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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Industriepolitik

Sozialpolitik so wenig politische Erfolge gezeitigt hat und weshalb die sozial¬
demokratischen Ideen sich so schnell bei Privat-, Kommunal- und niederen
Staatsbeamten ausbreiten. Diese Zusammenhänge sollten doch nicht übersehen
werden!




Der Zusammenschluß so heterogener Elemente, wie sie das Bürger¬
tum bilden, war erst möglich, nachdem der Gesamtheit aller Gewerbe¬
treibenden gemeinsame, praktische Ziele gewiesen werden konnten. Das
aber war wiederum erst möglich, nachdem unser Wirtschaftsleben sich bis zu gewissen
Formen, die das Verbindende gegenüber dem Trennenden augenfälliger in den
Vordergrund rücken, entwickelt hatte. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint es
uns auch durchaus nicht auffällig, daß nicht einer der großen bestehenden
Jnteressenverbände aus der Industrie die Führung des gewerblichen Bürgertums
übernommen hat. -- Es ist auch menschlich verständlich, daß ein Mann, der
ein Menschenalter hindurch die Geschicke des größten gewerblichen Verbandes
mit Erfolg gelenkt hat, trotz allen Wissens und Könnens in die Gefahr gerät,
einseitig die Interessen dieses seines Verbandes mit denen der Gesamtheit zu
identifizieren. Herrn Bueck wird es mit seinen achtzig Jahren vielleicht schwer
zuzugeben, daß seine Lebensarbeit nicht den ganzen Bau, sondern nur einen
Eckstein dazu -- allerdings einen mächtigen -- darstellt, daß er nur ein Diener
jenes großen Bauherrn war, der Fortschritt heißt. Sollte es den Herren
Bueck und Steinmann gelingen, den Zentralverband Deutscher Industrieller zum
Anschluß an den Bund der Landwirte zu bewegen, dann würden sie auch
die ganze Verantwortung für die Folgen zu tragen haben. Zunächst würde
Buecks eigenes Werk in Trümmer gehen: der Zentralverband. Sodann
würden Hunderttausende von Wählern, die durchaus nicht republikanisch
gesinnt sind, den bürgerlichen Parteien den Rücken kehren und bei den
nächsten Wahlen sozialdemokratisch wählen, und schließlich würden die
vorhandenen und kommenden Angestellten-Organisationen, die heute noch
durchaus nicht ganz auf dem Boden der Demokratie stehen, dem demokratischen
Einfluß verfallen. Mit einem Wort: die Nation würde geteilt in eine Minderheit
wirtschaftlich mächtiger Arbeitgeber im engsten und eine Mehrheit enttäuschter,
unzufriedener Arbeitnehmer im weitesten Sinne. Die weiteren Folgen solcher
Zuspitzung sich auszumalen, sei der Phantasie des Lesers überlassen. Diese
Folgen zu vermeiden, ist seinerzeit der Hansabund gegründet worden, und da
an seiner Organisation auch die Industrie lebhaft beteiligt ist, scheint es uns
sicher, daß der Sieg der Bueckschen Ansichten zu einer starken Sezession aus
dem Zentralverbande führen würde, der damit zu einem Häuflein politisch
bedeutungsloser, wenn auch zahlungskräftiger Outsider zusammenschrumpfen
wüßte. Wenn Herr Steinmann-Bucher an seinen Anschauungen festhält, erscheint
es somit sehr zweifelhaft, ob sein im geheimen propagierter Plan, im Zentral-


Industriepolitik

Sozialpolitik so wenig politische Erfolge gezeitigt hat und weshalb die sozial¬
demokratischen Ideen sich so schnell bei Privat-, Kommunal- und niederen
Staatsbeamten ausbreiten. Diese Zusammenhänge sollten doch nicht übersehen
werden!




Der Zusammenschluß so heterogener Elemente, wie sie das Bürger¬
tum bilden, war erst möglich, nachdem der Gesamtheit aller Gewerbe¬
treibenden gemeinsame, praktische Ziele gewiesen werden konnten. Das
aber war wiederum erst möglich, nachdem unser Wirtschaftsleben sich bis zu gewissen
Formen, die das Verbindende gegenüber dem Trennenden augenfälliger in den
Vordergrund rücken, entwickelt hatte. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint es
uns auch durchaus nicht auffällig, daß nicht einer der großen bestehenden
Jnteressenverbände aus der Industrie die Führung des gewerblichen Bürgertums
übernommen hat. — Es ist auch menschlich verständlich, daß ein Mann, der
ein Menschenalter hindurch die Geschicke des größten gewerblichen Verbandes
mit Erfolg gelenkt hat, trotz allen Wissens und Könnens in die Gefahr gerät,
einseitig die Interessen dieses seines Verbandes mit denen der Gesamtheit zu
identifizieren. Herrn Bueck wird es mit seinen achtzig Jahren vielleicht schwer
zuzugeben, daß seine Lebensarbeit nicht den ganzen Bau, sondern nur einen
Eckstein dazu — allerdings einen mächtigen — darstellt, daß er nur ein Diener
jenes großen Bauherrn war, der Fortschritt heißt. Sollte es den Herren
Bueck und Steinmann gelingen, den Zentralverband Deutscher Industrieller zum
Anschluß an den Bund der Landwirte zu bewegen, dann würden sie auch
die ganze Verantwortung für die Folgen zu tragen haben. Zunächst würde
Buecks eigenes Werk in Trümmer gehen: der Zentralverband. Sodann
würden Hunderttausende von Wählern, die durchaus nicht republikanisch
gesinnt sind, den bürgerlichen Parteien den Rücken kehren und bei den
nächsten Wahlen sozialdemokratisch wählen, und schließlich würden die
vorhandenen und kommenden Angestellten-Organisationen, die heute noch
durchaus nicht ganz auf dem Boden der Demokratie stehen, dem demokratischen
Einfluß verfallen. Mit einem Wort: die Nation würde geteilt in eine Minderheit
wirtschaftlich mächtiger Arbeitgeber im engsten und eine Mehrheit enttäuschter,
unzufriedener Arbeitnehmer im weitesten Sinne. Die weiteren Folgen solcher
Zuspitzung sich auszumalen, sei der Phantasie des Lesers überlassen. Diese
Folgen zu vermeiden, ist seinerzeit der Hansabund gegründet worden, und da
an seiner Organisation auch die Industrie lebhaft beteiligt ist, scheint es uns
sicher, daß der Sieg der Bueckschen Ansichten zu einer starken Sezession aus
dem Zentralverbande führen würde, der damit zu einem Häuflein politisch
bedeutungsloser, wenn auch zahlungskräftiger Outsider zusammenschrumpfen
wüßte. Wenn Herr Steinmann-Bucher an seinen Anschauungen festhält, erscheint
es somit sehr zweifelhaft, ob sein im geheimen propagierter Plan, im Zentral-


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[0307] Industriepolitik Sozialpolitik so wenig politische Erfolge gezeitigt hat und weshalb die sozial¬ demokratischen Ideen sich so schnell bei Privat-, Kommunal- und niederen Staatsbeamten ausbreiten. Diese Zusammenhänge sollten doch nicht übersehen werden! Der Zusammenschluß so heterogener Elemente, wie sie das Bürger¬ tum bilden, war erst möglich, nachdem der Gesamtheit aller Gewerbe¬ treibenden gemeinsame, praktische Ziele gewiesen werden konnten. Das aber war wiederum erst möglich, nachdem unser Wirtschaftsleben sich bis zu gewissen Formen, die das Verbindende gegenüber dem Trennenden augenfälliger in den Vordergrund rücken, entwickelt hatte. Unter diesem Gesichtspunkte erscheint es uns auch durchaus nicht auffällig, daß nicht einer der großen bestehenden Jnteressenverbände aus der Industrie die Führung des gewerblichen Bürgertums übernommen hat. — Es ist auch menschlich verständlich, daß ein Mann, der ein Menschenalter hindurch die Geschicke des größten gewerblichen Verbandes mit Erfolg gelenkt hat, trotz allen Wissens und Könnens in die Gefahr gerät, einseitig die Interessen dieses seines Verbandes mit denen der Gesamtheit zu identifizieren. Herrn Bueck wird es mit seinen achtzig Jahren vielleicht schwer zuzugeben, daß seine Lebensarbeit nicht den ganzen Bau, sondern nur einen Eckstein dazu — allerdings einen mächtigen — darstellt, daß er nur ein Diener jenes großen Bauherrn war, der Fortschritt heißt. Sollte es den Herren Bueck und Steinmann gelingen, den Zentralverband Deutscher Industrieller zum Anschluß an den Bund der Landwirte zu bewegen, dann würden sie auch die ganze Verantwortung für die Folgen zu tragen haben. Zunächst würde Buecks eigenes Werk in Trümmer gehen: der Zentralverband. Sodann würden Hunderttausende von Wählern, die durchaus nicht republikanisch gesinnt sind, den bürgerlichen Parteien den Rücken kehren und bei den nächsten Wahlen sozialdemokratisch wählen, und schließlich würden die vorhandenen und kommenden Angestellten-Organisationen, die heute noch durchaus nicht ganz auf dem Boden der Demokratie stehen, dem demokratischen Einfluß verfallen. Mit einem Wort: die Nation würde geteilt in eine Minderheit wirtschaftlich mächtiger Arbeitgeber im engsten und eine Mehrheit enttäuschter, unzufriedener Arbeitnehmer im weitesten Sinne. Die weiteren Folgen solcher Zuspitzung sich auszumalen, sei der Phantasie des Lesers überlassen. Diese Folgen zu vermeiden, ist seinerzeit der Hansabund gegründet worden, und da an seiner Organisation auch die Industrie lebhaft beteiligt ist, scheint es uns sicher, daß der Sieg der Bueckschen Ansichten zu einer starken Sezession aus dem Zentralverbande führen würde, der damit zu einem Häuflein politisch bedeutungsloser, wenn auch zahlungskräftiger Outsider zusammenschrumpfen wüßte. Wenn Herr Steinmann-Bucher an seinen Anschauungen festhält, erscheint es somit sehr zweifelhaft, ob sein im geheimen propagierter Plan, im Zentral-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/307>, abgerufen am 22.07.2024.