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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Graf Julius Andrüssy

etwas Wesentliches preiszugeben, für die Einheit des Reichs nach außen eintrat,
daß sein offenbares Streben dahin ging, der Monarchie nach der Katastrophe
von 1866 wieder den alten Platz im Rate der Staaten zurückzuerobern.

Einen breiten Raum in der Genesis des Ausgleichs nimmt Beust ein.
Der kluge und gewandte Sachse, der als der unterlegene Rivale Bismarcks
daheim unmöglich geworden war und nun wie ein Wunderdoktor nach Österreich
berufen wurde, hat in den neueren Geschichtswerken fast nirgends eine günstige
Beurteilung erfahren. Bei Wertheimer vollends erscheint der persönlich über¬
mäßig eitle Reichskanzler mit seinem ewigen katzenartigen Lächeln und seiner
Hinneigung zur Intrige wie eine Folie zum ritterlichen AndrKssu. Aber auch
Wertheimer gibt zu, daß Beust, der in voller Unkenntnis der schwierigen öster¬
reichischen Verhältnisse nach Wien kam, all die Mensdorffs und Belcredis an
Geist gewaltig überragte, daß er ein rühriger Mann von politischem Scharfblick
und wenigstens kein eingefleischter Bureaukrat war, wie seine Vorgänger. Er
selber hat seine Verdienste am Ausgleiche sicher über Gebühr eingeschätzt; aber
gerade daß er kein Mann von Grundsätzen war, daß er Forderungen, die er
kurz vorher als Ultimatum aufgestellt, leichten Herzens wieder aufgab, gerade
diese Biegsamkeit und Schmiegsamkeit hat die Verständigung mit Ungarn erleichtert.
Sie kam endlich und ganz im Sinne der Nation, die seit fast zwanzig Jahren
mit beharrlicher Festigkeit an ihrem alten Recht gehalten hatte: die Wieder¬
herstellung der achtundvierziger Verfassung, allerdings mit Festlegung der beiden
Reichshälften gemeinsamen Angelegenheiten, die Ernennung eines eigenen
ungarischen Ministeriums mit Andrussy, dem "providentiellen Manne" an der
Spitze, die Krönung Franz Josephs in Ofen, die mehr war als eine Form,
denn nach ungarischen Staatsrechte fließen alle Rechte des Monarchen aus der
Krone des heiligen Stephan*). Da DeÄ wieder abgelehnt hatte, war es
Andrüssy, der gemeinsam mit dem Primas Simor den Akt der Krönung vollzog
und dann nach alter Sitte ins Presbuterium der Mathiaskirche trat und mit
gewaltiger Stimme in die glänzende Versammlung rief: "Es lebe der gekrönte
König von Ungarn!" Dem österreichischen Neichsrate aber wurde der Ausgleich
nicht zur Annahme, sondern als eine vollzogene Tatsache zur Kenntnisnahme
vorgelegt. Er hatte nur sein Ja und Amen zu dem Gesetze über die gemein¬
samen Angelegenheiten und zur Quote der Beitragsleistung hierfür zu sagen.
Der Dualismus war fertig. . . .

In sehr ausführlicher Weife behandelt Wertheimer AndrÄssys Tätigkeit als
ungarischer Ministerpräsident (Februar 1867 bis November 1871), seine Mit¬
wirkung am neuen Wehrgesetze, das eine ungarische Landwehr schuf, das gemein¬
same Heer aber doch beibehielt, sein Verdienst um die Regelung der Verhältnisse
in Kroatien, in Fiume und in der Militärgrenze. Von allgemeinerem Interesse
aber ist unstreitig die Darstellung des Einflusses, den Andr^ssy, nun schon der



*) Joseph II., der sich nicht hatte krönen lassen, weil er dies mit Unrecht für überflüssig
hielt, heißt in Ungarn "der König mit dem Hute".
Graf Julius Andrüssy

etwas Wesentliches preiszugeben, für die Einheit des Reichs nach außen eintrat,
daß sein offenbares Streben dahin ging, der Monarchie nach der Katastrophe
von 1866 wieder den alten Platz im Rate der Staaten zurückzuerobern.

Einen breiten Raum in der Genesis des Ausgleichs nimmt Beust ein.
Der kluge und gewandte Sachse, der als der unterlegene Rivale Bismarcks
daheim unmöglich geworden war und nun wie ein Wunderdoktor nach Österreich
berufen wurde, hat in den neueren Geschichtswerken fast nirgends eine günstige
Beurteilung erfahren. Bei Wertheimer vollends erscheint der persönlich über¬
mäßig eitle Reichskanzler mit seinem ewigen katzenartigen Lächeln und seiner
Hinneigung zur Intrige wie eine Folie zum ritterlichen AndrKssu. Aber auch
Wertheimer gibt zu, daß Beust, der in voller Unkenntnis der schwierigen öster¬
reichischen Verhältnisse nach Wien kam, all die Mensdorffs und Belcredis an
Geist gewaltig überragte, daß er ein rühriger Mann von politischem Scharfblick
und wenigstens kein eingefleischter Bureaukrat war, wie seine Vorgänger. Er
selber hat seine Verdienste am Ausgleiche sicher über Gebühr eingeschätzt; aber
gerade daß er kein Mann von Grundsätzen war, daß er Forderungen, die er
kurz vorher als Ultimatum aufgestellt, leichten Herzens wieder aufgab, gerade
diese Biegsamkeit und Schmiegsamkeit hat die Verständigung mit Ungarn erleichtert.
Sie kam endlich und ganz im Sinne der Nation, die seit fast zwanzig Jahren
mit beharrlicher Festigkeit an ihrem alten Recht gehalten hatte: die Wieder¬
herstellung der achtundvierziger Verfassung, allerdings mit Festlegung der beiden
Reichshälften gemeinsamen Angelegenheiten, die Ernennung eines eigenen
ungarischen Ministeriums mit Andrussy, dem „providentiellen Manne" an der
Spitze, die Krönung Franz Josephs in Ofen, die mehr war als eine Form,
denn nach ungarischen Staatsrechte fließen alle Rechte des Monarchen aus der
Krone des heiligen Stephan*). Da DeÄ wieder abgelehnt hatte, war es
Andrüssy, der gemeinsam mit dem Primas Simor den Akt der Krönung vollzog
und dann nach alter Sitte ins Presbuterium der Mathiaskirche trat und mit
gewaltiger Stimme in die glänzende Versammlung rief: „Es lebe der gekrönte
König von Ungarn!" Dem österreichischen Neichsrate aber wurde der Ausgleich
nicht zur Annahme, sondern als eine vollzogene Tatsache zur Kenntnisnahme
vorgelegt. Er hatte nur sein Ja und Amen zu dem Gesetze über die gemein¬
samen Angelegenheiten und zur Quote der Beitragsleistung hierfür zu sagen.
Der Dualismus war fertig. . . .

In sehr ausführlicher Weife behandelt Wertheimer AndrÄssys Tätigkeit als
ungarischer Ministerpräsident (Februar 1867 bis November 1871), seine Mit¬
wirkung am neuen Wehrgesetze, das eine ungarische Landwehr schuf, das gemein¬
same Heer aber doch beibehielt, sein Verdienst um die Regelung der Verhältnisse
in Kroatien, in Fiume und in der Militärgrenze. Von allgemeinerem Interesse
aber ist unstreitig die Darstellung des Einflusses, den Andr^ssy, nun schon der



*) Joseph II., der sich nicht hatte krönen lassen, weil er dies mit Unrecht für überflüssig
hielt, heißt in Ungarn „der König mit dem Hute".
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/562>, abgerufen am 22.07.2024.