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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Gedanken zur neuen l?eeresetat

Vergleichen wir unsere Heeresorganisation mit der der benachbarten Mächte, so
ist es auffallend, daß z. B. wir allein die Kavalleriedivisionen nicht schon im Frieden
aufgestellt haben. Was soeben über die Schwierigkeit, neue Formationen erst
bei der Mobilmachung aufzustellen, gesagt wurde, gilt aber bei der Kavallerie
in besonderem Maße. Diese Truppe wird als die erste in das Aufmarschgebiet
befördert und an die Grenze geworfen. Sie ist berufen, die Feindseligkeiten
zu eröffnen und wird die erste sein, die mit dem Gegner in Berührung tritt.
Ob ihr nach beendeten Eisenbahntransport und Versammlung überhaupt noch
einige Tage der Ruhe zur Verfügung stehen, läßt sich im voraus nicht sagen.
Dies hängt nicht allein von den Absichten uuserer Heeresführung, sondern auch
von den feindlichen Maßnahmen ab. Überschreiten russische oder französische
Kavalleriedivisionen gleich in den ersten Tagen die Grenze, um unsere Mobil¬
machung zu stören, so müssen sich ihnen die eben erst ausgeschifften Divisionen
entgegenwerfen. Nun muß es auf den ersten Blick gewiß auffallend erscheinen,
daß gerade diese Truppen, die zuerst mit dem Gegner zusammenstoßen werden,
eine Friedensorganisation haben, die von der des Krieges wesentlich abweicht.
Es ist deshalb auch schon seit langer Zeit und von berufener Seite der Wunsch
ausgesprochen, die Kavalleriedivisionen bereits in: Frieden aufzustellen. Bisher
ist aber diesem Wunsche uicht entsprochen worden. Auch innerhalb des Heeres
sind, die Ansichten über die Zweckmäßigkeit einer derartigen Maßregel geteilt.
Hat doch erst kürzlich noch einer der berufensten Vertreter der Reiterwaffen, der
General der Kavallerie von Bernhardt, sich aus Rücksichten für eine gleich¬
mäßige Ausbildung gegen die Schaffung von Kavalleriedivisionen im Frieden
ausgesprochen und dafür die Unterstellung der Kavallerie unter die Kavallerie¬
inspekteure gefordert. Die Mehrheit der Militnrschriftsteller hat einen ent¬
gegengesetzten Standpunkt eingenommen. Jedenfalls können sich die Gegner
der Friedens-Kavalleriedivisionen mit Recht auf die Tatsache berufen, daß
diese sehr wichtige Frage eingehend von den maßgebenden Stellen erwogen
und schließlich, dein äußeren Anscheine nach, in ihrem Sinne entschieden ist.
Dabei sind lange Zeit sowohl der Kriegsminister wie der Chef des General¬
stabes Kavalleristen gewesen, die also alle Verhältnisse dieser Frage aus eigener
praktischer Erfahrung und Kenntnis beurteilen konnten. Es ist unwahrscheinlich,
daß die Heeresverwaltung jetzt ihren Standpunkt ändern sollte.

Wenn wir der Frage näher treten, ob eine Erhöhung unserer ganzen
Heeresstärke überhaupt notwendig ist, so bezieht sich das in erster Linie aus die
Infanterie, weil diese die Hauptmasse des Heeres ausmacht und alle anderen
Waffen in einem gewissen Verhältnisse zu ihr stehen müssen. Gewiß ist es ein
richtiger militärischer Grundsatz, daß man nie stark genug sein kann und daß
der Sieg immer noch am liebsten mit den großen Bataillonen geht. Die Aus¬
sichten eines Zukunftskrieges sind schwer abzuschätzen. Bewaffnung, Ausrüstung
und Ausbildung der modernen Heere aller Staaten halten sich, soweit man dies
nu Frieden überhaupt beurteilen kann und unter Berücksichtigung der nationalen


Gedanken zur neuen l?eeresetat

Vergleichen wir unsere Heeresorganisation mit der der benachbarten Mächte, so
ist es auffallend, daß z. B. wir allein die Kavalleriedivisionen nicht schon im Frieden
aufgestellt haben. Was soeben über die Schwierigkeit, neue Formationen erst
bei der Mobilmachung aufzustellen, gesagt wurde, gilt aber bei der Kavallerie
in besonderem Maße. Diese Truppe wird als die erste in das Aufmarschgebiet
befördert und an die Grenze geworfen. Sie ist berufen, die Feindseligkeiten
zu eröffnen und wird die erste sein, die mit dem Gegner in Berührung tritt.
Ob ihr nach beendeten Eisenbahntransport und Versammlung überhaupt noch
einige Tage der Ruhe zur Verfügung stehen, läßt sich im voraus nicht sagen.
Dies hängt nicht allein von den Absichten uuserer Heeresführung, sondern auch
von den feindlichen Maßnahmen ab. Überschreiten russische oder französische
Kavalleriedivisionen gleich in den ersten Tagen die Grenze, um unsere Mobil¬
machung zu stören, so müssen sich ihnen die eben erst ausgeschifften Divisionen
entgegenwerfen. Nun muß es auf den ersten Blick gewiß auffallend erscheinen,
daß gerade diese Truppen, die zuerst mit dem Gegner zusammenstoßen werden,
eine Friedensorganisation haben, die von der des Krieges wesentlich abweicht.
Es ist deshalb auch schon seit langer Zeit und von berufener Seite der Wunsch
ausgesprochen, die Kavalleriedivisionen bereits in: Frieden aufzustellen. Bisher
ist aber diesem Wunsche uicht entsprochen worden. Auch innerhalb des Heeres
sind, die Ansichten über die Zweckmäßigkeit einer derartigen Maßregel geteilt.
Hat doch erst kürzlich noch einer der berufensten Vertreter der Reiterwaffen, der
General der Kavallerie von Bernhardt, sich aus Rücksichten für eine gleich¬
mäßige Ausbildung gegen die Schaffung von Kavalleriedivisionen im Frieden
ausgesprochen und dafür die Unterstellung der Kavallerie unter die Kavallerie¬
inspekteure gefordert. Die Mehrheit der Militnrschriftsteller hat einen ent¬
gegengesetzten Standpunkt eingenommen. Jedenfalls können sich die Gegner
der Friedens-Kavalleriedivisionen mit Recht auf die Tatsache berufen, daß
diese sehr wichtige Frage eingehend von den maßgebenden Stellen erwogen
und schließlich, dein äußeren Anscheine nach, in ihrem Sinne entschieden ist.
Dabei sind lange Zeit sowohl der Kriegsminister wie der Chef des General¬
stabes Kavalleristen gewesen, die also alle Verhältnisse dieser Frage aus eigener
praktischer Erfahrung und Kenntnis beurteilen konnten. Es ist unwahrscheinlich,
daß die Heeresverwaltung jetzt ihren Standpunkt ändern sollte.

Wenn wir der Frage näher treten, ob eine Erhöhung unserer ganzen
Heeresstärke überhaupt notwendig ist, so bezieht sich das in erster Linie aus die
Infanterie, weil diese die Hauptmasse des Heeres ausmacht und alle anderen
Waffen in einem gewissen Verhältnisse zu ihr stehen müssen. Gewiß ist es ein
richtiger militärischer Grundsatz, daß man nie stark genug sein kann und daß
der Sieg immer noch am liebsten mit den großen Bataillonen geht. Die Aus¬
sichten eines Zukunftskrieges sind schwer abzuschätzen. Bewaffnung, Ausrüstung
und Ausbildung der modernen Heere aller Staaten halten sich, soweit man dies
nu Frieden überhaupt beurteilen kann und unter Berücksichtigung der nationalen


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[0617] Gedanken zur neuen l?eeresetat Vergleichen wir unsere Heeresorganisation mit der der benachbarten Mächte, so ist es auffallend, daß z. B. wir allein die Kavalleriedivisionen nicht schon im Frieden aufgestellt haben. Was soeben über die Schwierigkeit, neue Formationen erst bei der Mobilmachung aufzustellen, gesagt wurde, gilt aber bei der Kavallerie in besonderem Maße. Diese Truppe wird als die erste in das Aufmarschgebiet befördert und an die Grenze geworfen. Sie ist berufen, die Feindseligkeiten zu eröffnen und wird die erste sein, die mit dem Gegner in Berührung tritt. Ob ihr nach beendeten Eisenbahntransport und Versammlung überhaupt noch einige Tage der Ruhe zur Verfügung stehen, läßt sich im voraus nicht sagen. Dies hängt nicht allein von den Absichten uuserer Heeresführung, sondern auch von den feindlichen Maßnahmen ab. Überschreiten russische oder französische Kavalleriedivisionen gleich in den ersten Tagen die Grenze, um unsere Mobil¬ machung zu stören, so müssen sich ihnen die eben erst ausgeschifften Divisionen entgegenwerfen. Nun muß es auf den ersten Blick gewiß auffallend erscheinen, daß gerade diese Truppen, die zuerst mit dem Gegner zusammenstoßen werden, eine Friedensorganisation haben, die von der des Krieges wesentlich abweicht. Es ist deshalb auch schon seit langer Zeit und von berufener Seite der Wunsch ausgesprochen, die Kavalleriedivisionen bereits in: Frieden aufzustellen. Bisher ist aber diesem Wunsche uicht entsprochen worden. Auch innerhalb des Heeres sind, die Ansichten über die Zweckmäßigkeit einer derartigen Maßregel geteilt. Hat doch erst kürzlich noch einer der berufensten Vertreter der Reiterwaffen, der General der Kavallerie von Bernhardt, sich aus Rücksichten für eine gleich¬ mäßige Ausbildung gegen die Schaffung von Kavalleriedivisionen im Frieden ausgesprochen und dafür die Unterstellung der Kavallerie unter die Kavallerie¬ inspekteure gefordert. Die Mehrheit der Militnrschriftsteller hat einen ent¬ gegengesetzten Standpunkt eingenommen. Jedenfalls können sich die Gegner der Friedens-Kavalleriedivisionen mit Recht auf die Tatsache berufen, daß diese sehr wichtige Frage eingehend von den maßgebenden Stellen erwogen und schließlich, dein äußeren Anscheine nach, in ihrem Sinne entschieden ist. Dabei sind lange Zeit sowohl der Kriegsminister wie der Chef des General¬ stabes Kavalleristen gewesen, die also alle Verhältnisse dieser Frage aus eigener praktischer Erfahrung und Kenntnis beurteilen konnten. Es ist unwahrscheinlich, daß die Heeresverwaltung jetzt ihren Standpunkt ändern sollte. Wenn wir der Frage näher treten, ob eine Erhöhung unserer ganzen Heeresstärke überhaupt notwendig ist, so bezieht sich das in erster Linie aus die Infanterie, weil diese die Hauptmasse des Heeres ausmacht und alle anderen Waffen in einem gewissen Verhältnisse zu ihr stehen müssen. Gewiß ist es ein richtiger militärischer Grundsatz, daß man nie stark genug sein kann und daß der Sieg immer noch am liebsten mit den großen Bataillonen geht. Die Aus¬ sichten eines Zukunftskrieges sind schwer abzuschätzen. Bewaffnung, Ausrüstung und Ausbildung der modernen Heere aller Staaten halten sich, soweit man dies nu Frieden überhaupt beurteilen kann und unter Berücksichtigung der nationalen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/617>, abgerufen am 23.07.2024.