Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite
Gskar Jäger

nahm? Jäger von der Schule und von seinen Kölner Mitbürgern Abschied. Die
Huldigungen, die ihm bei diesem Anlaß bereitet wurden, glänzend gestaltet,
wie das rheinische Festfreudigkeit mit sich bringt, und dabei durchweg auf einen
Ton warmer Herzlichkeit gestimmt, mußten dem Siebzigjährigen ein stolzes
Gefühl geben, wie viele, mit denen die Arbeit in Amt und Wissenschaft, im
Staat und in der Gemeinde ihn zusammengeführt hatte, sich der Zugehörigkeit
zu ihm freuten, wie viele nun schon gereifte und bewährte Männer, seine alten
Schüler, sich dankbar dessen bewußt waren, daß er sie ins Leben eingeführt
hatte. In voller Rüstigkeit des Körpers und des Geistes trat er in den Ruhe¬
stand; und Ruhe bedeutete hier nicht Untätigkeit. Eine Honorarprofessur an
der Universität Bonn gab ihm die Möglichkeit, den reichen Schatz weltgeschichtlicher
Anschauung und pädagogischer Erfahrung, den er gesammelt hatte, in Vor¬
lesungen vor Scharen künftiger Lehrer zu verwerten. Auch schriftstellerisch war
er auf beiden Gebieten fast bis zum letzten Atemzuge tätig; und manche schöne
Frucht seiner Muße wird die Wirkungen der starken Persönlichkeit weiter tragen
zu denen, die ihn selbst nicht mehr gekannt haben.

Den Hintergrund all feines Schaffens in der Öffentlichkeit bildete ein
trauliches Familienleben, dem er in Bonn in eigenem Hause die Stätte bereitet
hatte. Um ihn war es nun doch still geworden. Die Gemahlin seiner Jugend,
fünf der hoffnungsvollen Kinder, die ihm von ihr geschenkt waren, hatte er
ins Grab legen müssen. Den überlebenden hatte er eine zweite Mutter, für
sich aufs neue eine verständnisvolle Gefährtin gewonnen. Bonn war ihre
Heimat, in die sie nun mit ihn: zurückkehrte, wo sie im Verein mit einer
Tochter aus seiner ersten Ehe dem doch mehr und mehr der Pflege Bedürfenden
das Behagen einer von Liebe erfüllten Häuslichkeit schuf; da wurde, im Sommer
1908, auch diese Frau ihm entrissen. Das war höhere Fügung, in die der
fromme Mann sich ohne Murren ergab. Schmerzlich empfand er es in all
diesen letzten Jahren, daß die verheirateten Kinder durch den Zwang des
Berufes in die Ferne gerückt waren. An Freunden, auch auswärtigen, hat es
nie gefehlt, die bei ihm vorsprachen, um Erinnerungen aufzufrischen oder von
dem, was draußen vorging, zu erzählen. Auch er selbst hielt durch Reisen
den Zusammenhang mit der Welt fest; an den Versammlungen unseres Vereins
hat er bis zum Jahre 1905 teilgenommen. Allmählich, wenn man ihn wiedersah,
spürte man doch ein Nachlassen der Kräfte. Die Folgen eines Schlaganfalls,
der ihn bald nach dem Tode der Frau traf, wurden nicht ganz überwunden;
längeres Gespräch griff ihn an. Ein zweiter Anfall hat dann, im vergangenen
Frühjahr, diesem reichen Leben ein Ende gemacht, ^uxp" ,r"x"^ on^-n' Wo"^

Vieles von dem, was wir an ihm gehabt haben, ist für uus und unsere Sache
auf immer verloren: die ungeheure Arbeitskraft, die Gabe, Menschen und Dinge zu
sehen wie sie sind, die Fähigkeit, das Beobachtete überraschend und überzeugend



*) Zur Ruhe zuletzt sinkt greiser Leib durch schwachen Stoß.
Gskar Jäger

nahm? Jäger von der Schule und von seinen Kölner Mitbürgern Abschied. Die
Huldigungen, die ihm bei diesem Anlaß bereitet wurden, glänzend gestaltet,
wie das rheinische Festfreudigkeit mit sich bringt, und dabei durchweg auf einen
Ton warmer Herzlichkeit gestimmt, mußten dem Siebzigjährigen ein stolzes
Gefühl geben, wie viele, mit denen die Arbeit in Amt und Wissenschaft, im
Staat und in der Gemeinde ihn zusammengeführt hatte, sich der Zugehörigkeit
zu ihm freuten, wie viele nun schon gereifte und bewährte Männer, seine alten
Schüler, sich dankbar dessen bewußt waren, daß er sie ins Leben eingeführt
hatte. In voller Rüstigkeit des Körpers und des Geistes trat er in den Ruhe¬
stand; und Ruhe bedeutete hier nicht Untätigkeit. Eine Honorarprofessur an
der Universität Bonn gab ihm die Möglichkeit, den reichen Schatz weltgeschichtlicher
Anschauung und pädagogischer Erfahrung, den er gesammelt hatte, in Vor¬
lesungen vor Scharen künftiger Lehrer zu verwerten. Auch schriftstellerisch war
er auf beiden Gebieten fast bis zum letzten Atemzuge tätig; und manche schöne
Frucht seiner Muße wird die Wirkungen der starken Persönlichkeit weiter tragen
zu denen, die ihn selbst nicht mehr gekannt haben.

Den Hintergrund all feines Schaffens in der Öffentlichkeit bildete ein
trauliches Familienleben, dem er in Bonn in eigenem Hause die Stätte bereitet
hatte. Um ihn war es nun doch still geworden. Die Gemahlin seiner Jugend,
fünf der hoffnungsvollen Kinder, die ihm von ihr geschenkt waren, hatte er
ins Grab legen müssen. Den überlebenden hatte er eine zweite Mutter, für
sich aufs neue eine verständnisvolle Gefährtin gewonnen. Bonn war ihre
Heimat, in die sie nun mit ihn: zurückkehrte, wo sie im Verein mit einer
Tochter aus seiner ersten Ehe dem doch mehr und mehr der Pflege Bedürfenden
das Behagen einer von Liebe erfüllten Häuslichkeit schuf; da wurde, im Sommer
1908, auch diese Frau ihm entrissen. Das war höhere Fügung, in die der
fromme Mann sich ohne Murren ergab. Schmerzlich empfand er es in all
diesen letzten Jahren, daß die verheirateten Kinder durch den Zwang des
Berufes in die Ferne gerückt waren. An Freunden, auch auswärtigen, hat es
nie gefehlt, die bei ihm vorsprachen, um Erinnerungen aufzufrischen oder von
dem, was draußen vorging, zu erzählen. Auch er selbst hielt durch Reisen
den Zusammenhang mit der Welt fest; an den Versammlungen unseres Vereins
hat er bis zum Jahre 1905 teilgenommen. Allmählich, wenn man ihn wiedersah,
spürte man doch ein Nachlassen der Kräfte. Die Folgen eines Schlaganfalls,
der ihn bald nach dem Tode der Frau traf, wurden nicht ganz überwunden;
längeres Gespräch griff ihn an. Ein zweiter Anfall hat dann, im vergangenen
Frühjahr, diesem reichen Leben ein Ende gemacht, ^uxp« ,r«x«^ on^-n' Wo«^

Vieles von dem, was wir an ihm gehabt haben, ist für uus und unsere Sache
auf immer verloren: die ungeheure Arbeitskraft, die Gabe, Menschen und Dinge zu
sehen wie sie sind, die Fähigkeit, das Beobachtete überraschend und überzeugend



*) Zur Ruhe zuletzt sinkt greiser Leib durch schwachen Stoß.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0076" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317027"/>
          <fw type="header" place="top"> Gskar Jäger</fw><lb/>
          <p xml:id="ID_200" prev="#ID_199"> nahm? Jäger von der Schule und von seinen Kölner Mitbürgern Abschied. Die<lb/>
Huldigungen, die ihm bei diesem Anlaß bereitet wurden, glänzend gestaltet,<lb/>
wie das rheinische Festfreudigkeit mit sich bringt, und dabei durchweg auf einen<lb/>
Ton warmer Herzlichkeit gestimmt, mußten dem Siebzigjährigen ein stolzes<lb/>
Gefühl geben, wie viele, mit denen die Arbeit in Amt und Wissenschaft, im<lb/>
Staat und in der Gemeinde ihn zusammengeführt hatte, sich der Zugehörigkeit<lb/>
zu ihm freuten, wie viele nun schon gereifte und bewährte Männer, seine alten<lb/>
Schüler, sich dankbar dessen bewußt waren, daß er sie ins Leben eingeführt<lb/>
hatte. In voller Rüstigkeit des Körpers und des Geistes trat er in den Ruhe¬<lb/>
stand; und Ruhe bedeutete hier nicht Untätigkeit. Eine Honorarprofessur an<lb/>
der Universität Bonn gab ihm die Möglichkeit, den reichen Schatz weltgeschichtlicher<lb/>
Anschauung und pädagogischer Erfahrung, den er gesammelt hatte, in Vor¬<lb/>
lesungen vor Scharen künftiger Lehrer zu verwerten. Auch schriftstellerisch war<lb/>
er auf beiden Gebieten fast bis zum letzten Atemzuge tätig; und manche schöne<lb/>
Frucht seiner Muße wird die Wirkungen der starken Persönlichkeit weiter tragen<lb/>
zu denen, die ihn selbst nicht mehr gekannt haben.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_201"> Den Hintergrund all feines Schaffens in der Öffentlichkeit bildete ein<lb/>
trauliches Familienleben, dem er in Bonn in eigenem Hause die Stätte bereitet<lb/>
hatte. Um ihn war es nun doch still geworden. Die Gemahlin seiner Jugend,<lb/>
fünf der hoffnungsvollen Kinder, die ihm von ihr geschenkt waren, hatte er<lb/>
ins Grab legen müssen. Den überlebenden hatte er eine zweite Mutter, für<lb/>
sich aufs neue eine verständnisvolle Gefährtin gewonnen. Bonn war ihre<lb/>
Heimat, in die sie nun mit ihn: zurückkehrte, wo sie im Verein mit einer<lb/>
Tochter aus seiner ersten Ehe dem doch mehr und mehr der Pflege Bedürfenden<lb/>
das Behagen einer von Liebe erfüllten Häuslichkeit schuf; da wurde, im Sommer<lb/>
1908, auch diese Frau ihm entrissen. Das war höhere Fügung, in die der<lb/>
fromme Mann sich ohne Murren ergab. Schmerzlich empfand er es in all<lb/>
diesen letzten Jahren, daß die verheirateten Kinder durch den Zwang des<lb/>
Berufes in die Ferne gerückt waren. An Freunden, auch auswärtigen, hat es<lb/>
nie gefehlt, die bei ihm vorsprachen, um Erinnerungen aufzufrischen oder von<lb/>
dem, was draußen vorging, zu erzählen. Auch er selbst hielt durch Reisen<lb/>
den Zusammenhang mit der Welt fest; an den Versammlungen unseres Vereins<lb/>
hat er bis zum Jahre 1905 teilgenommen. Allmählich, wenn man ihn wiedersah,<lb/>
spürte man doch ein Nachlassen der Kräfte. Die Folgen eines Schlaganfalls,<lb/>
der ihn bald nach dem Tode der Frau traf, wurden nicht ganz überwunden;<lb/>
längeres Gespräch griff ihn an. Ein zweiter Anfall hat dann, im vergangenen<lb/>
Frühjahr, diesem reichen Leben ein Ende gemacht, ^uxp« ,r«x«^ on^-n' Wo«^</p><lb/>
          <p xml:id="ID_202" next="#ID_203"> Vieles von dem, was wir an ihm gehabt haben, ist für uus und unsere Sache<lb/>
auf immer verloren: die ungeheure Arbeitskraft, die Gabe, Menschen und Dinge zu<lb/>
sehen wie sie sind, die Fähigkeit, das Beobachtete überraschend und überzeugend</p><lb/>
          <note xml:id="FID_7" place="foot"> *) Zur Ruhe zuletzt sinkt greiser Leib durch schwachen Stoß.</note><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0076] Gskar Jäger nahm? Jäger von der Schule und von seinen Kölner Mitbürgern Abschied. Die Huldigungen, die ihm bei diesem Anlaß bereitet wurden, glänzend gestaltet, wie das rheinische Festfreudigkeit mit sich bringt, und dabei durchweg auf einen Ton warmer Herzlichkeit gestimmt, mußten dem Siebzigjährigen ein stolzes Gefühl geben, wie viele, mit denen die Arbeit in Amt und Wissenschaft, im Staat und in der Gemeinde ihn zusammengeführt hatte, sich der Zugehörigkeit zu ihm freuten, wie viele nun schon gereifte und bewährte Männer, seine alten Schüler, sich dankbar dessen bewußt waren, daß er sie ins Leben eingeführt hatte. In voller Rüstigkeit des Körpers und des Geistes trat er in den Ruhe¬ stand; und Ruhe bedeutete hier nicht Untätigkeit. Eine Honorarprofessur an der Universität Bonn gab ihm die Möglichkeit, den reichen Schatz weltgeschichtlicher Anschauung und pädagogischer Erfahrung, den er gesammelt hatte, in Vor¬ lesungen vor Scharen künftiger Lehrer zu verwerten. Auch schriftstellerisch war er auf beiden Gebieten fast bis zum letzten Atemzuge tätig; und manche schöne Frucht seiner Muße wird die Wirkungen der starken Persönlichkeit weiter tragen zu denen, die ihn selbst nicht mehr gekannt haben. Den Hintergrund all feines Schaffens in der Öffentlichkeit bildete ein trauliches Familienleben, dem er in Bonn in eigenem Hause die Stätte bereitet hatte. Um ihn war es nun doch still geworden. Die Gemahlin seiner Jugend, fünf der hoffnungsvollen Kinder, die ihm von ihr geschenkt waren, hatte er ins Grab legen müssen. Den überlebenden hatte er eine zweite Mutter, für sich aufs neue eine verständnisvolle Gefährtin gewonnen. Bonn war ihre Heimat, in die sie nun mit ihn: zurückkehrte, wo sie im Verein mit einer Tochter aus seiner ersten Ehe dem doch mehr und mehr der Pflege Bedürfenden das Behagen einer von Liebe erfüllten Häuslichkeit schuf; da wurde, im Sommer 1908, auch diese Frau ihm entrissen. Das war höhere Fügung, in die der fromme Mann sich ohne Murren ergab. Schmerzlich empfand er es in all diesen letzten Jahren, daß die verheirateten Kinder durch den Zwang des Berufes in die Ferne gerückt waren. An Freunden, auch auswärtigen, hat es nie gefehlt, die bei ihm vorsprachen, um Erinnerungen aufzufrischen oder von dem, was draußen vorging, zu erzählen. Auch er selbst hielt durch Reisen den Zusammenhang mit der Welt fest; an den Versammlungen unseres Vereins hat er bis zum Jahre 1905 teilgenommen. Allmählich, wenn man ihn wiedersah, spürte man doch ein Nachlassen der Kräfte. Die Folgen eines Schlaganfalls, der ihn bald nach dem Tode der Frau traf, wurden nicht ganz überwunden; längeres Gespräch griff ihn an. Ein zweiter Anfall hat dann, im vergangenen Frühjahr, diesem reichen Leben ein Ende gemacht, ^uxp« ,r«x«^ on^-n' Wo«^ Vieles von dem, was wir an ihm gehabt haben, ist für uus und unsere Sache auf immer verloren: die ungeheure Arbeitskraft, die Gabe, Menschen und Dinge zu sehen wie sie sind, die Fähigkeit, das Beobachtete überraschend und überzeugend *) Zur Ruhe zuletzt sinkt greiser Leib durch schwachen Stoß.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/76
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/76>, abgerufen am 22.07.2024.