Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.Der Acmfmcmnsstcmd in der deutschen Literatur benutzt wird. Der Kaufmann war eben der Sündenbock. Deshalb und wohl Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet, dagegen Ayrer überschreitet im allgemeinen den eng abgegrenzten Horizont Hans "Der Kaufmann von Venedig", so wie Shakespeare ihn 1594 geschrieben Der Engländer zeigt uns den Kaufmannsstand in einem anderen Licht, Dieser Antonio aber ist nur Einer, herausgegriffen aus der Mitte Vieler, In Italien haben die Medici aus Grund ihrer Hauptbücher ein Herzogtum Luther aber hatte nicht falsch prophezeit: Der Bürgerkrieg tobte dreißig Der Acmfmcmnsstcmd in der deutschen Literatur benutzt wird. Der Kaufmann war eben der Sündenbock. Deshalb und wohl Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet, dagegen Ayrer überschreitet im allgemeinen den eng abgegrenzten Horizont Hans „Der Kaufmann von Venedig", so wie Shakespeare ihn 1594 geschrieben Der Engländer zeigt uns den Kaufmannsstand in einem anderen Licht, Dieser Antonio aber ist nur Einer, herausgegriffen aus der Mitte Vieler, In Italien haben die Medici aus Grund ihrer Hauptbücher ein Herzogtum Luther aber hatte nicht falsch prophezeit: Der Bürgerkrieg tobte dreißig <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0132" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/317083"/> <fw type="header" place="top"> Der Acmfmcmnsstcmd in der deutschen Literatur</fw><lb/> <p xml:id="ID_500" prev="#ID_499"> benutzt wird. Der Kaufmann war eben der Sündenbock. Deshalb und wohl<lb/> aus keinem andern Grunde hat Naogeorg dem Kaufmann die Hauptrolle auf<lb/> den Leib geschrieben, denn an keinem andern Stande konnte er die begangenen<lb/> Sünden in fo krasser Weise darstellen.</p><lb/> <p xml:id="ID_501"> Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet, dagegen<lb/> dann und wann Jakob Ayrer. Hauptsächlich aber kommen in Betracht seine<lb/> Vorgänger, Lehrer und Zeitgenossen, die englischen Schauspielgesellschasten.</p><lb/> <p xml:id="ID_502"> Ayrer überschreitet im allgemeinen den eng abgegrenzten Horizont Hans<lb/> Sachsens nicht. Dagegen kommen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts<lb/> Handschriften nach Deutschland, die uns zu Shakespeares „Kaufmann von<lb/> Venedig" führen, vorerst allerdings in vom Original stark abweichenden Auf¬<lb/> führungen, wie diejenige des „Gottesfürchtigen Kaufmanns von Padua" und<lb/> andere, wie der „Jude von Venedig" oder „Das wohl gesprochene Urteil eines<lb/> weiblichen Studenten" aus den Jahren 1607 und 1608, die auch auf Marlowes<lb/> Einfluß zurückzuführen sind.</p><lb/> <p xml:id="ID_503"> „Der Kaufmann von Venedig", so wie Shakespeare ihn 1594 geschrieben<lb/> hat, ist erst 1777, am 7. November, in Deutschland, unter Schröder in Hamburg<lb/> aufgeführt worden.</p><lb/> <p xml:id="ID_504"> Der Engländer zeigt uns den Kaufmannsstand in einem anderen Licht,<lb/> als bisher deutsche Dichter es getan. Antonio ist der Großkaufmann, der<lb/> Repräsentant der Handelsaristokratie, die sich im ausgehenden Mittelalter in der<lb/> deutschen Hansa und noch weit großartiger in den kleinen Staaten und großen<lb/> Städten Italiens entwickelt hatte. Wie schöne Worte widmet doch der Dichter<lb/> Antonios Handelsschiffen, die stolz besegelt auf dem Ozean umherfahren:</p><lb/> <lg xml:id="POEMID_7" type="poem"> <l/> </lg><lb/> <p xml:id="ID_505"> Dieser Antonio aber ist nur Einer, herausgegriffen aus der Mitte Vieler,<lb/> die nicht nur einem Schiff ihr Gut anvertrauten, deren Vermögen nicht von<lb/> einem besseren oder schlechteren Jahre abhängig ist.</p><lb/> <p xml:id="ID_506"> In Italien haben die Medici aus Grund ihrer Hauptbücher ein Herzogtum<lb/> erbaut, in Deutschland waren es die Fugger^ Welser und andere Kaufmanns¬<lb/> geschlechter, die ihre Vermögen mit großen siebenstelligen Zahlen einschrieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_507" next="#ID_508"> Luther aber hatte nicht falsch prophezeit: Der Bürgerkrieg tobte dreißig<lb/> Jahre lang durch Deutschland, verheerte die Länder und machte die Städte<lb/> dem Erdboden gleich. Der Handel, allerdings nicht durch sein eigenes Ver¬<lb/> schulden, wurde brach gelegt. Den Kaufmannsstand in den literarischen Erzeug¬<lb/> nissen dieser Zeit aufzusuchen, wäre kaun: lohnenswert. Da war anderes zu<lb/> tuu: das Volk mußte ermuntert, getröstet, die deutsche Sprache von all den<lb/> ftemdländischen Brocken gereinigt werden. Hamburg und Bremen, die beiden</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0132]
Der Acmfmcmnsstcmd in der deutschen Literatur
benutzt wird. Der Kaufmann war eben der Sündenbock. Deshalb und wohl
aus keinem andern Grunde hat Naogeorg dem Kaufmann die Hauptrolle auf
den Leib geschrieben, denn an keinem andern Stande konnte er die begangenen
Sünden in fo krasser Weise darstellen.
Frischlin hat den Kaufmann in seinen Dichtungen nicht verwertet, dagegen
dann und wann Jakob Ayrer. Hauptsächlich aber kommen in Betracht seine
Vorgänger, Lehrer und Zeitgenossen, die englischen Schauspielgesellschasten.
Ayrer überschreitet im allgemeinen den eng abgegrenzten Horizont Hans
Sachsens nicht. Dagegen kommen im Anfang des siebzehnten Jahrhunderts
Handschriften nach Deutschland, die uns zu Shakespeares „Kaufmann von
Venedig" führen, vorerst allerdings in vom Original stark abweichenden Auf¬
führungen, wie diejenige des „Gottesfürchtigen Kaufmanns von Padua" und
andere, wie der „Jude von Venedig" oder „Das wohl gesprochene Urteil eines
weiblichen Studenten" aus den Jahren 1607 und 1608, die auch auf Marlowes
Einfluß zurückzuführen sind.
„Der Kaufmann von Venedig", so wie Shakespeare ihn 1594 geschrieben
hat, ist erst 1777, am 7. November, in Deutschland, unter Schröder in Hamburg
aufgeführt worden.
Der Engländer zeigt uns den Kaufmannsstand in einem anderen Licht,
als bisher deutsche Dichter es getan. Antonio ist der Großkaufmann, der
Repräsentant der Handelsaristokratie, die sich im ausgehenden Mittelalter in der
deutschen Hansa und noch weit großartiger in den kleinen Staaten und großen
Städten Italiens entwickelt hatte. Wie schöne Worte widmet doch der Dichter
Antonios Handelsschiffen, die stolz besegelt auf dem Ozean umherfahren:
Dieser Antonio aber ist nur Einer, herausgegriffen aus der Mitte Vieler,
die nicht nur einem Schiff ihr Gut anvertrauten, deren Vermögen nicht von
einem besseren oder schlechteren Jahre abhängig ist.
In Italien haben die Medici aus Grund ihrer Hauptbücher ein Herzogtum
erbaut, in Deutschland waren es die Fugger^ Welser und andere Kaufmanns¬
geschlechter, die ihre Vermögen mit großen siebenstelligen Zahlen einschrieben.
Luther aber hatte nicht falsch prophezeit: Der Bürgerkrieg tobte dreißig
Jahre lang durch Deutschland, verheerte die Länder und machte die Städte
dem Erdboden gleich. Der Handel, allerdings nicht durch sein eigenes Ver¬
schulden, wurde brach gelegt. Den Kaufmannsstand in den literarischen Erzeug¬
nissen dieser Zeit aufzusuchen, wäre kaun: lohnenswert. Da war anderes zu
tuu: das Volk mußte ermuntert, getröstet, die deutsche Sprache von all den
ftemdländischen Brocken gereinigt werden. Hamburg und Bremen, die beiden
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2024 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |