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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Prinz Linn von Schönaich-Carolath

er mit "schwarzen Hengsten, die gleich Ungewittern so zügelfremd und wild
durchs Leben gehen, daß Frauen jubeln, Männerherzen zittern". Für die
Natur wiederholt er das Bild aus dem menschlichen Seelenleben: "Sacht wie
ein müder Herzensschlag verflicht der goldne Sommertag." Die fremdländischen
Akzente unterdrückt er später immer mehr und mehr. Das starke Enjambement,
das auffällige Übergreifen des Satzes von einem Vers zum andern, wie wir
es in seiner ersten Sammlung zum Ausdruck der seelischen Spannung und
Leidenschaftlichkeit überaus häufig wahrnehmen, tritt gleichfalls zurück.

Mit demi Charakter des Dichters ist auch seine Sprache ruhiger geworden.
Dafür entwickelt sie sich stets volkstümlicher, einfacher, vor allem im sangbaren
Lied. Nicht selten fällt dann das Metrum dem Rhythmus und der Melodie
zum Opfer. Alles in Dichtung ist belebt und bewegt. Die Gabe der Natur¬
beseelung ist auch ihm in hohem Grad eigen. "Der Nachtwind biegt flüsternd
die Saaten." "Es schlummern die Felder, die blauen, in schweigender Voll¬
mondpracht." "Viel schwarze Wolken schweben, die Sonne sticht darein." "Der
Herbstwind welke Rosen trägt." Dörfer schlafen, sternschimmernde Brunnen
springen, und lenzumschlungen lachen die weiten Lande. Schönaich-Carolath
liebt den elliptischen Satz bis auf ein einziges Wort zu verkürzen und erreicht
dadurch sprachliche Wirkung von höchster Prägnanz und Ausdrucksstärke. Dieses
eine Wort ist dann stets so charakteristisch gewählt, daß wir jeden weiteren
Zusatz als unpoetische Abschweifung verwerfen müßten. So im "Schwarzen
Hans": "Ein Försterhaus. Herbstabend. Um die Giebel stößt der November¬
wind." Oder der stimmungsvolle Eingang zu "Lichtlein sind wir": "Wald¬
einsamkeit, Schilfzauber, Wellenkühle; Sommernächte, in deren Dämmern weiß
und jungfräulich ein Stern schimmert." Und so bewährt sich Carolath auch
als Stilpräger von solcher Begabung, die mit der seines Freundes C. F. Meyer
wohl wetteifern kann. Aber seine hauptsächliche Bedeutung ruht doch in einer
andern Richtung.




Religiös-politisch und literarisch knüpft Schönaich-Carolath unmittelbar an
die Romantik Novalis', Uhlands und Eichendorffs an. Er ist der Johannes
der Neuromantik. So steht sein Bild in der Literaturgeschichte fest.

Aber zu dem alten romantischen Erbgut hat er noch eine neue Note hinzu¬
gefügt, sein durchaus persönliches soziales Empfinden. Es sei nur nebenbei
erwähnt, daß der Dichter besonders dem Gefängniswesen und der Entlassenen-
fürsorge sein volles Augenmerk zuwandte. In den "Gedanken eines Laien
über Gefangenenfürsorge" (1904) faßte er seine Reformgedanken über Strafrecht
und Strafvollzug übersichtlich zusammen. Sie erregten in Fachkreisen die
verdiente Beachtung. Aber mehr noch als in dieser Prosaschrift offenbart
steh in seiner Poesie, in seinen Novellen eine durchaus humanitäre, soziale
Auffassung.


Prinz Linn von Schönaich-Carolath

er mit „schwarzen Hengsten, die gleich Ungewittern so zügelfremd und wild
durchs Leben gehen, daß Frauen jubeln, Männerherzen zittern". Für die
Natur wiederholt er das Bild aus dem menschlichen Seelenleben: „Sacht wie
ein müder Herzensschlag verflicht der goldne Sommertag." Die fremdländischen
Akzente unterdrückt er später immer mehr und mehr. Das starke Enjambement,
das auffällige Übergreifen des Satzes von einem Vers zum andern, wie wir
es in seiner ersten Sammlung zum Ausdruck der seelischen Spannung und
Leidenschaftlichkeit überaus häufig wahrnehmen, tritt gleichfalls zurück.

Mit demi Charakter des Dichters ist auch seine Sprache ruhiger geworden.
Dafür entwickelt sie sich stets volkstümlicher, einfacher, vor allem im sangbaren
Lied. Nicht selten fällt dann das Metrum dem Rhythmus und der Melodie
zum Opfer. Alles in Dichtung ist belebt und bewegt. Die Gabe der Natur¬
beseelung ist auch ihm in hohem Grad eigen. „Der Nachtwind biegt flüsternd
die Saaten." „Es schlummern die Felder, die blauen, in schweigender Voll¬
mondpracht." „Viel schwarze Wolken schweben, die Sonne sticht darein." „Der
Herbstwind welke Rosen trägt." Dörfer schlafen, sternschimmernde Brunnen
springen, und lenzumschlungen lachen die weiten Lande. Schönaich-Carolath
liebt den elliptischen Satz bis auf ein einziges Wort zu verkürzen und erreicht
dadurch sprachliche Wirkung von höchster Prägnanz und Ausdrucksstärke. Dieses
eine Wort ist dann stets so charakteristisch gewählt, daß wir jeden weiteren
Zusatz als unpoetische Abschweifung verwerfen müßten. So im „Schwarzen
Hans": „Ein Försterhaus. Herbstabend. Um die Giebel stößt der November¬
wind." Oder der stimmungsvolle Eingang zu „Lichtlein sind wir": „Wald¬
einsamkeit, Schilfzauber, Wellenkühle; Sommernächte, in deren Dämmern weiß
und jungfräulich ein Stern schimmert." Und so bewährt sich Carolath auch
als Stilpräger von solcher Begabung, die mit der seines Freundes C. F. Meyer
wohl wetteifern kann. Aber seine hauptsächliche Bedeutung ruht doch in einer
andern Richtung.




Religiös-politisch und literarisch knüpft Schönaich-Carolath unmittelbar an
die Romantik Novalis', Uhlands und Eichendorffs an. Er ist der Johannes
der Neuromantik. So steht sein Bild in der Literaturgeschichte fest.

Aber zu dem alten romantischen Erbgut hat er noch eine neue Note hinzu¬
gefügt, sein durchaus persönliches soziales Empfinden. Es sei nur nebenbei
erwähnt, daß der Dichter besonders dem Gefängniswesen und der Entlassenen-
fürsorge sein volles Augenmerk zuwandte. In den „Gedanken eines Laien
über Gefangenenfürsorge" (1904) faßte er seine Reformgedanken über Strafrecht
und Strafvollzug übersichtlich zusammen. Sie erregten in Fachkreisen die
verdiente Beachtung. Aber mehr noch als in dieser Prosaschrift offenbart
steh in seiner Poesie, in seinen Novellen eine durchaus humanitäre, soziale
Auffassung.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/583>, abgerufen am 23.07.2024.