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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr.

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Zur Frage der Fleischteuerung

bei Schweinen auf 133,3 M., bei Kälbern auf 163,3 M. und bei Hammeln
auf 141,5 M. gestiegen. Allein in der Zeit von 1908 bis 1910 stiegen in
Berlin mit den Feststellungen der Markthallendirektion und des Königl. Polizei¬
präsidiums die Kleinhandelspreise für Rindfleisch von 89 auf 94 Pf., bei Kalb¬
fleisch von 92 auf 98 Pf. und bei rohem Schweinefleisch (je nach der Qualität)
von 70 auf 97 Pf. Die Folgen dieser Teuerung zeigen sich in dem verringerten
Fleischkonsum. Dieser wird aber regierungsseitig bestritten und wiederholt ist
betont worden, daß der Fleischverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung nicht
zurückgegangen sei, sondern gegen das Vorjahr noch eine Steigerung erfahren
habe. Mit dieser Behauptung stehen in schroffem Widerspruche die Angaben,
die vor kurzem Dr. Carl v. Tyska im "Berliner Tageblatt" aus Grund der
Verbrauchsstatistik derjenigen deutschen Großstädte gemacht hat, die infolge Er¬
hebung eines Oktrois an ihren Toren bis zum 1. Januar 1910 in der Lage
waren, genaue Übersichten über ihren Fleischkonsum zu geben. Danach ging
z. B. in Dresden der Verbrauch an Fleisch pro Kopf der Bevölkerung 1909
gegen das Jahr 1900 um 19 Prozent zurück. Diese Zahl redet doch eine so
gewaltige Sprache, daß man an eine Zunahme des Fleischkonsums im letzten
Jahre auch dann nicht zu glauben vermag, wenn man in Erwägung zieht, daß
vielleicht in ländlichen Distrikten die Verhältnisse anders liegen als in Gro߬
städten.

Die Frage nach der Ursache der Fleischteuerung läßt sich meines Erachtens
dahin beantworten, daß zwei Momente die Steigerung der Vieh- und Fleisch¬
preise verschuldet haben. Beide Gründe, die auf ganz verschiedenen Gebieten
liegen, Mer in ihrer Gesamtwirkung den jetzigen Zustand hervor: Der eine ist
gegebeKin der Art und Weise der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands
von einem Agrar- zu einem Industriestaats, der andere -- und ihn sehe ich als
den Hauptfaktor für die Fleischteuerung an -- resultiert aus staatlichen Ma߬
nahmen, die getroffen sind, um die heimische Viehzucht vor Einschleppung von
Seuchen aus dem Auslande zu bewahren. Das allmähliche, aber stetige Vor¬
dringen der Industrie in Deutschland und der damit unbedingt verbundene
Rückgang landwirtschaftlicher Betätigung haben in den letzten vierzig Jahren die
einheimische Viehproduktion sich nicht in der gleichen Weise vergrößern lassen,
wie die Bevölkerung des Deutschen Reiches sich vermehrt hat. Nach Ausweis
der Statistik gab es im Jahre 1873 in Deutschland bei einer Bevölkerungsziffer
von rund 41 564 000 Menschen einen Viehbestand von etwa 15777000 Rindern,
7 124 000 Schweinen und 24 999 000 Schafen. Im Jahre 1907 (für spätere
Jahre ist eine zuverlässige Angabe noch nicht gemacht) betrug die Zahl der
vorhandenen Rinder rund 20 631000, der Schweine rund 22147 000 und der
Schafe rund 7704000, während die Einwohnerzahl Deutschlands sich auf etwa
62083000 Personen belief. Wenn nun 1910 in Deutschland etwa 65018000
Menschen vorhanden sind, so darf man mit Rückschluß auf die angeführten
Tierzahlen im Verhältnis zu der Einwohnerzahl vergangener Jahre meines


Zur Frage der Fleischteuerung

bei Schweinen auf 133,3 M., bei Kälbern auf 163,3 M. und bei Hammeln
auf 141,5 M. gestiegen. Allein in der Zeit von 1908 bis 1910 stiegen in
Berlin mit den Feststellungen der Markthallendirektion und des Königl. Polizei¬
präsidiums die Kleinhandelspreise für Rindfleisch von 89 auf 94 Pf., bei Kalb¬
fleisch von 92 auf 98 Pf. und bei rohem Schweinefleisch (je nach der Qualität)
von 70 auf 97 Pf. Die Folgen dieser Teuerung zeigen sich in dem verringerten
Fleischkonsum. Dieser wird aber regierungsseitig bestritten und wiederholt ist
betont worden, daß der Fleischverbrauch auf den Kopf der Bevölkerung nicht
zurückgegangen sei, sondern gegen das Vorjahr noch eine Steigerung erfahren
habe. Mit dieser Behauptung stehen in schroffem Widerspruche die Angaben,
die vor kurzem Dr. Carl v. Tyska im „Berliner Tageblatt" aus Grund der
Verbrauchsstatistik derjenigen deutschen Großstädte gemacht hat, die infolge Er¬
hebung eines Oktrois an ihren Toren bis zum 1. Januar 1910 in der Lage
waren, genaue Übersichten über ihren Fleischkonsum zu geben. Danach ging
z. B. in Dresden der Verbrauch an Fleisch pro Kopf der Bevölkerung 1909
gegen das Jahr 1900 um 19 Prozent zurück. Diese Zahl redet doch eine so
gewaltige Sprache, daß man an eine Zunahme des Fleischkonsums im letzten
Jahre auch dann nicht zu glauben vermag, wenn man in Erwägung zieht, daß
vielleicht in ländlichen Distrikten die Verhältnisse anders liegen als in Gro߬
städten.

Die Frage nach der Ursache der Fleischteuerung läßt sich meines Erachtens
dahin beantworten, daß zwei Momente die Steigerung der Vieh- und Fleisch¬
preise verschuldet haben. Beide Gründe, die auf ganz verschiedenen Gebieten
liegen, Mer in ihrer Gesamtwirkung den jetzigen Zustand hervor: Der eine ist
gegebeKin der Art und Weise der wirtschaftlichen Entwicklung Deutschlands
von einem Agrar- zu einem Industriestaats, der andere — und ihn sehe ich als
den Hauptfaktor für die Fleischteuerung an — resultiert aus staatlichen Ma߬
nahmen, die getroffen sind, um die heimische Viehzucht vor Einschleppung von
Seuchen aus dem Auslande zu bewahren. Das allmähliche, aber stetige Vor¬
dringen der Industrie in Deutschland und der damit unbedingt verbundene
Rückgang landwirtschaftlicher Betätigung haben in den letzten vierzig Jahren die
einheimische Viehproduktion sich nicht in der gleichen Weise vergrößern lassen,
wie die Bevölkerung des Deutschen Reiches sich vermehrt hat. Nach Ausweis
der Statistik gab es im Jahre 1873 in Deutschland bei einer Bevölkerungsziffer
von rund 41 564 000 Menschen einen Viehbestand von etwa 15777000 Rindern,
7 124 000 Schweinen und 24 999 000 Schafen. Im Jahre 1907 (für spätere
Jahre ist eine zuverlässige Angabe noch nicht gemacht) betrug die Zahl der
vorhandenen Rinder rund 20 631000, der Schweine rund 22147 000 und der
Schafe rund 7704000, während die Einwohnerzahl Deutschlands sich auf etwa
62083000 Personen belief. Wenn nun 1910 in Deutschland etwa 65018000
Menschen vorhanden sind, so darf man mit Rückschluß auf die angeführten
Tierzahlen im Verhältnis zu der Einwohnerzahl vergangener Jahre meines


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316950/116>, abgerufen am 22.07.2024.