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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft

müssen. Das ist die Hudson-Eisenbahn, die augenblicklich Kanada in Aufregung
versetzt, aber auch -- England.

The Pas ist eine Station an der Canadian-Northern-Bahn, am Südufer
des Saskatschewanflusses, nordwestlich vom Winnipegosis-See. Von dort würde
die Linie nach Port Nelson 760 Kilometer, nach Fort Churchill 885 Kilometer
lang sein. Für die kürzere Linie nach dem südlichen Hafen werden die Kosten
auf 21^2 Millionen Dollar geschätzt, sür die längere nach Fort Churchill auf
25^/., Millionen Dollar. Den Ausschlag zugunsten Fort Churchills scheinen die
Hafenverhältnisse zu geben. Man spricht fast nur noch von diesen: als Endpunkt.
Natürlich ist die Seefahrt entsprechend weiter als von Ostkanada aus, aber
wie wenig das ist, darüber täuscht man sich leicht, wenn man nicht bedenkt,
wie rasch nach Norden zu die Grade kürzer werden. Von Liverpool nach Fort
Churchill sind es 2946 Seemeilen, nach Montreal über Kap Race' 2927, durch
die sehr neblige, gefährliche Bellevillestmße zwischen Neufundland und Labrador
2761. Der Unterschied ist für ein einmal in der Fahrt befindliches Schiff sehr
unerheblich: zwischen der kürzesten und der längsten der angegebenen Entfernungen
nicht mehr als ein Tag. Weit mehr als das wird an Landtransport gespart,
denn The Pas ist um 1000 Seemeilen (1855 Kilometer) näher bei Fort Churchill
als bei Montreal. Die Anwälte der Hudsonbai-Bahn rechnen aus, daß der
neue Weg den Weizen um 15 Cents den Bushel nach Liverpool befördere. Das
wären ungefähr 22 Mark die Tonne, also eine höchst bedeutende Ersparnis,
die auf Millionen Tonnen des zu erwartenden westkanadischen Weizens eine
erkleckliche Summe ausmachen würde. Daraus würde sich ein bedeutendes Anlage¬
kapital rechtfertigen.

Fragen wir nun, ob die Schiffahrt durch die Hudsoustraße und Hudsonbai
nicht solche Gefahren und demgemäß Versicherungskosten mit sich bringt, daß
die Ersparnis wieder eingebüßt wird. Dem wird aufs nachdrücklichste wider-
sprochen. In dreihundert Jahren sollen achthundert Schiffe aller Art die große
Bucht aufgesucht haben; nur zwei kleine Schiffe sind, soweit bekannt, verloren
gegangen. Die Gewässer sind frei von Klippen und Sandbänken. Nebel und
schwere Stürme sind in den Verkehrsmonaten selten; für den Nebel fehlen die
für die Neufundlandsbänke so sehr eigenartigen Voraussetzung^. Die Hudsonbai
selber ist keineswegs stark von Packeis oder Eisbergen heimgesucht. Die Schwierig¬
keit in der Hudsonstraße kann jedoch nicht verkannt werden. Ob diese im Winter
zufriert, weiß man nicht. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß von Mitte
November an keine Schiffe mehr passieren können. Bis Mitte Juli bleibt die
Schiffahrt geschlossen; sicher ist von Ende Juli an alles frei bis auf vereinzelte
Eisberge. Die Belle-Jsle Straße nach dem Se. Lorenzstrom ist mindestens ebenso
sehr heimgesucht. Marconi-Stationen könnten zur Warnung und Hilfebeschaffung
viel tun. Man kann also annehmen, daß die Hudsonstraße vom 20. Juli bis
10. November ruhig befahren werden kann. Das sind sechzehn Wochen. In
dieser Zeit könnten Dampfer aus England dreimal die Fahrt nach Fort Churchill


Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft

müssen. Das ist die Hudson-Eisenbahn, die augenblicklich Kanada in Aufregung
versetzt, aber auch — England.

The Pas ist eine Station an der Canadian-Northern-Bahn, am Südufer
des Saskatschewanflusses, nordwestlich vom Winnipegosis-See. Von dort würde
die Linie nach Port Nelson 760 Kilometer, nach Fort Churchill 885 Kilometer
lang sein. Für die kürzere Linie nach dem südlichen Hafen werden die Kosten
auf 21^2 Millionen Dollar geschätzt, sür die längere nach Fort Churchill auf
25^/., Millionen Dollar. Den Ausschlag zugunsten Fort Churchills scheinen die
Hafenverhältnisse zu geben. Man spricht fast nur noch von diesen: als Endpunkt.
Natürlich ist die Seefahrt entsprechend weiter als von Ostkanada aus, aber
wie wenig das ist, darüber täuscht man sich leicht, wenn man nicht bedenkt,
wie rasch nach Norden zu die Grade kürzer werden. Von Liverpool nach Fort
Churchill sind es 2946 Seemeilen, nach Montreal über Kap Race' 2927, durch
die sehr neblige, gefährliche Bellevillestmße zwischen Neufundland und Labrador
2761. Der Unterschied ist für ein einmal in der Fahrt befindliches Schiff sehr
unerheblich: zwischen der kürzesten und der längsten der angegebenen Entfernungen
nicht mehr als ein Tag. Weit mehr als das wird an Landtransport gespart,
denn The Pas ist um 1000 Seemeilen (1855 Kilometer) näher bei Fort Churchill
als bei Montreal. Die Anwälte der Hudsonbai-Bahn rechnen aus, daß der
neue Weg den Weizen um 15 Cents den Bushel nach Liverpool befördere. Das
wären ungefähr 22 Mark die Tonne, also eine höchst bedeutende Ersparnis,
die auf Millionen Tonnen des zu erwartenden westkanadischen Weizens eine
erkleckliche Summe ausmachen würde. Daraus würde sich ein bedeutendes Anlage¬
kapital rechtfertigen.

Fragen wir nun, ob die Schiffahrt durch die Hudsoustraße und Hudsonbai
nicht solche Gefahren und demgemäß Versicherungskosten mit sich bringt, daß
die Ersparnis wieder eingebüßt wird. Dem wird aufs nachdrücklichste wider-
sprochen. In dreihundert Jahren sollen achthundert Schiffe aller Art die große
Bucht aufgesucht haben; nur zwei kleine Schiffe sind, soweit bekannt, verloren
gegangen. Die Gewässer sind frei von Klippen und Sandbänken. Nebel und
schwere Stürme sind in den Verkehrsmonaten selten; für den Nebel fehlen die
für die Neufundlandsbänke so sehr eigenartigen Voraussetzung^. Die Hudsonbai
selber ist keineswegs stark von Packeis oder Eisbergen heimgesucht. Die Schwierig¬
keit in der Hudsonstraße kann jedoch nicht verkannt werden. Ob diese im Winter
zufriert, weiß man nicht. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß von Mitte
November an keine Schiffe mehr passieren können. Bis Mitte Juli bleibt die
Schiffahrt geschlossen; sicher ist von Ende Juli an alles frei bis auf vereinzelte
Eisberge. Die Belle-Jsle Straße nach dem Se. Lorenzstrom ist mindestens ebenso
sehr heimgesucht. Marconi-Stationen könnten zur Warnung und Hilfebeschaffung
viel tun. Man kann also annehmen, daß die Hudsonstraße vom 20. Juli bis
10. November ruhig befahren werden kann. Das sind sechzehn Wochen. In
dieser Zeit könnten Dampfer aus England dreimal die Fahrt nach Fort Churchill


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[0260] Westkanadas Eintritt in die Weltwirtschaft müssen. Das ist die Hudson-Eisenbahn, die augenblicklich Kanada in Aufregung versetzt, aber auch — England. The Pas ist eine Station an der Canadian-Northern-Bahn, am Südufer des Saskatschewanflusses, nordwestlich vom Winnipegosis-See. Von dort würde die Linie nach Port Nelson 760 Kilometer, nach Fort Churchill 885 Kilometer lang sein. Für die kürzere Linie nach dem südlichen Hafen werden die Kosten auf 21^2 Millionen Dollar geschätzt, sür die längere nach Fort Churchill auf 25^/., Millionen Dollar. Den Ausschlag zugunsten Fort Churchills scheinen die Hafenverhältnisse zu geben. Man spricht fast nur noch von diesen: als Endpunkt. Natürlich ist die Seefahrt entsprechend weiter als von Ostkanada aus, aber wie wenig das ist, darüber täuscht man sich leicht, wenn man nicht bedenkt, wie rasch nach Norden zu die Grade kürzer werden. Von Liverpool nach Fort Churchill sind es 2946 Seemeilen, nach Montreal über Kap Race' 2927, durch die sehr neblige, gefährliche Bellevillestmße zwischen Neufundland und Labrador 2761. Der Unterschied ist für ein einmal in der Fahrt befindliches Schiff sehr unerheblich: zwischen der kürzesten und der längsten der angegebenen Entfernungen nicht mehr als ein Tag. Weit mehr als das wird an Landtransport gespart, denn The Pas ist um 1000 Seemeilen (1855 Kilometer) näher bei Fort Churchill als bei Montreal. Die Anwälte der Hudsonbai-Bahn rechnen aus, daß der neue Weg den Weizen um 15 Cents den Bushel nach Liverpool befördere. Das wären ungefähr 22 Mark die Tonne, also eine höchst bedeutende Ersparnis, die auf Millionen Tonnen des zu erwartenden westkanadischen Weizens eine erkleckliche Summe ausmachen würde. Daraus würde sich ein bedeutendes Anlage¬ kapital rechtfertigen. Fragen wir nun, ob die Schiffahrt durch die Hudsoustraße und Hudsonbai nicht solche Gefahren und demgemäß Versicherungskosten mit sich bringt, daß die Ersparnis wieder eingebüßt wird. Dem wird aufs nachdrücklichste wider- sprochen. In dreihundert Jahren sollen achthundert Schiffe aller Art die große Bucht aufgesucht haben; nur zwei kleine Schiffe sind, soweit bekannt, verloren gegangen. Die Gewässer sind frei von Klippen und Sandbänken. Nebel und schwere Stürme sind in den Verkehrsmonaten selten; für den Nebel fehlen die für die Neufundlandsbänke so sehr eigenartigen Voraussetzung^. Die Hudsonbai selber ist keineswegs stark von Packeis oder Eisbergen heimgesucht. Die Schwierig¬ keit in der Hudsonstraße kann jedoch nicht verkannt werden. Ob diese im Winter zufriert, weiß man nicht. Die Erfahrung hat aber gelehrt, daß von Mitte November an keine Schiffe mehr passieren können. Bis Mitte Juli bleibt die Schiffahrt geschlossen; sicher ist von Ende Juli an alles frei bis auf vereinzelte Eisberge. Die Belle-Jsle Straße nach dem Se. Lorenzstrom ist mindestens ebenso sehr heimgesucht. Marconi-Stationen könnten zur Warnung und Hilfebeschaffung viel tun. Man kann also annehmen, daß die Hudsonstraße vom 20. Juli bis 10. November ruhig befahren werden kann. Das sind sechzehn Wochen. In dieser Zeit könnten Dampfer aus England dreimal die Fahrt nach Fort Churchill

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/260>, abgerufen am 22.07.2024.