Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Im Flecken "Gott sei Lob und Dank! Es geht langsam. Aber schlage mich tot, "Siehst du, Tit Grigorjewitsch, wie du deine alten Freunde vergißt!" Botscharow schüttelte den Kopf. "Ich kann mich nicht besinnen." "Räbzow. Kusma Karpowitsch Räbzow." "Kusma Karpowitsch! "Jawohl, jawohl, Tit Grigorjewitsch, er selbst." "Kusma Karpowitsch, Bruder, wie erkannte ich dich nicht!" rief Botscharow "Ja, es werden wohl an die zwanzig Jährchen sein." "Gewiß, gewiß. Aber bist du unterdessen grau geworden!" "Hebe! Du stehst auch nicht jünger ans als damals, Tit Grigorjewitsch." "Ach ja," seufzte Botscharow, "das Alter macht nicht schöner." "Wahr, wahr." Sie betrachteten einander von oben bis unten. "Ich kann mich aber noch gar nicht fassen," begann wieder Botscharow. "Nu, Alte, watschle heran, rühre die Beine," fuhr er fort, sich die Hände "Nun, du lobst mich schon zu sehr, Tit Grigorjewitsch," sagte Räbzow selbst¬ Er küßte ihr zierlich die Hand, und sie berührte mit den Lippen seine Stirn. "Ordentlich, ordentlich, Frau!" befahl Botscharow. "Tue nicht, als ob er "Und Sie sind das Töchterchen des alten Knasters, Fräulein!" lächelte Er neigte sich tief, küßte zum zweiten Male ihre Hand und machte ihr, Im Flecken „Gott sei Lob und Dank! Es geht langsam. Aber schlage mich tot, „Siehst du, Tit Grigorjewitsch, wie du deine alten Freunde vergißt!" Botscharow schüttelte den Kopf. „Ich kann mich nicht besinnen." „Räbzow. Kusma Karpowitsch Räbzow." „Kusma Karpowitsch! „Jawohl, jawohl, Tit Grigorjewitsch, er selbst." „Kusma Karpowitsch, Bruder, wie erkannte ich dich nicht!" rief Botscharow „Ja, es werden wohl an die zwanzig Jährchen sein." „Gewiß, gewiß. Aber bist du unterdessen grau geworden!" „Hebe! Du stehst auch nicht jünger ans als damals, Tit Grigorjewitsch." „Ach ja," seufzte Botscharow, „das Alter macht nicht schöner." „Wahr, wahr." Sie betrachteten einander von oben bis unten. „Ich kann mich aber noch gar nicht fassen," begann wieder Botscharow. „Nu, Alte, watschle heran, rühre die Beine," fuhr er fort, sich die Hände „Nun, du lobst mich schon zu sehr, Tit Grigorjewitsch," sagte Räbzow selbst¬ Er küßte ihr zierlich die Hand, und sie berührte mit den Lippen seine Stirn. „Ordentlich, ordentlich, Frau!" befahl Botscharow. „Tue nicht, als ob er „Und Sie sind das Töchterchen des alten Knasters, Fräulein!" lächelte Er neigte sich tief, küßte zum zweiten Male ihre Hand und machte ihr, <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0632" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317583"/> <fw type="header" place="top"> Im Flecken</fw><lb/> <p xml:id="ID_3030"> „Gott sei Lob und Dank! Es geht langsam. 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Im Flecken
„Gott sei Lob und Dank! Es geht langsam. Aber schlage mich tot,
Väterchen, ich weiß nicht, wer du bist."
„Siehst du, Tit Grigorjewitsch, wie du deine alten Freunde vergißt!"
Botscharow schüttelte den Kopf.
„Ich kann mich nicht besinnen."
„Räbzow. Kusma Karpowitsch Räbzow."
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„Kusma Karpowitsch!
„Jawohl, jawohl, Tit Grigorjewitsch, er selbst."
„Kusma Karpowitsch, Bruder, wie erkannte ich dich nicht!" rief Botscharow
freudig und umarmte wiederholt den alten Geschäftsfreund. „Ist das ein Ereignis!
Wie viele Sommer, wie viele Winter haben wir uns nicht gesehen!"
„Ja, es werden wohl an die zwanzig Jährchen sein."
„Gewiß, gewiß. Aber bist du unterdessen grau geworden!"
„Hebe! Du stehst auch nicht jünger ans als damals, Tit Grigorjewitsch."
„Ach ja," seufzte Botscharow, „das Alter macht nicht schöner."
„Wahr, wahr."
Sie betrachteten einander von oben bis unten.
„Ich kann mich aber noch gar nicht fassen," begann wieder Botscharow.
„Eine solche Überraschung! Solche Freude! He, Frau, Tochter! Kriecht heraus.
Begrüßt den teuren Gast. Hurtig!"
„Nu, Alte, watschle heran, rühre die Beine," fuhr er fort, sich die Hände
reibend. „Das ist kein gewöhnlicher Gast. Das ist Räbzow, Kusma Karpowitsch,
ein Kaufmann ersten Ranges. Das ganze Gouvernement kennt seinen Namen,
ja in der Residenz, im Norden und im Süden hat man von ihm gehört. Begrüße
ihn, wie sich gehört, Anna Dmitrijewna, wie den leiblichen Vater. Ich erlaube
es. Und du auch, Marja Titowna."
„Nun, du lobst mich schon zu sehr, Tit Grigorjewitsch," sagte Räbzow selbst¬
gefällig. „Was bin ich? Ein Kaufmann, ein Holzhändler wie du. Guten Tag,
Anna Dmitrijewna. Erlauben Sie, Mütterchen, mit Ihnen bekannt zu werden."
Er küßte ihr zierlich die Hand, und sie berührte mit den Lippen seine Stirn.
„Ordentlich, ordentlich, Frau!" befahl Botscharow. „Tue nicht, als ob er
ein glühendes Eisen wäre. Auf den Mund wie einen Verwandten! So. So
gehört es sich."
„Und Sie sind das Töchterchen des alten Knasters, Fräulein!" lächelte
Räbzow, als er rin der Mutter fertig war und Marjas Hand erfaßte, die er in
der seinen festhielt. Er musterte sie dabei scharf, ließ die Augen an ihrer Gestalt
auf und nieder gleiten und zuletzt auf ihrem Gesicht ruhen. „Prächtig, prächtig!
Glücklich bist du, Tit Grigorjewitsch, eine solche Schönheit als Tochter zu besitzen.
Laß dich begrüßen, Täubchen. Marja heißt du? Erlauben Sie, Marja Titowna,
Ihnen die Hand zu küssen. Und — der Vater hat es ja befohlen — auch den
Mund. Du machst mich alten Kerl ganz jung, schönes Fräulein. Ah, schmeckt
das! Verzeihen Sie, Marja Titowna, wie ein Verwandter! Wir sind ja alte, alte
Freunde mit Ihrem Papa."
Er neigte sich tief, küßte zum zweiten Male ihre Hand und machte ihr,
indem er zurücktrat, nochmals eine Verbeugung. Wie er dann dastand, sah er
trotz dem einfachen langen, grauen Rock recht würdevoll aus. Man brauchte kein
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