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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Gskar Jäger

leitenden Gedanken mit meisterhafter Klarheit entwickelt. Sie bestimmten wirklich
den Beratungen wie den Beschlüssen die Richtung. Und was das Wichtigste
war, es gelang die Zustimmung des Monarchen für sie zu gewinnen. So kam
unter dem Schutz der A. K.-O. vom 26. November 1900 der neue Lehrplan
zustande, der dem Gymnasium das Latein wieder verstärkte und das Griechische
erhielt, und der den drei höheren Schulen die Möglichkeit gewährte, sich mit dem,
was einer jeden das Wesentliche wäre, auszuwirken und wetteifernd ihre innere
Berechtigung zu zeigen.

Vielen unter uns, und so auch unserm Führer, ist es nicht leicht geworden,
diese Wendung der Dinge willkommen zu heißen, ja zu befördern; allzu fest
wurzelte der überlieferte Glaube, daß klassische Bildung "die Bildung" sei.
Jetzt, nach Jägers Tode, ist wohl geäußert worden, das Opfer, das er gebracht
und zu dem er andere ermutigt hat, sei umsonst gebracht worden; Frieden und
Ruhe seien doch nicht eingekehrt. -- Die so sprechen, bedenken nicht, daß eins
unzweifelhaft, und ein Großes, damals erreicht worden ist: die Erhaltung des
Griechischen. Wenn wir uns im übrigen diese zehn Jahre her des freien Spiel¬
raums zur Betätigung unserer Kräfte uicht so haben erfreuen dürfen, wie ver¬
heißen worden war, so wollen wir uns besinnen, woher das kommt.

Daß Gegner uns nicht unangefochten lassen würden, war zu erwarten.
Gewiß sind viele von ihnen -- ich möchte glauben: die meisten -- loyal und
einsichtig; sie gönnen dem Gymnasium das Recht zum Dasein, um das sie selbst
lange haben kämpfen müssen, und hüten sich vor dem Fehler anspruchsvoller
Einseitigkeit, den sie -- nicht immer ohne Grund -- früher uns vorgeworfen
haben. Aber es gibt andere, denen die Grundbedingung aller Gerechtigkeit fehlt,
der Blick für das Wesentliche. Der ausgesprochene Sinn des Friedensschlusses
mar gewesen, daß der berechtigte Wunsch neu entstandener Wissenschaften, an
der Bildung des heranwachsenden Geschlechtes unmittelbar mitzuarbeiten, in
vermehrten realistischen Anstalten seine Befriedigung fände, nicht innerhalb des
gymnasialen Lehrplans; denn das hätte nur auf Kosten der alten Sprachen
geschehen können, und so wäre die innere Kraft des Gymnasiums weiter
geschwächt worden, die doch, wenn man einen ehrlichen Wettkampf haben wollte,
freier als bisher sich mußte entwickeln können. Jene aber sahen nur das Äußer¬
lichste der Erscheinungen. "Ein Zugeständnis von gymnasialer Seite? das lockt
zu verstärktem Angriff." So fuhr man nicht nur fort, das Reformgymnasium
weiter zu verbreiten, obwohl es durch die Gleichstellung der drei höheren Schulen
seinen ursprünglichen Zweck, wie Karl Reinhardt ihn verstand, verloren hatte,
sondern man suchte auch alsbald in den Bau des eigentlichen Gymnasiums mit
fortgesetzten Neuerungen einzugreifen, die unter allerlei schönen Titeln doch im
Grunde nur das Ziel verfolgten, die alten Sprachen, das, wodurch unsere Schule
eben ein Gymnasium ist, weiter zurückzudrängen.

Dabei wurde und wird gern geltend gemacht, keine von Menschen geschaffene
Einrichtung sei für die Ewigkeit bestimmt; so könnten auch die Lehrpläne von


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leitenden Gedanken mit meisterhafter Klarheit entwickelt. Sie bestimmten wirklich
den Beratungen wie den Beschlüssen die Richtung. Und was das Wichtigste
war, es gelang die Zustimmung des Monarchen für sie zu gewinnen. So kam
unter dem Schutz der A. K.-O. vom 26. November 1900 der neue Lehrplan
zustande, der dem Gymnasium das Latein wieder verstärkte und das Griechische
erhielt, und der den drei höheren Schulen die Möglichkeit gewährte, sich mit dem,
was einer jeden das Wesentliche wäre, auszuwirken und wetteifernd ihre innere
Berechtigung zu zeigen.

Vielen unter uns, und so auch unserm Führer, ist es nicht leicht geworden,
diese Wendung der Dinge willkommen zu heißen, ja zu befördern; allzu fest
wurzelte der überlieferte Glaube, daß klassische Bildung „die Bildung" sei.
Jetzt, nach Jägers Tode, ist wohl geäußert worden, das Opfer, das er gebracht
und zu dem er andere ermutigt hat, sei umsonst gebracht worden; Frieden und
Ruhe seien doch nicht eingekehrt. — Die so sprechen, bedenken nicht, daß eins
unzweifelhaft, und ein Großes, damals erreicht worden ist: die Erhaltung des
Griechischen. Wenn wir uns im übrigen diese zehn Jahre her des freien Spiel¬
raums zur Betätigung unserer Kräfte uicht so haben erfreuen dürfen, wie ver¬
heißen worden war, so wollen wir uns besinnen, woher das kommt.

Daß Gegner uns nicht unangefochten lassen würden, war zu erwarten.
Gewiß sind viele von ihnen — ich möchte glauben: die meisten — loyal und
einsichtig; sie gönnen dem Gymnasium das Recht zum Dasein, um das sie selbst
lange haben kämpfen müssen, und hüten sich vor dem Fehler anspruchsvoller
Einseitigkeit, den sie — nicht immer ohne Grund — früher uns vorgeworfen
haben. Aber es gibt andere, denen die Grundbedingung aller Gerechtigkeit fehlt,
der Blick für das Wesentliche. Der ausgesprochene Sinn des Friedensschlusses
mar gewesen, daß der berechtigte Wunsch neu entstandener Wissenschaften, an
der Bildung des heranwachsenden Geschlechtes unmittelbar mitzuarbeiten, in
vermehrten realistischen Anstalten seine Befriedigung fände, nicht innerhalb des
gymnasialen Lehrplans; denn das hätte nur auf Kosten der alten Sprachen
geschehen können, und so wäre die innere Kraft des Gymnasiums weiter
geschwächt worden, die doch, wenn man einen ehrlichen Wettkampf haben wollte,
freier als bisher sich mußte entwickeln können. Jene aber sahen nur das Äußer¬
lichste der Erscheinungen. „Ein Zugeständnis von gymnasialer Seite? das lockt
zu verstärktem Angriff." So fuhr man nicht nur fort, das Reformgymnasium
weiter zu verbreiten, obwohl es durch die Gleichstellung der drei höheren Schulen
seinen ursprünglichen Zweck, wie Karl Reinhardt ihn verstand, verloren hatte,
sondern man suchte auch alsbald in den Bau des eigentlichen Gymnasiums mit
fortgesetzten Neuerungen einzugreifen, die unter allerlei schönen Titeln doch im
Grunde nur das Ziel verfolgten, die alten Sprachen, das, wodurch unsere Schule
eben ein Gymnasium ist, weiter zurückzudrängen.

Dabei wurde und wird gern geltend gemacht, keine von Menschen geschaffene
Einrichtung sei für die Ewigkeit bestimmt; so könnten auch die Lehrpläne von


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[0074] Gskar Jäger leitenden Gedanken mit meisterhafter Klarheit entwickelt. Sie bestimmten wirklich den Beratungen wie den Beschlüssen die Richtung. Und was das Wichtigste war, es gelang die Zustimmung des Monarchen für sie zu gewinnen. So kam unter dem Schutz der A. K.-O. vom 26. November 1900 der neue Lehrplan zustande, der dem Gymnasium das Latein wieder verstärkte und das Griechische erhielt, und der den drei höheren Schulen die Möglichkeit gewährte, sich mit dem, was einer jeden das Wesentliche wäre, auszuwirken und wetteifernd ihre innere Berechtigung zu zeigen. Vielen unter uns, und so auch unserm Führer, ist es nicht leicht geworden, diese Wendung der Dinge willkommen zu heißen, ja zu befördern; allzu fest wurzelte der überlieferte Glaube, daß klassische Bildung „die Bildung" sei. Jetzt, nach Jägers Tode, ist wohl geäußert worden, das Opfer, das er gebracht und zu dem er andere ermutigt hat, sei umsonst gebracht worden; Frieden und Ruhe seien doch nicht eingekehrt. — Die so sprechen, bedenken nicht, daß eins unzweifelhaft, und ein Großes, damals erreicht worden ist: die Erhaltung des Griechischen. Wenn wir uns im übrigen diese zehn Jahre her des freien Spiel¬ raums zur Betätigung unserer Kräfte uicht so haben erfreuen dürfen, wie ver¬ heißen worden war, so wollen wir uns besinnen, woher das kommt. Daß Gegner uns nicht unangefochten lassen würden, war zu erwarten. Gewiß sind viele von ihnen — ich möchte glauben: die meisten — loyal und einsichtig; sie gönnen dem Gymnasium das Recht zum Dasein, um das sie selbst lange haben kämpfen müssen, und hüten sich vor dem Fehler anspruchsvoller Einseitigkeit, den sie — nicht immer ohne Grund — früher uns vorgeworfen haben. Aber es gibt andere, denen die Grundbedingung aller Gerechtigkeit fehlt, der Blick für das Wesentliche. Der ausgesprochene Sinn des Friedensschlusses mar gewesen, daß der berechtigte Wunsch neu entstandener Wissenschaften, an der Bildung des heranwachsenden Geschlechtes unmittelbar mitzuarbeiten, in vermehrten realistischen Anstalten seine Befriedigung fände, nicht innerhalb des gymnasialen Lehrplans; denn das hätte nur auf Kosten der alten Sprachen geschehen können, und so wäre die innere Kraft des Gymnasiums weiter geschwächt worden, die doch, wenn man einen ehrlichen Wettkampf haben wollte, freier als bisher sich mußte entwickeln können. Jene aber sahen nur das Äußer¬ lichste der Erscheinungen. „Ein Zugeständnis von gymnasialer Seite? das lockt zu verstärktem Angriff." So fuhr man nicht nur fort, das Reformgymnasium weiter zu verbreiten, obwohl es durch die Gleichstellung der drei höheren Schulen seinen ursprünglichen Zweck, wie Karl Reinhardt ihn verstand, verloren hatte, sondern man suchte auch alsbald in den Bau des eigentlichen Gymnasiums mit fortgesetzten Neuerungen einzugreifen, die unter allerlei schönen Titeln doch im Grunde nur das Ziel verfolgten, die alten Sprachen, das, wodurch unsere Schule eben ein Gymnasium ist, weiter zurückzudrängen. Dabei wurde und wird gern geltend gemacht, keine von Menschen geschaffene Einrichtung sei für die Ewigkeit bestimmt; so könnten auch die Lehrpläne von

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/74>, abgerufen am 22.07.2024.