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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Der Ucmfmcmnsstand in der deutschen Literatur

sagen. Allen Dank schlägt der gute Gerhard aus: die Krone Englands, das
Herzogtum Kent und die Grafschaft London.

So wird durch eines Kaufmanns Demut der Tugendstolz des Kaisers
gebrochen und beschämt; der Kaufmann muß dem Kaiser als Beispiel gott¬
gefälligen Handelns dienen.

Das war die erste deutsche Dichtung, die sich bemühte, nicht nur in das
Leben des Kaufmanns, sondern auch in dessen Seele hineinzubringen, dorthin,
wo dem Streben nach Reichtum und Gewinn eine Grenze gezogen, wo auch
der Kaufmann Mensch ist.

Lange, lange Zeit steht dieses Hohelied vom Kaufmann einzig da. Denn
was wir auch an höfischen Epen auf Fundstellen prüfen, keines zeigt uns den
Kaufmann in diesem Rahmen. Wohl finden sich in Wolfram von Eschenbachs
"Parzival" das Ansehn des Kaufmanns betreffende Stellen, sie aber zeigen ihn
uns nur in höfischem Lichte.

Aber die Nachtigall hört auf zu schlagen. Allmählich verblaßt Frau Welts
Schönheit; Liebe und Treue gehen dahin. Der Mond wirst seine Lichtstrahlen
nur noch über ins Land träumende Ruinen, aber keine Frauengestalten wandeln
mehr nächtlicherweile in den Gärten. Auch die Abenteurerlust lebt sich aus.
Sie büßen und lehren. Auch der gute Gerhard hat von Demut gepredigt.

Das Jahr 1348 kam uuheilschwer. Auf ihrem schwarzen Drachen raste
die Pest durch das Land. Mit ihr das große Sterben. Die Judenverfolgung
kannte keine Grenzen. Sie sollten die Seuche durch eine Brunnenvergiftung ins
Land gebracht haben. So mähte, was die Pest auf ihrem Fluge nicht mit sich
nahm, die blinde, wütende Hand des Hasses, der Antisemitismus, erbarmungslos
nieder. Dieser grenzenlose Haß aber war nicht unmittelbar aus dem Boden
gestampft. Lange Zeit, Jahrhunderte hindurch schon, ist er genährt worden.

Nach der Völkerwanderung übernahmen stammfremde Völker den niedern
Handel. Vor allen aber die Juden. War ihnen der Handel und Schachergeist
auch nicht angeboren, sind sie durch ihre gesellschaftliche Stellung auf diesen
Erwerb angewiesen gewesen. Einerseits stammfremd, nicht zum Volke gehörend,
genossen die Juden von seiten der Fürsten weitgehende Privilegien. Bald aber
hatten die Juden den Geldhandel an sich gezogen, sie allein waren ja berechtigt,
was der Bürger nicht tun durfte: Geld gegen Zins zu leihen. So kam natur¬
gemäß der Wucher schließlich zu unerhörten Auswüchsen, zerstörte Land und
Volk und das sollte sich jetzt bitter rächen.

Doch auch die Eindrücke des schwarzen Todes waren nur vorübergehende.
Von neuem wurde gearbeitet. Universitäten wurden gegründet, der deutsche
Handel beginnt sich nach und nach den Weltmarkt zu erobern. Handel und
Industrie, Kunst und Wissenschaft blühen wieder auf.

Während im fünfzehnten Jahrhundert die deutsche Hansa ihre höchste Macht
entfaltete, Großkaufleute ihre Söhne den Handel studieren ließen, Kaufmanns¬
geschlechter die Geschicke der Städte leiteten und anderseits Staat und Leben ein


Grenzboten IV 1S1V Is
Der Ucmfmcmnsstand in der deutschen Literatur

sagen. Allen Dank schlägt der gute Gerhard aus: die Krone Englands, das
Herzogtum Kent und die Grafschaft London.

So wird durch eines Kaufmanns Demut der Tugendstolz des Kaisers
gebrochen und beschämt; der Kaufmann muß dem Kaiser als Beispiel gott¬
gefälligen Handelns dienen.

Das war die erste deutsche Dichtung, die sich bemühte, nicht nur in das
Leben des Kaufmanns, sondern auch in dessen Seele hineinzubringen, dorthin,
wo dem Streben nach Reichtum und Gewinn eine Grenze gezogen, wo auch
der Kaufmann Mensch ist.

Lange, lange Zeit steht dieses Hohelied vom Kaufmann einzig da. Denn
was wir auch an höfischen Epen auf Fundstellen prüfen, keines zeigt uns den
Kaufmann in diesem Rahmen. Wohl finden sich in Wolfram von Eschenbachs
„Parzival" das Ansehn des Kaufmanns betreffende Stellen, sie aber zeigen ihn
uns nur in höfischem Lichte.

Aber die Nachtigall hört auf zu schlagen. Allmählich verblaßt Frau Welts
Schönheit; Liebe und Treue gehen dahin. Der Mond wirst seine Lichtstrahlen
nur noch über ins Land träumende Ruinen, aber keine Frauengestalten wandeln
mehr nächtlicherweile in den Gärten. Auch die Abenteurerlust lebt sich aus.
Sie büßen und lehren. Auch der gute Gerhard hat von Demut gepredigt.

Das Jahr 1348 kam uuheilschwer. Auf ihrem schwarzen Drachen raste
die Pest durch das Land. Mit ihr das große Sterben. Die Judenverfolgung
kannte keine Grenzen. Sie sollten die Seuche durch eine Brunnenvergiftung ins
Land gebracht haben. So mähte, was die Pest auf ihrem Fluge nicht mit sich
nahm, die blinde, wütende Hand des Hasses, der Antisemitismus, erbarmungslos
nieder. Dieser grenzenlose Haß aber war nicht unmittelbar aus dem Boden
gestampft. Lange Zeit, Jahrhunderte hindurch schon, ist er genährt worden.

Nach der Völkerwanderung übernahmen stammfremde Völker den niedern
Handel. Vor allen aber die Juden. War ihnen der Handel und Schachergeist
auch nicht angeboren, sind sie durch ihre gesellschaftliche Stellung auf diesen
Erwerb angewiesen gewesen. Einerseits stammfremd, nicht zum Volke gehörend,
genossen die Juden von seiten der Fürsten weitgehende Privilegien. Bald aber
hatten die Juden den Geldhandel an sich gezogen, sie allein waren ja berechtigt,
was der Bürger nicht tun durfte: Geld gegen Zins zu leihen. So kam natur¬
gemäß der Wucher schließlich zu unerhörten Auswüchsen, zerstörte Land und
Volk und das sollte sich jetzt bitter rächen.

Doch auch die Eindrücke des schwarzen Todes waren nur vorübergehende.
Von neuem wurde gearbeitet. Universitäten wurden gegründet, der deutsche
Handel beginnt sich nach und nach den Weltmarkt zu erobern. Handel und
Industrie, Kunst und Wissenschaft blühen wieder auf.

Während im fünfzehnten Jahrhundert die deutsche Hansa ihre höchste Macht
entfaltete, Großkaufleute ihre Söhne den Handel studieren ließen, Kaufmanns¬
geschlechter die Geschicke der Städte leiteten und anderseits Staat und Leben ein


Grenzboten IV 1S1V Is
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[0125] Der Ucmfmcmnsstand in der deutschen Literatur sagen. Allen Dank schlägt der gute Gerhard aus: die Krone Englands, das Herzogtum Kent und die Grafschaft London. So wird durch eines Kaufmanns Demut der Tugendstolz des Kaisers gebrochen und beschämt; der Kaufmann muß dem Kaiser als Beispiel gott¬ gefälligen Handelns dienen. Das war die erste deutsche Dichtung, die sich bemühte, nicht nur in das Leben des Kaufmanns, sondern auch in dessen Seele hineinzubringen, dorthin, wo dem Streben nach Reichtum und Gewinn eine Grenze gezogen, wo auch der Kaufmann Mensch ist. Lange, lange Zeit steht dieses Hohelied vom Kaufmann einzig da. Denn was wir auch an höfischen Epen auf Fundstellen prüfen, keines zeigt uns den Kaufmann in diesem Rahmen. Wohl finden sich in Wolfram von Eschenbachs „Parzival" das Ansehn des Kaufmanns betreffende Stellen, sie aber zeigen ihn uns nur in höfischem Lichte. Aber die Nachtigall hört auf zu schlagen. Allmählich verblaßt Frau Welts Schönheit; Liebe und Treue gehen dahin. Der Mond wirst seine Lichtstrahlen nur noch über ins Land träumende Ruinen, aber keine Frauengestalten wandeln mehr nächtlicherweile in den Gärten. Auch die Abenteurerlust lebt sich aus. Sie büßen und lehren. Auch der gute Gerhard hat von Demut gepredigt. Das Jahr 1348 kam uuheilschwer. Auf ihrem schwarzen Drachen raste die Pest durch das Land. Mit ihr das große Sterben. Die Judenverfolgung kannte keine Grenzen. Sie sollten die Seuche durch eine Brunnenvergiftung ins Land gebracht haben. So mähte, was die Pest auf ihrem Fluge nicht mit sich nahm, die blinde, wütende Hand des Hasses, der Antisemitismus, erbarmungslos nieder. Dieser grenzenlose Haß aber war nicht unmittelbar aus dem Boden gestampft. Lange Zeit, Jahrhunderte hindurch schon, ist er genährt worden. Nach der Völkerwanderung übernahmen stammfremde Völker den niedern Handel. Vor allen aber die Juden. War ihnen der Handel und Schachergeist auch nicht angeboren, sind sie durch ihre gesellschaftliche Stellung auf diesen Erwerb angewiesen gewesen. Einerseits stammfremd, nicht zum Volke gehörend, genossen die Juden von seiten der Fürsten weitgehende Privilegien. Bald aber hatten die Juden den Geldhandel an sich gezogen, sie allein waren ja berechtigt, was der Bürger nicht tun durfte: Geld gegen Zins zu leihen. So kam natur¬ gemäß der Wucher schließlich zu unerhörten Auswüchsen, zerstörte Land und Volk und das sollte sich jetzt bitter rächen. Doch auch die Eindrücke des schwarzen Todes waren nur vorübergehende. Von neuem wurde gearbeitet. Universitäten wurden gegründet, der deutsche Handel beginnt sich nach und nach den Weltmarkt zu erobern. Handel und Industrie, Kunst und Wissenschaft blühen wieder auf. Während im fünfzehnten Jahrhundert die deutsche Hansa ihre höchste Macht entfaltete, Großkaufleute ihre Söhne den Handel studieren ließen, Kaufmanns¬ geschlechter die Geschicke der Städte leiteten und anderseits Staat und Leben ein Grenzboten IV 1S1V Is

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/125>, abgerufen am 22.07.2024.