Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses In den "Gedanken und Erinnerungen" hat Bismarck dann das ganze Es fragt sich nun, ob heute noch eine solche Ausgestaltung des Bündnisses Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses In den „Gedanken und Erinnerungen" hat Bismarck dann das ganze Es fragt sich nun, ob heute noch eine solche Ausgestaltung des Bündnisses <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0018" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/316969"/> <fw type="header" place="top"> Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses</fw><lb/> <p xml:id="ID_16"> In den „Gedanken und Erinnerungen" hat Bismarck dann das ganze<lb/> Thema rückschauend behandelt; und wie dieses Werk mehr einen Kommentar<lb/> zu seiner Lebensarbeit als ein politisches Testament, das Zukunftsziele weist<lb/> (und dann ja niemals unmittelbar nach seinem Tode hätte veröffentlicht werden<lb/> können), darstellt, so lag es Bismarck nahe, bei dem, was er nicht erreicht hatte,<lb/> vor allem die Schwierigkeiten zu sehen, die seinen Absichten entgegenstanden,<lb/> Bezüglich der verfassungsmäßigen Jnartikulierung des Bündnisses verweist er<lb/> vor allem darauf, daß es eine stärkere Bindung, als sie im alten Bundes¬<lb/> verhältnis bestand, nicht gut geben könnte, und daß dies trotzdem Königgrätz<lb/> nicht verhindert habe. Man könnte dem noch hinzufügen, daß der jetzige<lb/> Bündnisvertrag wegen seiner einseitigen Zuspitzung auf einen bestimmten Fall<lb/> — den russischen Angriff — sich zu solcher verfassungsmäßiger Festlegung über¬<lb/> haupt nicht eigne, sondern daß dem die Ausgestaltung des Bündnisses zu<lb/> einem Schutz- und Trutzbündnisse erst vorausgehen müßte. Dies wird auch<lb/> von den deutsch nationalen Parteien in Österreich übersehen, die sich den<lb/> ursprünglichen Gedanken Bismarcks programmatisch zu eigen gemacht haben.</p><lb/> <p xml:id="ID_17" next="#ID_18"> Es fragt sich nun, ob heute noch eine solche Ausgestaltung des Bündnisses<lb/> erwünscht sein kann und, wenn ja, auf welchem Wege sie zu erreichen wäre.<lb/> Da mag auf zwei Dinge verwiesen werden, die sich seit dem Abschlüsse des<lb/> Bündnisses sehr erheblich geändert haben: Deutschlands Verhältnis zur orienta¬<lb/> lischen Frage und sein Verhältnis zu England. In die letzten dreißig Jahre<lb/> fällt der Aufschwung wirtschaftlicher Betätigung Deutschlands in der Türkei;<lb/> mehr als einmal haben wir dabei erkennen müssen, daß in den Ländern des<lb/> Orients Wirtschaftliches sich vom Politischen niemals reinlich trennen läßt, der<lb/> wirtschaftliche Erfolg vielfach an das politische Prestige gebunden ist. Deutsch¬<lb/> land und Österreich sind in ihrer wirtschaftlichen Betätigung auf dem Balkan<lb/> ihre eigenen Wege gegangen, der deutsche Handel hat sogar dank seiner größeren<lb/> Rührigkeit mancherlei Erfolge auf Kosten Österreichs errungen. Es fragt sich,<lb/> ob bei gemeinsamem Vorgehen nicht beide Partner größere Vorteile gehabt<lb/> hätten. In der Politik schob Deutschland immer seine Uninteressiert!)eit in<lb/> orientalischen Fragen vor, gewann sich dadurch sowie durch kleine Gefälligkeiten<lb/> die Gunst Abdul Hamids im besonderen Maße und nützte diese Lage auf wirt¬<lb/> schaftlichem Gebiete entsprechend aus. Aber schon Abdul Hamid konnte nicht<lb/> immer, wie er wollte, und Drohung mit Machtmitteln mußte auf ihn häufig<lb/> größeren Eindruck machen als Wohlwollen und Liebe. Nach dem Sturze des<lb/> hamidischen Regiments schien Deutschland als dessen Gönner bei dem neuen<lb/> Herrn übel angeschrieben, was auch in wirtschaftlichen Schädigungen, wie der<lb/> Verleihung der Dampfschiffskonzession auf dem Euphrat an eine englische Ge¬<lb/> sellschaft, zum Ausdruck kam. Die Kretafrage hat dann einen für uns sehr<lb/> glücklichen Umschwung zustande gebracht; das gemeinsame Vorgehen mit Österreich<lb/> war hier von selbst gegeben. Ob wir uns aber immer die Sympathie der<lb/> Türkei durch einfache Passivität, die in der Kretafrage zunächst für uns</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0018]
Die Weiterentwicklung des deutsch-österreichischen Bündnisses
In den „Gedanken und Erinnerungen" hat Bismarck dann das ganze
Thema rückschauend behandelt; und wie dieses Werk mehr einen Kommentar
zu seiner Lebensarbeit als ein politisches Testament, das Zukunftsziele weist
(und dann ja niemals unmittelbar nach seinem Tode hätte veröffentlicht werden
können), darstellt, so lag es Bismarck nahe, bei dem, was er nicht erreicht hatte,
vor allem die Schwierigkeiten zu sehen, die seinen Absichten entgegenstanden,
Bezüglich der verfassungsmäßigen Jnartikulierung des Bündnisses verweist er
vor allem darauf, daß es eine stärkere Bindung, als sie im alten Bundes¬
verhältnis bestand, nicht gut geben könnte, und daß dies trotzdem Königgrätz
nicht verhindert habe. Man könnte dem noch hinzufügen, daß der jetzige
Bündnisvertrag wegen seiner einseitigen Zuspitzung auf einen bestimmten Fall
— den russischen Angriff — sich zu solcher verfassungsmäßiger Festlegung über¬
haupt nicht eigne, sondern daß dem die Ausgestaltung des Bündnisses zu
einem Schutz- und Trutzbündnisse erst vorausgehen müßte. Dies wird auch
von den deutsch nationalen Parteien in Österreich übersehen, die sich den
ursprünglichen Gedanken Bismarcks programmatisch zu eigen gemacht haben.
Es fragt sich nun, ob heute noch eine solche Ausgestaltung des Bündnisses
erwünscht sein kann und, wenn ja, auf welchem Wege sie zu erreichen wäre.
Da mag auf zwei Dinge verwiesen werden, die sich seit dem Abschlüsse des
Bündnisses sehr erheblich geändert haben: Deutschlands Verhältnis zur orienta¬
lischen Frage und sein Verhältnis zu England. In die letzten dreißig Jahre
fällt der Aufschwung wirtschaftlicher Betätigung Deutschlands in der Türkei;
mehr als einmal haben wir dabei erkennen müssen, daß in den Ländern des
Orients Wirtschaftliches sich vom Politischen niemals reinlich trennen läßt, der
wirtschaftliche Erfolg vielfach an das politische Prestige gebunden ist. Deutsch¬
land und Österreich sind in ihrer wirtschaftlichen Betätigung auf dem Balkan
ihre eigenen Wege gegangen, der deutsche Handel hat sogar dank seiner größeren
Rührigkeit mancherlei Erfolge auf Kosten Österreichs errungen. Es fragt sich,
ob bei gemeinsamem Vorgehen nicht beide Partner größere Vorteile gehabt
hätten. In der Politik schob Deutschland immer seine Uninteressiert!)eit in
orientalischen Fragen vor, gewann sich dadurch sowie durch kleine Gefälligkeiten
die Gunst Abdul Hamids im besonderen Maße und nützte diese Lage auf wirt¬
schaftlichem Gebiete entsprechend aus. Aber schon Abdul Hamid konnte nicht
immer, wie er wollte, und Drohung mit Machtmitteln mußte auf ihn häufig
größeren Eindruck machen als Wohlwollen und Liebe. Nach dem Sturze des
hamidischen Regiments schien Deutschland als dessen Gönner bei dem neuen
Herrn übel angeschrieben, was auch in wirtschaftlichen Schädigungen, wie der
Verleihung der Dampfschiffskonzession auf dem Euphrat an eine englische Ge¬
sellschaft, zum Ausdruck kam. Die Kretafrage hat dann einen für uns sehr
glücklichen Umschwung zustande gebracht; das gemeinsame Vorgehen mit Österreich
war hier von selbst gegeben. Ob wir uns aber immer die Sympathie der
Türkei durch einfache Passivität, die in der Kretafrage zunächst für uns
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