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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Acmfmcmnsstcmd in der deutschen Literatur

benutzt wird. Der Kaufmann war eben der Sündenbock. Deshalb und wohl
aus keinem andern Grunde hat Naogeorg dem Kaufmann die Hauptrolle auf
den Leib geschrieben, denn an keinem andern Stande konnte er die begangenen
Sünden in fo krasser Weise darstellen.

Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet, dagegen
dann und wann Jakob Ayrer. Hauptsächlich aber kommen in Betracht seine
Vorgänger, Lehrer und Zeitgenossen, die englischen Schauspielgesellschasten.

Ayrer überschreitet im allgemeinen den eng abgegrenzten Horizont Hans
Sachsens nicht. Dagegen kommen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts
Handschriften nach Deutschland, die uns zu Shakespeares "Kaufmann von
Venedig" führen, vorerst allerdings in vom Original stark abweichenden Auf¬
führungen, wie diejenige des "Gottesfürchtigen Kaufmanns von Padua" und
andere, wie der "Jude von Venedig" oder "Das wohl gesprochene Urteil eines
weiblichen Studenten" aus den Jahren 1607 und 1608, die auch auf Marlowes
Einfluß zurückzuführen sind.

"Der Kaufmann von Venedig", so wie Shakespeare ihn 1594 geschrieben
hat, ist erst 1777, am 7. November, in Deutschland, unter Schröder in Hamburg
aufgeführt worden.

Der Engländer zeigt uns den Kaufmannsstand in einem anderen Licht,
als bisher deutsche Dichter es getan. Antonio ist der Großkaufmann, der
Repräsentant der Handelsaristokratie, die sich im ausgehenden Mittelalter in der
deutschen Hansa und noch weit großartiger in den kleinen Staaten und großen
Städten Italiens entwickelt hatte. Wie schöne Worte widmet doch der Dichter
Antonios Handelsschiffen, die stolz besegelt auf dem Ozean umherfahren:

Dieser Antonio aber ist nur Einer, herausgegriffen aus der Mitte Vieler,
die nicht nur einem Schiff ihr Gut anvertrauten, deren Vermögen nicht von
einem besseren oder schlechteren Jahre abhängig ist.

In Italien haben die Medici aus Grund ihrer Hauptbücher ein Herzogtum
erbaut, in Deutschland waren es die Fugger^ Welser und andere Kaufmanns¬
geschlechter, die ihre Vermögen mit großen siebenstelligen Zahlen einschrieben.

Luther aber hatte nicht falsch prophezeit: Der Bürgerkrieg tobte dreißig
Jahre lang durch Deutschland, verheerte die Länder und machte die Städte
dem Erdboden gleich. Der Handel, allerdings nicht durch sein eigenes Ver¬
schulden, wurde brach gelegt. Den Kaufmannsstand in den literarischen Erzeug¬
nissen dieser Zeit aufzusuchen, wäre kaun: lohnenswert. Da war anderes zu
tuu: das Volk mußte ermuntert, getröstet, die deutsche Sprache von all den
ftemdländischen Brocken gereinigt werden. Hamburg und Bremen, die beiden


Der Acmfmcmnsstcmd in der deutschen Literatur

benutzt wird. Der Kaufmann war eben der Sündenbock. Deshalb und wohl
aus keinem andern Grunde hat Naogeorg dem Kaufmann die Hauptrolle auf
den Leib geschrieben, denn an keinem andern Stande konnte er die begangenen
Sünden in fo krasser Weise darstellen.

Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet, dagegen
dann und wann Jakob Ayrer. Hauptsächlich aber kommen in Betracht seine
Vorgänger, Lehrer und Zeitgenossen, die englischen Schauspielgesellschasten.

Ayrer überschreitet im allgemeinen den eng abgegrenzten Horizont Hans
Sachsens nicht. Dagegen kommen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts
Handschriften nach Deutschland, die uns zu Shakespeares „Kaufmann von
Venedig" führen, vorerst allerdings in vom Original stark abweichenden Auf¬
führungen, wie diejenige des „Gottesfürchtigen Kaufmanns von Padua" und
andere, wie der „Jude von Venedig" oder „Das wohl gesprochene Urteil eines
weiblichen Studenten" aus den Jahren 1607 und 1608, die auch auf Marlowes
Einfluß zurückzuführen sind.

„Der Kaufmann von Venedig", so wie Shakespeare ihn 1594 geschrieben
hat, ist erst 1777, am 7. November, in Deutschland, unter Schröder in Hamburg
aufgeführt worden.

Der Engländer zeigt uns den Kaufmannsstand in einem anderen Licht,
als bisher deutsche Dichter es getan. Antonio ist der Großkaufmann, der
Repräsentant der Handelsaristokratie, die sich im ausgehenden Mittelalter in der
deutschen Hansa und noch weit großartiger in den kleinen Staaten und großen
Städten Italiens entwickelt hatte. Wie schöne Worte widmet doch der Dichter
Antonios Handelsschiffen, die stolz besegelt auf dem Ozean umherfahren:

Dieser Antonio aber ist nur Einer, herausgegriffen aus der Mitte Vieler,
die nicht nur einem Schiff ihr Gut anvertrauten, deren Vermögen nicht von
einem besseren oder schlechteren Jahre abhängig ist.

In Italien haben die Medici aus Grund ihrer Hauptbücher ein Herzogtum
erbaut, in Deutschland waren es die Fugger^ Welser und andere Kaufmanns¬
geschlechter, die ihre Vermögen mit großen siebenstelligen Zahlen einschrieben.

Luther aber hatte nicht falsch prophezeit: Der Bürgerkrieg tobte dreißig
Jahre lang durch Deutschland, verheerte die Länder und machte die Städte
dem Erdboden gleich. Der Handel, allerdings nicht durch sein eigenes Ver¬
schulden, wurde brach gelegt. Den Kaufmannsstand in den literarischen Erzeug¬
nissen dieser Zeit aufzusuchen, wäre kaun: lohnenswert. Da war anderes zu
tuu: das Volk mußte ermuntert, getröstet, die deutsche Sprache von all den
ftemdländischen Brocken gereinigt werden. Hamburg und Bremen, die beiden


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[0132] Der Acmfmcmnsstcmd in der deutschen Literatur benutzt wird. Der Kaufmann war eben der Sündenbock. Deshalb und wohl aus keinem andern Grunde hat Naogeorg dem Kaufmann die Hauptrolle auf den Leib geschrieben, denn an keinem andern Stande konnte er die begangenen Sünden in fo krasser Weise darstellen. Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet, dagegen dann und wann Jakob Ayrer. Hauptsächlich aber kommen in Betracht seine Vorgänger, Lehrer und Zeitgenossen, die englischen Schauspielgesellschasten. Ayrer überschreitet im allgemeinen den eng abgegrenzten Horizont Hans Sachsens nicht. Dagegen kommen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts Handschriften nach Deutschland, die uns zu Shakespeares „Kaufmann von Venedig" führen, vorerst allerdings in vom Original stark abweichenden Auf¬ führungen, wie diejenige des „Gottesfürchtigen Kaufmanns von Padua" und andere, wie der „Jude von Venedig" oder „Das wohl gesprochene Urteil eines weiblichen Studenten" aus den Jahren 1607 und 1608, die auch auf Marlowes Einfluß zurückzuführen sind. „Der Kaufmann von Venedig", so wie Shakespeare ihn 1594 geschrieben hat, ist erst 1777, am 7. November, in Deutschland, unter Schröder in Hamburg aufgeführt worden. Der Engländer zeigt uns den Kaufmannsstand in einem anderen Licht, als bisher deutsche Dichter es getan. Antonio ist der Großkaufmann, der Repräsentant der Handelsaristokratie, die sich im ausgehenden Mittelalter in der deutschen Hansa und noch weit großartiger in den kleinen Staaten und großen Städten Italiens entwickelt hatte. Wie schöne Worte widmet doch der Dichter Antonios Handelsschiffen, die stolz besegelt auf dem Ozean umherfahren: Dieser Antonio aber ist nur Einer, herausgegriffen aus der Mitte Vieler, die nicht nur einem Schiff ihr Gut anvertrauten, deren Vermögen nicht von einem besseren oder schlechteren Jahre abhängig ist. In Italien haben die Medici aus Grund ihrer Hauptbücher ein Herzogtum erbaut, in Deutschland waren es die Fugger^ Welser und andere Kaufmanns¬ geschlechter, die ihre Vermögen mit großen siebenstelligen Zahlen einschrieben. Luther aber hatte nicht falsch prophezeit: Der Bürgerkrieg tobte dreißig Jahre lang durch Deutschland, verheerte die Länder und machte die Städte dem Erdboden gleich. Der Handel, allerdings nicht durch sein eigenes Ver¬ schulden, wurde brach gelegt. Den Kaufmannsstand in den literarischen Erzeug¬ nissen dieser Zeit aufzusuchen, wäre kaun: lohnenswert. Da war anderes zu tuu: das Volk mußte ermuntert, getröstet, die deutsche Sprache von all den ftemdländischen Brocken gereinigt werden. Hamburg und Bremen, die beiden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/132>, abgerufen am 22.07.2024.