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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Im Flecken

er keinen wirklichen Verlust beklagte, sondern ans Mutwillen schrie. Auf der
Chaussee hätten sie sich wohl kaum bedacht, die Anklage des Kleinen scheinbar
ernst zu nehmen und dem "Herrn" zu Leibe zu gehen, um ihr Mütchen zu kühlen,
hätten dabei auch in Wut geraten und sehr unglimpflich verfahren können; aber
nachlaufen, und uoch dazu über den Sturzäcker -- das ging über den Spaß und
war zu anstrengend.

Es steckte im lehmigen Boden doch noch mehr Nässe, als Okolitsch vermutet
hatte, und das Vorwärtskommen erwies sich fast als unmöglich. Dazu hatte sich
der ganze Himmel in grauen Dunst gehüllt. Es dunkelte rasch. Der Jäger
mußte sich beeilen, um zur Flugzeit am Orte zu sein. Er hastete mit Anstrengung
aller Kräfte weiter, konnte sich einige Male kaum vor einem Sturze in den wasser¬
gefüllten Weggraben wahren und erreichte endlich die erwünschte Stelle, als es
schon so spät war, daß die Schnepfen ansingen zu streichen. In Schweiß gebadet
sprang er über den Graben und brach sich durch den Busch Bahn zu einer kleinen
Lichtung.

Die Lichtung war besetzt. An jedem Ende stand ein Bauer mit der schu߬
fertigen Flinte im Arm.

Okolitsch mußte erst einen Anflug von Ratlosigkeit überwinden. Er hatte
auf diese Lichtung gerechnet, wo außer ihm fast nie jemand anstand, denn sie war
schmal, daß sie nur dem guten Schützen einen einigermaßen sicheren Schuß
gestattete. Und nun die beiden Bauern! Es war geradezu lächerlich.

Was sollte er tun? Einen anderen Stand aufzusuchen, dazu war es zu spät.

"Höre, Freund," wandte er sich nach kurzem Bedenken an den nächsten
Bauern, "geh du zu deinem Kameraden an das andere Ende der Lichtung."

"Warum?" fragte der Mann mürrisch.

"Weil ich hier anzustehen denke. Ich habe ein Kronbillctt in der Tasche,
und dn hast nicht die Erlaubnis im Kronwalde zu schießen."

"Bist du etwa der Förster oder Waldwächter?"

"Du willst nicht gehen?"

"Packe dich. Laß mich in Ruhe."

"Wenn ich aber den Waldwächter rufe?"

"Geh, rufe ihn."

"Bruder," versuchte Okolitsch noch einmal sein Glück, "du kannst an dieser
schmalen Stelle doch nie eine Schnepfe schießen. Überlaß mir den Platz."

"Ich will nicht."

Was tun? Es dunkelte immer mehr und feiner, nebelartiger Sprüh¬
regen begann zu fallen. Die nächste Lichtung lag im Kronwalde, im dichten,
hohen Forst. Also sint

Zwischen den Stämmen des Nadelwaldes hatte man keinen Ausblick. Okolitsch
mußte die Augen gegen hängende Äste und gegen die Spitzen und Ruder des
Unterholzes mit dem Arme schützen. Erlief, um einigermaßen zeitig anzukommen.
Er watete durch Schneemassen und umging tiefe Wasserpfützen. Er sprang über
liegende Baumstämme und drang mit Gewalt durch Gruppen von Tannenschößlingen.
Endlich! Da war die Lichtung.

Dort stellte sich Okolitsch an. Wäre in diesem Augenblick auch eine Schnepfe
geflogen, er hätte doch nicht schießen können. Er bebte von der Anstrengung.


Im Flecken

er keinen wirklichen Verlust beklagte, sondern ans Mutwillen schrie. Auf der
Chaussee hätten sie sich wohl kaum bedacht, die Anklage des Kleinen scheinbar
ernst zu nehmen und dem „Herrn" zu Leibe zu gehen, um ihr Mütchen zu kühlen,
hätten dabei auch in Wut geraten und sehr unglimpflich verfahren können; aber
nachlaufen, und uoch dazu über den Sturzäcker — das ging über den Spaß und
war zu anstrengend.

Es steckte im lehmigen Boden doch noch mehr Nässe, als Okolitsch vermutet
hatte, und das Vorwärtskommen erwies sich fast als unmöglich. Dazu hatte sich
der ganze Himmel in grauen Dunst gehüllt. Es dunkelte rasch. Der Jäger
mußte sich beeilen, um zur Flugzeit am Orte zu sein. Er hastete mit Anstrengung
aller Kräfte weiter, konnte sich einige Male kaum vor einem Sturze in den wasser¬
gefüllten Weggraben wahren und erreichte endlich die erwünschte Stelle, als es
schon so spät war, daß die Schnepfen ansingen zu streichen. In Schweiß gebadet
sprang er über den Graben und brach sich durch den Busch Bahn zu einer kleinen
Lichtung.

Die Lichtung war besetzt. An jedem Ende stand ein Bauer mit der schu߬
fertigen Flinte im Arm.

Okolitsch mußte erst einen Anflug von Ratlosigkeit überwinden. Er hatte
auf diese Lichtung gerechnet, wo außer ihm fast nie jemand anstand, denn sie war
schmal, daß sie nur dem guten Schützen einen einigermaßen sicheren Schuß
gestattete. Und nun die beiden Bauern! Es war geradezu lächerlich.

Was sollte er tun? Einen anderen Stand aufzusuchen, dazu war es zu spät.

„Höre, Freund," wandte er sich nach kurzem Bedenken an den nächsten
Bauern, „geh du zu deinem Kameraden an das andere Ende der Lichtung."

„Warum?" fragte der Mann mürrisch.

„Weil ich hier anzustehen denke. Ich habe ein Kronbillctt in der Tasche,
und dn hast nicht die Erlaubnis im Kronwalde zu schießen."

„Bist du etwa der Förster oder Waldwächter?"

„Du willst nicht gehen?"

„Packe dich. Laß mich in Ruhe."

„Wenn ich aber den Waldwächter rufe?"

„Geh, rufe ihn."

„Bruder," versuchte Okolitsch noch einmal sein Glück, „du kannst an dieser
schmalen Stelle doch nie eine Schnepfe schießen. Überlaß mir den Platz."

„Ich will nicht."

Was tun? Es dunkelte immer mehr und feiner, nebelartiger Sprüh¬
regen begann zu fallen. Die nächste Lichtung lag im Kronwalde, im dichten,
hohen Forst. Also sint

Zwischen den Stämmen des Nadelwaldes hatte man keinen Ausblick. Okolitsch
mußte die Augen gegen hängende Äste und gegen die Spitzen und Ruder des
Unterholzes mit dem Arme schützen. Erlief, um einigermaßen zeitig anzukommen.
Er watete durch Schneemassen und umging tiefe Wasserpfützen. Er sprang über
liegende Baumstämme und drang mit Gewalt durch Gruppen von Tannenschößlingen.
Endlich! Da war die Lichtung.

Dort stellte sich Okolitsch an. Wäre in diesem Augenblick auch eine Schnepfe
geflogen, er hätte doch nicht schießen können. Er bebte von der Anstrengung.


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[0089] Im Flecken er keinen wirklichen Verlust beklagte, sondern ans Mutwillen schrie. Auf der Chaussee hätten sie sich wohl kaum bedacht, die Anklage des Kleinen scheinbar ernst zu nehmen und dem „Herrn" zu Leibe zu gehen, um ihr Mütchen zu kühlen, hätten dabei auch in Wut geraten und sehr unglimpflich verfahren können; aber nachlaufen, und uoch dazu über den Sturzäcker — das ging über den Spaß und war zu anstrengend. Es steckte im lehmigen Boden doch noch mehr Nässe, als Okolitsch vermutet hatte, und das Vorwärtskommen erwies sich fast als unmöglich. Dazu hatte sich der ganze Himmel in grauen Dunst gehüllt. Es dunkelte rasch. Der Jäger mußte sich beeilen, um zur Flugzeit am Orte zu sein. Er hastete mit Anstrengung aller Kräfte weiter, konnte sich einige Male kaum vor einem Sturze in den wasser¬ gefüllten Weggraben wahren und erreichte endlich die erwünschte Stelle, als es schon so spät war, daß die Schnepfen ansingen zu streichen. In Schweiß gebadet sprang er über den Graben und brach sich durch den Busch Bahn zu einer kleinen Lichtung. Die Lichtung war besetzt. An jedem Ende stand ein Bauer mit der schu߬ fertigen Flinte im Arm. Okolitsch mußte erst einen Anflug von Ratlosigkeit überwinden. Er hatte auf diese Lichtung gerechnet, wo außer ihm fast nie jemand anstand, denn sie war schmal, daß sie nur dem guten Schützen einen einigermaßen sicheren Schuß gestattete. Und nun die beiden Bauern! Es war geradezu lächerlich. Was sollte er tun? Einen anderen Stand aufzusuchen, dazu war es zu spät. „Höre, Freund," wandte er sich nach kurzem Bedenken an den nächsten Bauern, „geh du zu deinem Kameraden an das andere Ende der Lichtung." „Warum?" fragte der Mann mürrisch. „Weil ich hier anzustehen denke. Ich habe ein Kronbillctt in der Tasche, und dn hast nicht die Erlaubnis im Kronwalde zu schießen." „Bist du etwa der Förster oder Waldwächter?" „Du willst nicht gehen?" „Packe dich. Laß mich in Ruhe." „Wenn ich aber den Waldwächter rufe?" „Geh, rufe ihn." „Bruder," versuchte Okolitsch noch einmal sein Glück, „du kannst an dieser schmalen Stelle doch nie eine Schnepfe schießen. Überlaß mir den Platz." „Ich will nicht." Was tun? Es dunkelte immer mehr und feiner, nebelartiger Sprüh¬ regen begann zu fallen. Die nächste Lichtung lag im Kronwalde, im dichten, hohen Forst. Also sint Zwischen den Stämmen des Nadelwaldes hatte man keinen Ausblick. Okolitsch mußte die Augen gegen hängende Äste und gegen die Spitzen und Ruder des Unterholzes mit dem Arme schützen. Erlief, um einigermaßen zeitig anzukommen. Er watete durch Schneemassen und umging tiefe Wasserpfützen. Er sprang über liegende Baumstämme und drang mit Gewalt durch Gruppen von Tannenschößlingen. Endlich! Da war die Lichtung. Dort stellte sich Okolitsch an. Wäre in diesem Augenblick auch eine Schnepfe geflogen, er hätte doch nicht schießen können. Er bebte von der Anstrengung.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/89>, abgerufen am 22.07.2024.