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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Für das Erbrecht des Reiches

Unterlagen des Anschlages geprüft und sich mit dem Gedanken vertraut gemacht,
daß in Deutschland insgesamt 5700 Millionen jährlich vererbt werden. Faßt
man diese gewaltige Zahl ins Auge, so wird es nicht mehr phantastisch, sondern
nur natürlich erscheinen, daß im Wege einer nachdrücklichen und doch maßvollen
Begrenzung der schrankenlosen Verwandtenerbfolge der elfte Teil des Goldstromes
dem Zugriff lachender Erben entzogen und der Gesamtheit der Neichsangehörigen
zugeführt wird. -- Das amtliche Material zur Ermittelung des voraussichtlichen
Ertrages der Reform findet sich in der Anlage des Gesetzentwurfes der Ver¬
bündeten Regierungen über das Erbrecht des Staates vom 3. November 1908.
Danach gelangen von dein gesamten zur Vererbung kommenden Vermögen, das
sich, wie hervorgehoben ist, auf 5700 Millionen beläuft, erfahrungsgemäß durch¬
schnittlich 75 Prozent, also drei Viertel an Abkömmlinge und Ehegatten. Für
die übrigen Erben verbleibt ein Viertel mit 1425 Millionen. Davon kommen
nach statistischen Ermittelungen 41 Prozent, mithin 584 Millionen auf die Ver¬
wandten, die nach den: hier vertretenen Vorschlag als testamentslose Erben
künftig wegfallen, also Abkömmlinge von Geschwistern und entferntere Verwandte.
Diese Summe der 584 Millionen fällt sonnt dem Reiche anheim mit Ausnahme
des Teiles, über welchen letztwillig verfügt werden wird. Wie groß der Teil
sein wird, ist im voraus nicht zu bestimmen. Doch läßt sich an der Hand der
Erfahrung eine Wahrscheinlichkeitsberechnung aufstellen. Die Erfahrung lehrt,
daß bisher Testamente zugunsten von Geschwisterkindern selten, zugunsten von
entfernteren Verwandten nur ganz ausnahmsweise vorgekommen sind. Das wird
jeder Notar und Nachlaßrichter bestätigen. Worauf dies beruht, sei hier kurz
angedeutet. Im Vordergrunde steht Furcht vor dem Tode. Viele glauben, sie
müßten bald sterben, wenn sie Testament machen, -- ein Aberglaube, dem
immerhin eine natürliche Empfindung zugrunde liegt. Der Gedanke an das Ende,
an den Abschied von dieser schönen Welt hat wirklich wenig Verlockendes; es
ist sehr menschlich, wenn man ihn nach Möglichkeit von sich weist. Vielfach ist
aber auch beim Mangel naher Angehöriger eine gewisse Gleichgültigkeit über
das, was dereinst werden wird, bestimmend für die Unterlassung letztwilliger
Verfügungen, selbst Furcht vor den Kosten der Aufnahme hält manchen vom
Testieren ab. Mancher lebt in dein Wahn, er könnte auf dem Gericht unfreundlich
behandelt werden; wieder andere hegen die Besorgnis, bei wahrheitsgemäßer
Angabe ihrer Verhältnisse in unliebsame Widersprüche mit früheren Steuer¬
erklärungen zu geraten. Mancher endlich macht zwar Testament, aber zugunsten
dritter Personen aus Feindschaft gegen seine Verwandte. Dieses Moment ist
von besonderer Bedeutung. Verwandte stehen durchaus nicht immer in guten
Beziehungen zueinander. Man kann behaupten, ohne zu weit zu gehen, daß
Feindschaften innerhalb der weiteren Familie ebenso häufig sind wie Freund¬
schaften. Und gerade Erbschaften bilden eine Klippe, an der manches gute
Einvernehmen unter Verwandten gescheitert ist; die Fälle, in denen eine Erb¬
teilung ohne Streitigkeiten verläuft, sind nicht allzu zahlreich, zahlreich aber die,


Für das Erbrecht des Reiches

Unterlagen des Anschlages geprüft und sich mit dem Gedanken vertraut gemacht,
daß in Deutschland insgesamt 5700 Millionen jährlich vererbt werden. Faßt
man diese gewaltige Zahl ins Auge, so wird es nicht mehr phantastisch, sondern
nur natürlich erscheinen, daß im Wege einer nachdrücklichen und doch maßvollen
Begrenzung der schrankenlosen Verwandtenerbfolge der elfte Teil des Goldstromes
dem Zugriff lachender Erben entzogen und der Gesamtheit der Neichsangehörigen
zugeführt wird. — Das amtliche Material zur Ermittelung des voraussichtlichen
Ertrages der Reform findet sich in der Anlage des Gesetzentwurfes der Ver¬
bündeten Regierungen über das Erbrecht des Staates vom 3. November 1908.
Danach gelangen von dein gesamten zur Vererbung kommenden Vermögen, das
sich, wie hervorgehoben ist, auf 5700 Millionen beläuft, erfahrungsgemäß durch¬
schnittlich 75 Prozent, also drei Viertel an Abkömmlinge und Ehegatten. Für
die übrigen Erben verbleibt ein Viertel mit 1425 Millionen. Davon kommen
nach statistischen Ermittelungen 41 Prozent, mithin 584 Millionen auf die Ver¬
wandten, die nach den: hier vertretenen Vorschlag als testamentslose Erben
künftig wegfallen, also Abkömmlinge von Geschwistern und entferntere Verwandte.
Diese Summe der 584 Millionen fällt sonnt dem Reiche anheim mit Ausnahme
des Teiles, über welchen letztwillig verfügt werden wird. Wie groß der Teil
sein wird, ist im voraus nicht zu bestimmen. Doch läßt sich an der Hand der
Erfahrung eine Wahrscheinlichkeitsberechnung aufstellen. Die Erfahrung lehrt,
daß bisher Testamente zugunsten von Geschwisterkindern selten, zugunsten von
entfernteren Verwandten nur ganz ausnahmsweise vorgekommen sind. Das wird
jeder Notar und Nachlaßrichter bestätigen. Worauf dies beruht, sei hier kurz
angedeutet. Im Vordergrunde steht Furcht vor dem Tode. Viele glauben, sie
müßten bald sterben, wenn sie Testament machen, — ein Aberglaube, dem
immerhin eine natürliche Empfindung zugrunde liegt. Der Gedanke an das Ende,
an den Abschied von dieser schönen Welt hat wirklich wenig Verlockendes; es
ist sehr menschlich, wenn man ihn nach Möglichkeit von sich weist. Vielfach ist
aber auch beim Mangel naher Angehöriger eine gewisse Gleichgültigkeit über
das, was dereinst werden wird, bestimmend für die Unterlassung letztwilliger
Verfügungen, selbst Furcht vor den Kosten der Aufnahme hält manchen vom
Testieren ab. Mancher lebt in dein Wahn, er könnte auf dem Gericht unfreundlich
behandelt werden; wieder andere hegen die Besorgnis, bei wahrheitsgemäßer
Angabe ihrer Verhältnisse in unliebsame Widersprüche mit früheren Steuer¬
erklärungen zu geraten. Mancher endlich macht zwar Testament, aber zugunsten
dritter Personen aus Feindschaft gegen seine Verwandte. Dieses Moment ist
von besonderer Bedeutung. Verwandte stehen durchaus nicht immer in guten
Beziehungen zueinander. Man kann behaupten, ohne zu weit zu gehen, daß
Feindschaften innerhalb der weiteren Familie ebenso häufig sind wie Freund¬
schaften. Und gerade Erbschaften bilden eine Klippe, an der manches gute
Einvernehmen unter Verwandten gescheitert ist; die Fälle, in denen eine Erb¬
teilung ohne Streitigkeiten verläuft, sind nicht allzu zahlreich, zahlreich aber die,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/166>, abgerufen am 22.07.2024.