förderung<lb/> der Erziehung zum praktischen Erdenbürger<lb/> ist ja eigentlich nichts Neues; sie ist in jedem<lb/> veriüuiftigen Erziehungsprogramm zu finden.<lb/> Neu ist aber der Nachdruck, mit dem man<lb/> für die Jngend eingehendere staatsbürgerliche<lb/> Belehrungen verlangt, als sie ihr bisher zu¬<lb/> teil wurden, neu die starke Betonung mancher<lb/> Ziele, die man bisher vernachlässigt, u»d die<lb/> doch erreicht werde» müssen, wenn der einzelne<lb/> Mensch seinen Platz im kleinen und große»<lb/> Gemeinwesen gut ausfüllen soll.</p> <p xml:id="ID_511" next="#ID_512"> Wir haben in unserm Lande eine konkrete<lb/> Staatsverfassung, die jedem einzelnen Bürger<lb/> gewisse Rechte gewährt, aber auch Pflichten<lb/> auferlegt. Wir haben vor allen Dingen das<lb/> Wahlrecht und damit Anteil an der Regierung<lb/> unsers Volkes. Sind aber auch alle Bürger<lb/> reif, dieses Recht auszuüben? Niemand wird<lb/> diese Frage bejahe» wollen. Wie viele<lb/> Tausende gehen bei jeder Wahl zur Urne,<lb/> die nicht verstehen und nicht wissen, was sie<lb/> wollen, und die nur der Massensuggestion<lb/> folgen. Unser Staatsleben weist ja auch so<lb/> viele komplizierte Verhältnisse auf, daß sie<lb/> nicht ohne weiteres jedem einzelne» durch¬<lb/> sichtig sein können, wenn eben die Belehrung<lb/> fehlt. Aber auch die Selbstverwaltung in den<lb/> einzelnen Gemeinden setzt Kennwisse und<lb/> Einsicht bei den einzelnen Gemeindegliedern<lb/> voraus, Einsicht, die auch bei weitem nicht</p> <cb type="end"/><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0107]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
keine» irrationalen Rest mehr aufzuweisen
schien, zusammen und schlug in sein Gegen¬
teil, eine geschichtslose, aller Werte bare
Weltanschauung um. Nunmohr sollte das
Irrationale in der Welt und im Leben ge¬
nommen werden, wie es ist! dem Irrationalis¬
mus, dem Materialismus und Pessimismus
wurde der Boden bereitet. Aber auch nach¬
dem Bismarck durch die Macht seines Willens
eine Höhezcit des politischen Lebens herbei¬
geführt hatte, vermochte keine große Dichtung,
keine adäquate Philosophie zu erstehen, Deutsch¬
land erlebte vielmehr sein Positives Zeitalter.
Rede» der Bearbeitung einer ins Empiristische
umgedeutete» Erkenntnistheorie, die allmählich
i» Psychologie umgewandelt wurde, erkannte
man überhaupt mir der historischen Betrachtung
der Philosophischen Systeme Sinn und Be¬
deutung zu. Nun scheint eS anders werden
zu wollen. Aus der Unruhe und den, Zweifel,
die die völlige Umgestaltung der Lebensformen
des deutschen Volkes notwendig begleiten,
ringt sich das ihm eingeborene Bedürfnis,
sich ans die bleibenden Werte des Lebens zu
besinnen, wieder machtvoll durch und findet
i» einer Neuvelegung und Vertiefung der
philosophischen Arbeit ihren Ausdruck. Im
Gegendruck gegen die aus den realen Ver¬
hältnissen des Wirtschaftslebens erwachsene
Masscnherrschaft, die das Lebe» der Gegen¬
wart charakterisiert, hat sich das intensive
Bedürfnis nach einem Persönlichkcitsleben
entwickelt. Das Problem der Gegenwart
liegt in der widerspruchslose» Vereinigung
der Persönlichkeitswerte des Innenlebens und
des Außculevens, dessen Werte durch jene
Herrschaft der Masse bestimmt sind.
Dies ist i» aller Kürze der Gedaiikengang
des Buches, dessen Wiedergabe lediglich dazu
diene» soll, zur Lektüre dieses geistvollen
Erzeugnisses aus der Feder Windelbands
anzuregen. Die Feinheit und Eigenart der
Linienführung der Betrachtungen kann in
einem kurzen Referat nicht zu ihrem Rechte
kommen. Das Geistesleben des neunzehnte»
Jahrhunderts in eine» e»gen Rahmen zu
banne» und dabei die bestimmende» Momente
seiner Gestaltung mit wunderbarer Klarheit
hervortreten zu lassen, vermag nur die Hand
eines Meisters. Die philosophischen Regungen
unserer Volksseele sind in ihrer Genesis und
in ihrem gegenwärtigen Bestände der großen
Mehrzahl der Gebildeten unbekannt: die Arbeit
der Philosophen wird öfter verurteilt als
beurteilt. Windelbands Buch ist vorzüglich
geeignet, sie dem Verständnis Fernstehender
näher zu bringen und auch manchem Philo¬
sophiebeflissenen eine schwerwiegende Frage
philosophischen Denkens — die Frage nach
der Allgemeingültigkeit der Werte — besonders
ans Herz zu legen.
M. Kelchner- Bildungsfragen staatsbürgerliche Erziehung in der
Fortbildungsschule. Unter den Pädagogische»
Forderungen der Gegenwart wird mit am
meisten über die Frage der staatsbürgerlichen
Erziehung geredet und geschrieben, und
daraus, daß man dieses Problem so sehr in
den Vordergrund der Diskussion stellt, darf
man zugleich schließen, daß es sich hier um
bedeutungsvolle Dinge handelt. Die Förderung
der Erziehung zum praktischen Erdenbürger
ist ja eigentlich nichts Neues; sie ist in jedem
veriüuiftigen Erziehungsprogramm zu finden.
Neu ist aber der Nachdruck, mit dem man
für die Jngend eingehendere staatsbürgerliche
Belehrungen verlangt, als sie ihr bisher zu¬
teil wurden, neu die starke Betonung mancher
Ziele, die man bisher vernachlässigt, u»d die
doch erreicht werde» müssen, wenn der einzelne
Mensch seinen Platz im kleinen und große»
Gemeinwesen gut ausfüllen soll.
Wir haben in unserm Lande eine konkrete
Staatsverfassung, die jedem einzelnen Bürger
gewisse Rechte gewährt, aber auch Pflichten
auferlegt. Wir haben vor allen Dingen das
Wahlrecht und damit Anteil an der Regierung
unsers Volkes. Sind aber auch alle Bürger
reif, dieses Recht auszuüben? Niemand wird
diese Frage bejahe» wollen. Wie viele
Tausende gehen bei jeder Wahl zur Urne,
die nicht verstehen und nicht wissen, was sie
wollen, und die nur der Massensuggestion
folgen. Unser Staatsleben weist ja auch so
viele komplizierte Verhältnisse auf, daß sie
nicht ohne weiteres jedem einzelne» durch¬
sichtig sein können, wenn eben die Belehrung
fehlt. Aber auch die Selbstverwaltung in den
einzelnen Gemeinden setzt Kennwisse und
Einsicht bei den einzelnen Gemeindegliedern
voraus, Einsicht, die auch bei weitem nicht
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