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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Prinz Linn von Schönaich-Larolath

Fast gleichzeitig mit den "Dichtungen", die allerdings erst in späteren
Fassungen die zuletzt erwähnten Epen enthalten, erschienen Carolaths erste
Novellen. Die "Geschichten aus Moll" (gesammelt 1884) und "Tauwasser"
(1881 veröffentlicht) reichen ihrer geistigen Entstehung nach insgesamt noch in
die siebziger Jahre zurück. Die kurze chronikartige Novelle, die Raabe und Storm
in die deutsche Literatur eingeführt haben ("Schön Lenchen", bereits mit zwei¬
undzwanzig Jahren in Kolmar verfaßt), Das satirische Märchen ("Vom Könige,
der sich tot gelacht hat"), Die Künstlernovellen ("Lia", "Entlang den Hecken",
"Der Nachtfalter"), Die soziale Studie ("Die Kerze", "Am Strome"), Das
Sittenbild ("Die Rache ist mein") versucht der jugendliche Dichter in jener ersten
Sammlung mit glücklichem Erfolg. Aber erst in: "Tauwasser" erlaugt er als
Novellist seine Reife. Ein ähnliches Schicksal, wie es der Erzähler der "Studien"
im "Kondor", im "Hochwald", im "Heidedorf" gedichtet hat, das alte Lied von
den zwei Königskindern, die zueinander gewollt, jenes seit der Hero- und
Leandersage für die Weltliteratur typische Motiv, gestaltet Carolath in einer
den sozialen Verhältnissen der Gegenwart entsprechenden Weise um. Die Armut
ist die große Schuld des Liebespaares, Entsagung ihr letztes Los. Ins Englische
übersetzt hat "Tauwasser" jenseits des Kanals sich viel Freunde erworben. Viel
langsamer prägen sich endlich auch uns Deutschen die hohen sittlichen Werte
dieser herben Erzählung in die Seele ein. Für Carolath freilich war auch
"Tauwasser" nur erst der Beginn einer künstlerisch gesteigerten novellistischen
Tätigkeit.

In den folgenden Gesellschaftsstudien "Bürgerlicher Tod" und "Adeliger
Tod" (1894) beleuchtet er einerseits die Arbeiterfrage, anderseits das Leben der
obersten Zehntausend. Immer bleibt er über den Parteien, auch dann, wenn
er den herzlosen Kapitalismus, die tolle Spielwut oder das Duell mit scharfen
Worten geißelt. Und es steckt ein besonderer Zug von ethischen: Heroismus in
diesen Novellen, deren Verfasser selbst zu den Vornehmen, zu den Begüterten,
zu den Hochadeligen gehört, weil sie in unserer Zeit der halben Menschenliebe
vor den letzten Folgerungen der christlichen Lehre nicht Halt machen, sondern
vielmehr sie ausschöpfen bis zum Grunde. Schönaich--Carolath ist hier, wenn
das Wort nicht in parteipolitischem Sinn genommen wird, der christlich-soziale
Herold einer neuen Zeit geworden, der Verkünder einer neuen Gesellschafts¬
ordnung, deren Stützen die alten, vergessenen Ideale sind: Arbeit und Liebe,
Gottesfurcht, Freiheit und Frieden.

In dem folgenden Novellenband (1899), der aus drei Stücken besteht,
vertieft Schönaich - Carolath die von ihm aufgeworfenen Probleme. In
der ersten Novelle "Der Freiherr" kritisiert er neuerdings die Schäden des
vielfach auf Schein und Unnatur beruhenden Truglebens so mancher Schicht in
unserer Gesellschaft. Die zweite Novelle "Regulus" führt uns in die häßliche
Zeit der Demagogenverfolgung, in die vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Sie entspricht dein glühenden Freiheitsdrang des Dichters, für den er in diesem


Prinz Linn von Schönaich-Larolath

Fast gleichzeitig mit den „Dichtungen", die allerdings erst in späteren
Fassungen die zuletzt erwähnten Epen enthalten, erschienen Carolaths erste
Novellen. Die „Geschichten aus Moll" (gesammelt 1884) und „Tauwasser"
(1881 veröffentlicht) reichen ihrer geistigen Entstehung nach insgesamt noch in
die siebziger Jahre zurück. Die kurze chronikartige Novelle, die Raabe und Storm
in die deutsche Literatur eingeführt haben („Schön Lenchen", bereits mit zwei¬
undzwanzig Jahren in Kolmar verfaßt), Das satirische Märchen („Vom Könige,
der sich tot gelacht hat"), Die Künstlernovellen („Lia", „Entlang den Hecken",
„Der Nachtfalter"), Die soziale Studie („Die Kerze", „Am Strome"), Das
Sittenbild („Die Rache ist mein") versucht der jugendliche Dichter in jener ersten
Sammlung mit glücklichem Erfolg. Aber erst in: „Tauwasser" erlaugt er als
Novellist seine Reife. Ein ähnliches Schicksal, wie es der Erzähler der „Studien"
im „Kondor", im „Hochwald", im „Heidedorf" gedichtet hat, das alte Lied von
den zwei Königskindern, die zueinander gewollt, jenes seit der Hero- und
Leandersage für die Weltliteratur typische Motiv, gestaltet Carolath in einer
den sozialen Verhältnissen der Gegenwart entsprechenden Weise um. Die Armut
ist die große Schuld des Liebespaares, Entsagung ihr letztes Los. Ins Englische
übersetzt hat „Tauwasser" jenseits des Kanals sich viel Freunde erworben. Viel
langsamer prägen sich endlich auch uns Deutschen die hohen sittlichen Werte
dieser herben Erzählung in die Seele ein. Für Carolath freilich war auch
„Tauwasser" nur erst der Beginn einer künstlerisch gesteigerten novellistischen
Tätigkeit.

In den folgenden Gesellschaftsstudien „Bürgerlicher Tod" und „Adeliger
Tod" (1894) beleuchtet er einerseits die Arbeiterfrage, anderseits das Leben der
obersten Zehntausend. Immer bleibt er über den Parteien, auch dann, wenn
er den herzlosen Kapitalismus, die tolle Spielwut oder das Duell mit scharfen
Worten geißelt. Und es steckt ein besonderer Zug von ethischen: Heroismus in
diesen Novellen, deren Verfasser selbst zu den Vornehmen, zu den Begüterten,
zu den Hochadeligen gehört, weil sie in unserer Zeit der halben Menschenliebe
vor den letzten Folgerungen der christlichen Lehre nicht Halt machen, sondern
vielmehr sie ausschöpfen bis zum Grunde. Schönaich--Carolath ist hier, wenn
das Wort nicht in parteipolitischem Sinn genommen wird, der christlich-soziale
Herold einer neuen Zeit geworden, der Verkünder einer neuen Gesellschafts¬
ordnung, deren Stützen die alten, vergessenen Ideale sind: Arbeit und Liebe,
Gottesfurcht, Freiheit und Frieden.

In dem folgenden Novellenband (1899), der aus drei Stücken besteht,
vertieft Schönaich - Carolath die von ihm aufgeworfenen Probleme. In
der ersten Novelle „Der Freiherr" kritisiert er neuerdings die Schäden des
vielfach auf Schein und Unnatur beruhenden Truglebens so mancher Schicht in
unserer Gesellschaft. Die zweite Novelle „Regulus" führt uns in die häßliche
Zeit der Demagogenverfolgung, in die vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts.
Sie entspricht dein glühenden Freiheitsdrang des Dichters, für den er in diesem


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/580>, abgerufen am 23.07.2024.