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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frage der Fleischteuerung

teuerung der Fleischpreise durch staatliche Anordnungen erscheint mir das am
30. Juni 1900 erlassene und am 1. April 1903 in Kraft getretene Gesetz,
betreffend die Schlacht- und Fleischbeschau, gewesen zu sein, wonach allgemein
für das Reichsgebiet die Fleischbeschau obligatorisch geworden ist, nachdem
Preußen schon längere Zeit vorher sein Augenmerk auf die Kontrolle des in den
Handel gelangenden Fleisches gerichtet hatte. Der Zweck der Gesetze verfolgt
ausschließlich den gesundheitlichen Schutz des Fleischverbrauches, durch seine viel¬
fachen Bestimmungen bezw. der Untersuchung von zum Schlachten bestimmtem
Rindvieh, Schweinen, Schafen, Ziegen, Pferden und Hunden vor und nach der
Tötung schränkt es zugunsten der inländischen Fleischproduktiou die ausländische
Fleischeinfuhr erheblich ein. Wenn der Deutsche Handelstag bereits in seiner
Vollversammlung am 6. April 1900 bei Beratung des Entwurfs eines Gesetzes,
betreffend die Schlacht- und Fleischbeschau, darauf hingewiesen hat, daß das
angestrebte fast völlige Verbot der Einfuhr von Fleisch die Fleischernährung
breiter Schichten des deutschen Volkes erschweren, insbesondere die Lebenshaltung
und Leistungsfähigkeit der Arbeiter beeinträchtigen und damit die Entwicklung
und den Wettbewerb der deutschen Industrie schädigen werde, so hat er vorahnend
das geschaut, was späterhin die Praxis deutlich gezeigt hat. Die Fleischbeschau
hat in sanitärer Hinsicht unfehlbar Gutes gezeitigt, daneben aber hat sie ohne
Zweifel an einer Fleischverteuerung durch die Hinderung ausländischer Fleisch-
einfuhr hervorragenden Anteil. Insbesondere ist durch die Vorschrift, daß
frisches Fleisch nur in ganzen Tierkörpern, Pökelfleisch nur in Mengen von
mindestens 4 KZ eingeführt werden dürfen, die Einfuhr von Büchsenfleisch,
Würsten und sonstigem Gemenge aus zerkleinertem Fleisch überhaupt verboten
ist, Amerikas und Australiens Fleischindustrie der deutsche Markt verschlossen
worden und eine Steigerung der Inlands-Fleischpreise bewirkt. Wie sehr eine
Einfuhr ausländischen Fleisches regulierend auf den Preis im Inland wirkt,
zeigt deutlich England, das sich den Fleischreichtum der genannten Länder zunutze
macht, in sanitärer Hinsicht durchaus nicht leidet und bei ständig wachsendem
Konsum die Fleischpreise fast immer niedrig gehalten hat.

Ist es nun möglich, der in Deutschland vorhandenen Fleischteuerung zu
steuern und auf welche Weise läßt sich dies am besten erreichen? Am
13. September d. Is. hatte eine Abordnung des Deutschen Fleischerverbandes
bei dem Herrn Landwirtschaftsminister eine Audienz, in der sie eine Anzahl
Vorschläge machte, durch deren Befolgung, wie die Interessenten glauben, dem
Mangel an Vieh und Fleisch abgeholfen werden kann. Die empfohlenen Ma߬
nahmen lassen sich unter vier Gesichtspunkten zusammenfassen. In erster Linie
glauben die beteiligten Kreise, daß die Aufhebung aller Einfuhrzölle auf Futter¬
mittel eine Steigerung der Viehproduktion im Inlande bewirke. Sodann sind
sie der Meinung, daß eine stärkere Einfuhr von Nutz- und Schlachtvieh aus
dem Auslande unter Vermeidung aller erschwerenden Bedingungen die Menge
des Schlachtviehs allmählich vergrößere. In dritter Linie erhofft man das Heil


Zur Frage der Fleischteuerung

teuerung der Fleischpreise durch staatliche Anordnungen erscheint mir das am
30. Juni 1900 erlassene und am 1. April 1903 in Kraft getretene Gesetz,
betreffend die Schlacht- und Fleischbeschau, gewesen zu sein, wonach allgemein
für das Reichsgebiet die Fleischbeschau obligatorisch geworden ist, nachdem
Preußen schon längere Zeit vorher sein Augenmerk auf die Kontrolle des in den
Handel gelangenden Fleisches gerichtet hatte. Der Zweck der Gesetze verfolgt
ausschließlich den gesundheitlichen Schutz des Fleischverbrauches, durch seine viel¬
fachen Bestimmungen bezw. der Untersuchung von zum Schlachten bestimmtem
Rindvieh, Schweinen, Schafen, Ziegen, Pferden und Hunden vor und nach der
Tötung schränkt es zugunsten der inländischen Fleischproduktiou die ausländische
Fleischeinfuhr erheblich ein. Wenn der Deutsche Handelstag bereits in seiner
Vollversammlung am 6. April 1900 bei Beratung des Entwurfs eines Gesetzes,
betreffend die Schlacht- und Fleischbeschau, darauf hingewiesen hat, daß das
angestrebte fast völlige Verbot der Einfuhr von Fleisch die Fleischernährung
breiter Schichten des deutschen Volkes erschweren, insbesondere die Lebenshaltung
und Leistungsfähigkeit der Arbeiter beeinträchtigen und damit die Entwicklung
und den Wettbewerb der deutschen Industrie schädigen werde, so hat er vorahnend
das geschaut, was späterhin die Praxis deutlich gezeigt hat. Die Fleischbeschau
hat in sanitärer Hinsicht unfehlbar Gutes gezeitigt, daneben aber hat sie ohne
Zweifel an einer Fleischverteuerung durch die Hinderung ausländischer Fleisch-
einfuhr hervorragenden Anteil. Insbesondere ist durch die Vorschrift, daß
frisches Fleisch nur in ganzen Tierkörpern, Pökelfleisch nur in Mengen von
mindestens 4 KZ eingeführt werden dürfen, die Einfuhr von Büchsenfleisch,
Würsten und sonstigem Gemenge aus zerkleinertem Fleisch überhaupt verboten
ist, Amerikas und Australiens Fleischindustrie der deutsche Markt verschlossen
worden und eine Steigerung der Inlands-Fleischpreise bewirkt. Wie sehr eine
Einfuhr ausländischen Fleisches regulierend auf den Preis im Inland wirkt,
zeigt deutlich England, das sich den Fleischreichtum der genannten Länder zunutze
macht, in sanitärer Hinsicht durchaus nicht leidet und bei ständig wachsendem
Konsum die Fleischpreise fast immer niedrig gehalten hat.

Ist es nun möglich, der in Deutschland vorhandenen Fleischteuerung zu
steuern und auf welche Weise läßt sich dies am besten erreichen? Am
13. September d. Is. hatte eine Abordnung des Deutschen Fleischerverbandes
bei dem Herrn Landwirtschaftsminister eine Audienz, in der sie eine Anzahl
Vorschläge machte, durch deren Befolgung, wie die Interessenten glauben, dem
Mangel an Vieh und Fleisch abgeholfen werden kann. Die empfohlenen Ma߬
nahmen lassen sich unter vier Gesichtspunkten zusammenfassen. In erster Linie
glauben die beteiligten Kreise, daß die Aufhebung aller Einfuhrzölle auf Futter¬
mittel eine Steigerung der Viehproduktion im Inlande bewirke. Sodann sind
sie der Meinung, daß eine stärkere Einfuhr von Nutz- und Schlachtvieh aus
dem Auslande unter Vermeidung aller erschwerenden Bedingungen die Menge
des Schlachtviehs allmählich vergrößere. In dritter Linie erhofft man das Heil


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[0118] Zur Frage der Fleischteuerung teuerung der Fleischpreise durch staatliche Anordnungen erscheint mir das am 30. Juni 1900 erlassene und am 1. April 1903 in Kraft getretene Gesetz, betreffend die Schlacht- und Fleischbeschau, gewesen zu sein, wonach allgemein für das Reichsgebiet die Fleischbeschau obligatorisch geworden ist, nachdem Preußen schon längere Zeit vorher sein Augenmerk auf die Kontrolle des in den Handel gelangenden Fleisches gerichtet hatte. Der Zweck der Gesetze verfolgt ausschließlich den gesundheitlichen Schutz des Fleischverbrauches, durch seine viel¬ fachen Bestimmungen bezw. der Untersuchung von zum Schlachten bestimmtem Rindvieh, Schweinen, Schafen, Ziegen, Pferden und Hunden vor und nach der Tötung schränkt es zugunsten der inländischen Fleischproduktiou die ausländische Fleischeinfuhr erheblich ein. Wenn der Deutsche Handelstag bereits in seiner Vollversammlung am 6. April 1900 bei Beratung des Entwurfs eines Gesetzes, betreffend die Schlacht- und Fleischbeschau, darauf hingewiesen hat, daß das angestrebte fast völlige Verbot der Einfuhr von Fleisch die Fleischernährung breiter Schichten des deutschen Volkes erschweren, insbesondere die Lebenshaltung und Leistungsfähigkeit der Arbeiter beeinträchtigen und damit die Entwicklung und den Wettbewerb der deutschen Industrie schädigen werde, so hat er vorahnend das geschaut, was späterhin die Praxis deutlich gezeigt hat. Die Fleischbeschau hat in sanitärer Hinsicht unfehlbar Gutes gezeitigt, daneben aber hat sie ohne Zweifel an einer Fleischverteuerung durch die Hinderung ausländischer Fleisch- einfuhr hervorragenden Anteil. Insbesondere ist durch die Vorschrift, daß frisches Fleisch nur in ganzen Tierkörpern, Pökelfleisch nur in Mengen von mindestens 4 KZ eingeführt werden dürfen, die Einfuhr von Büchsenfleisch, Würsten und sonstigem Gemenge aus zerkleinertem Fleisch überhaupt verboten ist, Amerikas und Australiens Fleischindustrie der deutsche Markt verschlossen worden und eine Steigerung der Inlands-Fleischpreise bewirkt. Wie sehr eine Einfuhr ausländischen Fleisches regulierend auf den Preis im Inland wirkt, zeigt deutlich England, das sich den Fleischreichtum der genannten Länder zunutze macht, in sanitärer Hinsicht durchaus nicht leidet und bei ständig wachsendem Konsum die Fleischpreise fast immer niedrig gehalten hat. Ist es nun möglich, der in Deutschland vorhandenen Fleischteuerung zu steuern und auf welche Weise läßt sich dies am besten erreichen? Am 13. September d. Is. hatte eine Abordnung des Deutschen Fleischerverbandes bei dem Herrn Landwirtschaftsminister eine Audienz, in der sie eine Anzahl Vorschläge machte, durch deren Befolgung, wie die Interessenten glauben, dem Mangel an Vieh und Fleisch abgeholfen werden kann. Die empfohlenen Ma߬ nahmen lassen sich unter vier Gesichtspunkten zusammenfassen. In erster Linie glauben die beteiligten Kreise, daß die Aufhebung aller Einfuhrzölle auf Futter¬ mittel eine Steigerung der Viehproduktion im Inlande bewirke. Sodann sind sie der Meinung, daß eine stärkere Einfuhr von Nutz- und Schlachtvieh aus dem Auslande unter Vermeidung aller erschwerenden Bedingungen die Menge des Schlachtviehs allmählich vergrößere. In dritter Linie erhofft man das Heil

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/118>, abgerufen am 22.07.2024.