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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Graf Julius Andrüssy

war aber daneben ein Versuch, und zwar der letzte, ein zentralisiertes Gesamt¬
österreich zu schaffen. Denn der Wiener Neichsrat sollte ohne die ungarischen
Abgeordneten ein "engerer" für die deutsch-slawischen Länder, mit den Ungarn
aber ein "weiterer" für das ganze Reich sein. Jedoch die Ungarn kamen nicht,
nicht einer kam. Einhelliger als je zuvor lehnten sie auch das Februarpatent
als unannehmbar ab. In zwei Adressen an die Krone verlangte der ungarische
Landtag (oder Reichstag, wie Wertheimer stets sagt) unter DeKks Führung die
Wiederherstellung der 1848 er Gesetze und erklärte mit großer Festigkeit, daß
der Wiener Reichsrat für Ungarn keine Gültigkeit, daß seine Beschlüsse und
Gesetze für Ungarn keine Kraft haben könnten. Julius Andren, aus dem
Zempliner Komitate gewählt, galt nun schon neben dem "Weisen der Nation",
neben dem ein unermeßliches Ansehen genießenden Deal, seinen Landsleuten als
der berufene Führer.

"Wir können warten!" Diese Schmerlingsche Politik gegen Ungarn fand
bald auch diesseits der Leitha nur Mißbilligung, und Moriz von Kaiserfeld,
einer der tüchtigsten und ehrlichsten deutschen Abgeordneten, prägte das Wort
vom "Marasmus der Mißerfolge". Gleichwohl fand damals, freilich nicht
durch Schmerling, eine Annäherung statt, die für das spätere Zustandekommen
eines Ausgleichs von hohen: Werte sein sollte. In einigen Artikeln der Wiener
"Debatte" ließ nämlich DeÄ im Mai 1865 erklären, daß es zwischen Öster¬
reich und Ungarn gemeinsame Angelegenheiten gebe: Diplomatie, Heer und
die dafür notwendigen Finanzen. Eine unleugbare Konzession ungarischerseits.
Denn bis dahin hatten die ungarischen Führer strenge an der reinen Personal¬
union festgehalten. Nun näherten sie sich dem, was man später den Dualismus
genannt hat. Um dieselbe Zeit ersann auch Andres" -- ein Neichsparlament
weit von sich weisend -- für die künftige Behandlung der gemeinsamen An¬
gelegenheiten die Delegationen, dieses staatsrechtliche Unikum, das also im
vollsten Sinne eine Schöpfung Andrüssvs ist.

Die Artikel der "Debatte" bedeuteten ein wenn auch bescheidenes Zugeständnis
an die Idee der Reichseinheit, deren erster Träger ja der Kaiser selber war.
Franz Joseph, für den die endliche Verständigung mit Ungarn, das endliche
Aufhören eines immer unhaltbarer werdenden Zustandes, längst ein Herzens¬
wunsch war, reiste also, ohne irgendeinen seiner Minister vorher zu fragen,
im Juni 1865 nach Pest und wurde, so weit man auch uoch von einer reellen Ver¬
söhnung zwischen Krone und Nation entfernt war, mit brausendemJubelempfangen.

Das nächste Opfer dieser Wendung war der Staatsminister. Was in
Österreich für Gehen oder Bleiben der Minister immer allein den Ausschlag
gab, das allerhöchste Vertrauen, hatte Schmerling schon seit dem Frankfurter
Fürstentag von 1863, der zu einem persönlichen Mißerfolg des Kaisers geworden
war, eingebüßt. Gegen ihn wühlte seit langem sein Ministerkollege ohne Porte¬
feuille und mit Einfluß, jener Moriz Esterhazy, der nicht Ungar und nicht
Österreicher, wie ein düsterer Schatten durch die Geschichte jener Tage schleicht


Graf Julius Andrüssy

war aber daneben ein Versuch, und zwar der letzte, ein zentralisiertes Gesamt¬
österreich zu schaffen. Denn der Wiener Neichsrat sollte ohne die ungarischen
Abgeordneten ein „engerer" für die deutsch-slawischen Länder, mit den Ungarn
aber ein „weiterer" für das ganze Reich sein. Jedoch die Ungarn kamen nicht,
nicht einer kam. Einhelliger als je zuvor lehnten sie auch das Februarpatent
als unannehmbar ab. In zwei Adressen an die Krone verlangte der ungarische
Landtag (oder Reichstag, wie Wertheimer stets sagt) unter DeKks Führung die
Wiederherstellung der 1848 er Gesetze und erklärte mit großer Festigkeit, daß
der Wiener Reichsrat für Ungarn keine Gültigkeit, daß seine Beschlüsse und
Gesetze für Ungarn keine Kraft haben könnten. Julius Andren, aus dem
Zempliner Komitate gewählt, galt nun schon neben dem „Weisen der Nation",
neben dem ein unermeßliches Ansehen genießenden Deal, seinen Landsleuten als
der berufene Führer.

„Wir können warten!" Diese Schmerlingsche Politik gegen Ungarn fand
bald auch diesseits der Leitha nur Mißbilligung, und Moriz von Kaiserfeld,
einer der tüchtigsten und ehrlichsten deutschen Abgeordneten, prägte das Wort
vom „Marasmus der Mißerfolge". Gleichwohl fand damals, freilich nicht
durch Schmerling, eine Annäherung statt, die für das spätere Zustandekommen
eines Ausgleichs von hohen: Werte sein sollte. In einigen Artikeln der Wiener
„Debatte" ließ nämlich DeÄ im Mai 1865 erklären, daß es zwischen Öster¬
reich und Ungarn gemeinsame Angelegenheiten gebe: Diplomatie, Heer und
die dafür notwendigen Finanzen. Eine unleugbare Konzession ungarischerseits.
Denn bis dahin hatten die ungarischen Führer strenge an der reinen Personal¬
union festgehalten. Nun näherten sie sich dem, was man später den Dualismus
genannt hat. Um dieselbe Zeit ersann auch Andres» — ein Neichsparlament
weit von sich weisend — für die künftige Behandlung der gemeinsamen An¬
gelegenheiten die Delegationen, dieses staatsrechtliche Unikum, das also im
vollsten Sinne eine Schöpfung Andrüssvs ist.

Die Artikel der „Debatte" bedeuteten ein wenn auch bescheidenes Zugeständnis
an die Idee der Reichseinheit, deren erster Träger ja der Kaiser selber war.
Franz Joseph, für den die endliche Verständigung mit Ungarn, das endliche
Aufhören eines immer unhaltbarer werdenden Zustandes, längst ein Herzens¬
wunsch war, reiste also, ohne irgendeinen seiner Minister vorher zu fragen,
im Juni 1865 nach Pest und wurde, so weit man auch uoch von einer reellen Ver¬
söhnung zwischen Krone und Nation entfernt war, mit brausendemJubelempfangen.

Das nächste Opfer dieser Wendung war der Staatsminister. Was in
Österreich für Gehen oder Bleiben der Minister immer allein den Ausschlag
gab, das allerhöchste Vertrauen, hatte Schmerling schon seit dem Frankfurter
Fürstentag von 1863, der zu einem persönlichen Mißerfolg des Kaisers geworden
war, eingebüßt. Gegen ihn wühlte seit langem sein Ministerkollege ohne Porte¬
feuille und mit Einfluß, jener Moriz Esterhazy, der nicht Ungar und nicht
Österreicher, wie ein düsterer Schatten durch die Geschichte jener Tage schleicht


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[0559] Graf Julius Andrüssy war aber daneben ein Versuch, und zwar der letzte, ein zentralisiertes Gesamt¬ österreich zu schaffen. Denn der Wiener Neichsrat sollte ohne die ungarischen Abgeordneten ein „engerer" für die deutsch-slawischen Länder, mit den Ungarn aber ein „weiterer" für das ganze Reich sein. Jedoch die Ungarn kamen nicht, nicht einer kam. Einhelliger als je zuvor lehnten sie auch das Februarpatent als unannehmbar ab. In zwei Adressen an die Krone verlangte der ungarische Landtag (oder Reichstag, wie Wertheimer stets sagt) unter DeKks Führung die Wiederherstellung der 1848 er Gesetze und erklärte mit großer Festigkeit, daß der Wiener Reichsrat für Ungarn keine Gültigkeit, daß seine Beschlüsse und Gesetze für Ungarn keine Kraft haben könnten. Julius Andren, aus dem Zempliner Komitate gewählt, galt nun schon neben dem „Weisen der Nation", neben dem ein unermeßliches Ansehen genießenden Deal, seinen Landsleuten als der berufene Führer. „Wir können warten!" Diese Schmerlingsche Politik gegen Ungarn fand bald auch diesseits der Leitha nur Mißbilligung, und Moriz von Kaiserfeld, einer der tüchtigsten und ehrlichsten deutschen Abgeordneten, prägte das Wort vom „Marasmus der Mißerfolge". Gleichwohl fand damals, freilich nicht durch Schmerling, eine Annäherung statt, die für das spätere Zustandekommen eines Ausgleichs von hohen: Werte sein sollte. In einigen Artikeln der Wiener „Debatte" ließ nämlich DeÄ im Mai 1865 erklären, daß es zwischen Öster¬ reich und Ungarn gemeinsame Angelegenheiten gebe: Diplomatie, Heer und die dafür notwendigen Finanzen. Eine unleugbare Konzession ungarischerseits. Denn bis dahin hatten die ungarischen Führer strenge an der reinen Personal¬ union festgehalten. Nun näherten sie sich dem, was man später den Dualismus genannt hat. Um dieselbe Zeit ersann auch Andres» — ein Neichsparlament weit von sich weisend — für die künftige Behandlung der gemeinsamen An¬ gelegenheiten die Delegationen, dieses staatsrechtliche Unikum, das also im vollsten Sinne eine Schöpfung Andrüssvs ist. Die Artikel der „Debatte" bedeuteten ein wenn auch bescheidenes Zugeständnis an die Idee der Reichseinheit, deren erster Träger ja der Kaiser selber war. Franz Joseph, für den die endliche Verständigung mit Ungarn, das endliche Aufhören eines immer unhaltbarer werdenden Zustandes, längst ein Herzens¬ wunsch war, reiste also, ohne irgendeinen seiner Minister vorher zu fragen, im Juni 1865 nach Pest und wurde, so weit man auch uoch von einer reellen Ver¬ söhnung zwischen Krone und Nation entfernt war, mit brausendemJubelempfangen. Das nächste Opfer dieser Wendung war der Staatsminister. Was in Österreich für Gehen oder Bleiben der Minister immer allein den Ausschlag gab, das allerhöchste Vertrauen, hatte Schmerling schon seit dem Frankfurter Fürstentag von 1863, der zu einem persönlichen Mißerfolg des Kaisers geworden war, eingebüßt. Gegen ihn wühlte seit langem sein Ministerkollege ohne Porte¬ feuille und mit Einfluß, jener Moriz Esterhazy, der nicht Ungar und nicht Österreicher, wie ein düsterer Schatten durch die Geschichte jener Tage schleicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/559>, abgerufen am 22.07.2024.