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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

"Wer kennt ihn!" erwiderte der Kutscher auf dem Bock, indem er den Kopf
wandte, um Okolitsch besser betrachten zu können. "Mit einer Flinte, wie es
scheint. Vielleicht ist es ein Jäger, vielleicht ein Räuber."

"Tit Grigorjewitsch", sprach im Wagen eine zweite Stimme, eine weibliche,
die einst sehr klangvoll gewesen sein mußte und noch laut war, aber deutlich
verriet, daß die Inhaberin derselben zu viel Fett angesetzt hatte, "warum sorgst
du nicht, daß bei Nacht keine Räuber mit Flinten auf der Landstraße laufen? Du
solltest mit dem Bezirksaufseher sprechen. Er muß das abschaffen."

"Nu ja, wird er abschaffen I" sagte der, der zuerst gefragt hatte. "Du verstehst
viel davon!"

"An, Jlja, fahre schneller," rief die Fette dem Kutscher zu. "Die Seele friert
einem ja trotz dem Pelze."

"Das ist der reiche Botscharow mit seiner Frau," lachte Okolitsch. "Sie
fahren vom Gute nach Hanse. Was meinst du, Bol? Friert dir auch die Seele
unter befrorenen Pelze?"

Bol wedelte dazu mit dem buschigen Schwänze, daß es klang, als ob Erbsen
in einer großen Blase mit Gewalt geschüttelt würden.

Da hatten sie den Flecken erreicht. Noch wenige Minuten, und der Hund
eilte voran.

"Bol, Bol, zurück!" befahl Okolitsch.

Es war aber schon zu spät. Bol war bereits an der Tür, stellte sich aufrecht,
fuhr mit den breiten Vordertatzen an ihr heran und ließ eine Art von freudigem
Gebrüll hören.

"Nun weckt das nichtswürdige Geschöpf die Mutter, und sie ist imstande,
aus dein ..."

Die Tür war schon geöffnet. Frau Okolitsch trat mit dem Licht in der
Hand heraus.

"Mutter, hast du doch wieder gewartet!" sagte er vorwurfsvoll.

"I, Borenka," entgegnete sie, "sollte ich denn nicht einmal das für dich tun!
Es ist ja auch noch nicht spät, kaum zehn. Nur schnell herein! Himmel, du bist
ja so naß, daß es von dir trieft! Und der arme Hund ist mit Eis überzogen!
Schnell in die Küche!"

Aber du weißt, daß es dir nicht gut tut, wenn du spät in das Bett kommst."

"Ach. laß das, Borenka. Sieh nur, in welchem Zustande du bist. Hilf
Himmel! Ihr seid ja wohl beide ins Wasser gefallen? Schnell, entkleide dich.
Ich hole gleich trockene Wäsche."

"Nein, Mutter, erst Bol. Der arme Teufel kann die Wäsche nicht wechseln
und muß in demselben Pelze bleiben."

Dabei warf er rasch den Rock ab, hockte nieder und begann die Zotteln des
Hundes von den Eiszapfen zu befreien. Die Mutter half. Dann rieben beide
an dem Fell herum, bis das Tier in einen einigermaßen erträglichen Zustand
versetzt war. Es stand unterdessen ganz ruhig und unterzog sich willig der
Behandlung, hob sogar selbst das Bein, an dem gerade gewischt wurde, leckte auch
bald der Mutter, bald dem Sohne die Hand.

"So, Bol, fertig."

Da schüttelte der Hund sich kräftig und machte sich über das Fressen.


Im Flecken

„Wer kennt ihn!" erwiderte der Kutscher auf dem Bock, indem er den Kopf
wandte, um Okolitsch besser betrachten zu können. „Mit einer Flinte, wie es
scheint. Vielleicht ist es ein Jäger, vielleicht ein Räuber."

„Tit Grigorjewitsch", sprach im Wagen eine zweite Stimme, eine weibliche,
die einst sehr klangvoll gewesen sein mußte und noch laut war, aber deutlich
verriet, daß die Inhaberin derselben zu viel Fett angesetzt hatte, „warum sorgst
du nicht, daß bei Nacht keine Räuber mit Flinten auf der Landstraße laufen? Du
solltest mit dem Bezirksaufseher sprechen. Er muß das abschaffen."

„Nu ja, wird er abschaffen I" sagte der, der zuerst gefragt hatte. „Du verstehst
viel davon!"

„An, Jlja, fahre schneller," rief die Fette dem Kutscher zu. „Die Seele friert
einem ja trotz dem Pelze."

„Das ist der reiche Botscharow mit seiner Frau," lachte Okolitsch. „Sie
fahren vom Gute nach Hanse. Was meinst du, Bol? Friert dir auch die Seele
unter befrorenen Pelze?"

Bol wedelte dazu mit dem buschigen Schwänze, daß es klang, als ob Erbsen
in einer großen Blase mit Gewalt geschüttelt würden.

Da hatten sie den Flecken erreicht. Noch wenige Minuten, und der Hund
eilte voran.

„Bol, Bol, zurück!" befahl Okolitsch.

Es war aber schon zu spät. Bol war bereits an der Tür, stellte sich aufrecht,
fuhr mit den breiten Vordertatzen an ihr heran und ließ eine Art von freudigem
Gebrüll hören.

„Nun weckt das nichtswürdige Geschöpf die Mutter, und sie ist imstande,
aus dein ..."

Die Tür war schon geöffnet. Frau Okolitsch trat mit dem Licht in der
Hand heraus.

„Mutter, hast du doch wieder gewartet!" sagte er vorwurfsvoll.

„I, Borenka," entgegnete sie, „sollte ich denn nicht einmal das für dich tun!
Es ist ja auch noch nicht spät, kaum zehn. Nur schnell herein! Himmel, du bist
ja so naß, daß es von dir trieft! Und der arme Hund ist mit Eis überzogen!
Schnell in die Küche!"

Aber du weißt, daß es dir nicht gut tut, wenn du spät in das Bett kommst."

„Ach. laß das, Borenka. Sieh nur, in welchem Zustande du bist. Hilf
Himmel! Ihr seid ja wohl beide ins Wasser gefallen? Schnell, entkleide dich.
Ich hole gleich trockene Wäsche."

„Nein, Mutter, erst Bol. Der arme Teufel kann die Wäsche nicht wechseln
und muß in demselben Pelze bleiben."

Dabei warf er rasch den Rock ab, hockte nieder und begann die Zotteln des
Hundes von den Eiszapfen zu befreien. Die Mutter half. Dann rieben beide
an dem Fell herum, bis das Tier in einen einigermaßen erträglichen Zustand
versetzt war. Es stand unterdessen ganz ruhig und unterzog sich willig der
Behandlung, hob sogar selbst das Bein, an dem gerade gewischt wurde, leckte auch
bald der Mutter, bald dem Sohne die Hand.

„So, Bol, fertig."

Da schüttelte der Hund sich kräftig und machte sich über das Fressen.


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[0092] Im Flecken „Wer kennt ihn!" erwiderte der Kutscher auf dem Bock, indem er den Kopf wandte, um Okolitsch besser betrachten zu können. „Mit einer Flinte, wie es scheint. Vielleicht ist es ein Jäger, vielleicht ein Räuber." „Tit Grigorjewitsch", sprach im Wagen eine zweite Stimme, eine weibliche, die einst sehr klangvoll gewesen sein mußte und noch laut war, aber deutlich verriet, daß die Inhaberin derselben zu viel Fett angesetzt hatte, „warum sorgst du nicht, daß bei Nacht keine Räuber mit Flinten auf der Landstraße laufen? Du solltest mit dem Bezirksaufseher sprechen. Er muß das abschaffen." „Nu ja, wird er abschaffen I" sagte der, der zuerst gefragt hatte. „Du verstehst viel davon!" „An, Jlja, fahre schneller," rief die Fette dem Kutscher zu. „Die Seele friert einem ja trotz dem Pelze." „Das ist der reiche Botscharow mit seiner Frau," lachte Okolitsch. „Sie fahren vom Gute nach Hanse. Was meinst du, Bol? Friert dir auch die Seele unter befrorenen Pelze?" Bol wedelte dazu mit dem buschigen Schwänze, daß es klang, als ob Erbsen in einer großen Blase mit Gewalt geschüttelt würden. Da hatten sie den Flecken erreicht. Noch wenige Minuten, und der Hund eilte voran. „Bol, Bol, zurück!" befahl Okolitsch. Es war aber schon zu spät. Bol war bereits an der Tür, stellte sich aufrecht, fuhr mit den breiten Vordertatzen an ihr heran und ließ eine Art von freudigem Gebrüll hören. „Nun weckt das nichtswürdige Geschöpf die Mutter, und sie ist imstande, aus dein ..." Die Tür war schon geöffnet. Frau Okolitsch trat mit dem Licht in der Hand heraus. „Mutter, hast du doch wieder gewartet!" sagte er vorwurfsvoll. „I, Borenka," entgegnete sie, „sollte ich denn nicht einmal das für dich tun! Es ist ja auch noch nicht spät, kaum zehn. Nur schnell herein! Himmel, du bist ja so naß, daß es von dir trieft! Und der arme Hund ist mit Eis überzogen! Schnell in die Küche!" Aber du weißt, daß es dir nicht gut tut, wenn du spät in das Bett kommst." „Ach. laß das, Borenka. Sieh nur, in welchem Zustande du bist. Hilf Himmel! Ihr seid ja wohl beide ins Wasser gefallen? Schnell, entkleide dich. Ich hole gleich trockene Wäsche." „Nein, Mutter, erst Bol. Der arme Teufel kann die Wäsche nicht wechseln und muß in demselben Pelze bleiben." Dabei warf er rasch den Rock ab, hockte nieder und begann die Zotteln des Hundes von den Eiszapfen zu befreien. Die Mutter half. Dann rieben beide an dem Fell herum, bis das Tier in einen einigermaßen erträglichen Zustand versetzt war. Es stand unterdessen ganz ruhig und unterzog sich willig der Behandlung, hob sogar selbst das Bein, an dem gerade gewischt wurde, leckte auch bald der Mutter, bald dem Sohne die Hand. „So, Bol, fertig." Da schüttelte der Hund sich kräftig und machte sich über das Fressen.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/92>, abgerufen am 25.08.2024.