Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Die Verwertung der Staatsarchive in Preußen Bei einem deutschen Urkundenwerk über die diplomatischen Ursachen des Wie das französische Urkundenwerk sich mit dieser köstlichen Episode abfinden *) Vgl. meinen Aussatz "Der Eintritt des Großherzogtums Baden in den Norddeutschen
Bund und die Luxemburger Frage", "Grenzboten" 19VS, IV S, 5!) f. Die Verwertung der Staatsarchive in Preußen Bei einem deutschen Urkundenwerk über die diplomatischen Ursachen des Wie das französische Urkundenwerk sich mit dieser köstlichen Episode abfinden *) Vgl. meinen Aussatz „Der Eintritt des Großherzogtums Baden in den Norddeutschen
Bund und die Luxemburger Frage", „Grenzboten" 19VS, IV S, 5!) f. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0182" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317133"/> <fw type="header" place="top"> Die Verwertung der Staatsarchive in Preußen</fw><lb/> <p xml:id="ID_755"> Bei einem deutschen Urkundenwerk über die diplomatischen Ursachen des<lb/> Krieges von 1870/71 kommen natürlich nicht bloß die Staatsakten Preußens<lb/> und des Norddeutschen Bundes, sondern auch diejenigen der süddeutschen<lb/> Staaten in Betracht. Daß von der letzteren Seite aus Veröffentlichungen .in<lb/> Aussicht stehen, erscheint ausgeschlossen. Die Politik dieser Staaten war 1863<lb/> bis 1870 zu schwankend und zu wenig zielbewußt; keiner der Südstaaten hat<lb/> in der erwähnten Periode eine Politik gemacht, mit der man sozusagen Staat<lb/> machen könnte. Eine Ausnahme machte höchstens Baden, nachdem es 1866 in<lb/> der Person des Ministers Freydorf einen Politiker an seine leitende Stelle<lb/> erhalten hatte, der eine wahrhaft erquickende nationale Politik betrieb, und der<lb/> dem gleichzeitigen französischen Gesandten in Karlsruhe, Baron von Montascon,<lb/> gegenüber eine Sprache geführt hat, wie sie schon lange keinem französischen<lb/> Gesandten zu Ohren gekommen war*).</p><lb/> <p xml:id="ID_756"> Wie das französische Urkundenwerk sich mit dieser köstlichen Episode abfinden<lb/> wird, das werden wir ja sehen; jedenfalls verfolgt es, mag es auch noch so<lb/> objektiv geschrieben sein, in letzter Instanz eine ausgesprochene Tendenz: „Bismarck<lb/> als den hinzustellen, der seit 1863 systematisch auf den Krieg hingearbeitet hat;<lb/> auf der anderen Seite aber zu zeigen, daß Frankreich stets auf der Hut war<lb/> und schließlich nur durch Napoleon in das Verhängnis getrieben wurde".<lb/> Deutschland hat umgekehrt das Interesse, den Krieg als einen solchen hin¬<lb/> zustellen, den es seit 1866 diplomatisch und militärisch vorbereitet hat, nachdem<lb/> es zu der Überzeugung gelangt war, daß es bei all seiner Friedensliebe (1867<lb/> bei der Luxemburgischen Frage glänzend betätigt) doch den Degen mit den:<lb/> Nachbar werde kreuzen müssen. Man sieht, der Ausgangspunkt für die<lb/> Publikationen ist hüben und drüben ein so verschiedener, daß die zwei ver¬<lb/> schiedenen, je einem Auge entsprechenden perspektivischen Bilder unmöglich zu<lb/> einem Stereoskop vereinigt werden können.</p><lb/> <note xml:id="FID_15" place="foot"> *) Vgl. meinen Aussatz „Der Eintritt des Großherzogtums Baden in den Norddeutschen<lb/> Bund und die Luxemburger Frage", „Grenzboten" 19VS, IV S, 5!) f.</note><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0182]
Die Verwertung der Staatsarchive in Preußen
Bei einem deutschen Urkundenwerk über die diplomatischen Ursachen des
Krieges von 1870/71 kommen natürlich nicht bloß die Staatsakten Preußens
und des Norddeutschen Bundes, sondern auch diejenigen der süddeutschen
Staaten in Betracht. Daß von der letzteren Seite aus Veröffentlichungen .in
Aussicht stehen, erscheint ausgeschlossen. Die Politik dieser Staaten war 1863
bis 1870 zu schwankend und zu wenig zielbewußt; keiner der Südstaaten hat
in der erwähnten Periode eine Politik gemacht, mit der man sozusagen Staat
machen könnte. Eine Ausnahme machte höchstens Baden, nachdem es 1866 in
der Person des Ministers Freydorf einen Politiker an seine leitende Stelle
erhalten hatte, der eine wahrhaft erquickende nationale Politik betrieb, und der
dem gleichzeitigen französischen Gesandten in Karlsruhe, Baron von Montascon,
gegenüber eine Sprache geführt hat, wie sie schon lange keinem französischen
Gesandten zu Ohren gekommen war*).
Wie das französische Urkundenwerk sich mit dieser köstlichen Episode abfinden
wird, das werden wir ja sehen; jedenfalls verfolgt es, mag es auch noch so
objektiv geschrieben sein, in letzter Instanz eine ausgesprochene Tendenz: „Bismarck
als den hinzustellen, der seit 1863 systematisch auf den Krieg hingearbeitet hat;
auf der anderen Seite aber zu zeigen, daß Frankreich stets auf der Hut war
und schließlich nur durch Napoleon in das Verhängnis getrieben wurde".
Deutschland hat umgekehrt das Interesse, den Krieg als einen solchen hin¬
zustellen, den es seit 1866 diplomatisch und militärisch vorbereitet hat, nachdem
es zu der Überzeugung gelangt war, daß es bei all seiner Friedensliebe (1867
bei der Luxemburgischen Frage glänzend betätigt) doch den Degen mit den:
Nachbar werde kreuzen müssen. Man sieht, der Ausgangspunkt für die
Publikationen ist hüben und drüben ein so verschiedener, daß die zwei ver¬
schiedenen, je einem Auge entsprechenden perspektivischen Bilder unmöglich zu
einem Stereoskop vereinigt werden können.
*) Vgl. meinen Aussatz „Der Eintritt des Großherzogtums Baden in den Norddeutschen
Bund und die Luxemburger Frage", „Grenzboten" 19VS, IV S, 5!) f.
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