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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Prinz Genil von Schönaich-Larolath

Stimmungen merkwürdig zusammentrafen, neben Freiligrath, dessen exotische,
farbenprunkende Phantasie ihn, den Europamüden, in einem Gedichtzyklus
"Westwärts" zu den von keiner Kultur beleckten Rothäuten führte, ziehen ihn
auch die reineren Elemente der Poesie, die im deutschen Volkslied, bei Chamisso,
Uhland und Eichendorff verkörpert sind, in ihren Bann. Und so weist uns
Schönaich-Carolath bereits in seinein ersten Werke aus dem Salon der mondänen
Gesellschaft, aus der Sinnemvelt der großen Städte in den tiefen Frieden des
deutschen Waldes, wo er die Stimme einer anderen Herzensbraut lispeln hört
"von allem, was groß und schön, von Glück und ewiger Treue, von Liebe
und Wiedersehn". Und er sieht im Abendstrahl die alte, graue Stadt mit dem
stillen Haus auf dem Markt, mit dem Garten und Laubengang, daraus dereinst
das goldne Lachen seiner Liebsten herüberdrang. Und durch das gewaltige
Charaktergemälde "Sulamith", dieses Hohelied christlicher Nächstenliebe, wie
ihrer nur ein Weib, die Mutter, fähig sein kann, läßt Carolath schon in jenen
stürmischen Jugendtagen seinen tiefen deutschen Ernst, seine gerechte, versöhnungs¬
volle Milde durchleuchten, die sein späteres Schaffen nur noch mehr auszeichnen
sollte. So heiß ist seine Vaterlandsliebe, daß sie ihn gegen die Schwächen des
neuen Reiches keineswegs blind macht:

So tief ist sein Schmerz über das Los der blinden Menge, die wie im
Traum auf ausgetretenen Pfaden wandelt, daß er sich der ganzen Menschheit
weiht und von Gott die größte, selbstloseste Liebe erfleht, um jene miterlösen
zu können.

In den "Dichtungen", die Schönaich-Carolath 1883 herausgab, trat dies
alles noch viel deutlicher zutage. Das Herz, vom Weib zu Gott gewendet,
wird nun dauernd seines höchsten Preislieds Gegenstand. Das persönliche
Erlebnis gestaltet sich ihm zum allgemeinen Vorfall. Das Subjektive, Ver¬
einzelte erhebt er zum Typus. Erst die "Dichtungen" (jetzt in 10. Auflage)
haben Carolaths Ruhm begründet. Von nun an sehen wir den Dichter in
strenger Selbstzucht an den einzelnen Fassungen feilen, ihren stofflichen Inhalt
vermehren und aus dem lyrischen Stürmer und Dränger zum besonnenen
Epiker heranreifen. Ein märchenhafter Zauber umfängt uns. Die graue Stadt
im Norden, wie Storm sie einst geschildert hat und lange vor ihm Eichendorff,
diese Stadt mit ihren tief geheimnisvollen Stimmungen taucht wieder vor uns
auf. Sie birgt ein tragisches Liebesgeschick. Aber der Dichter hat sich in
Entsagung gefaßt. In letzten Liedern trügt er sein großes Leid zu Gott
empor. Als Büßer, als Kreuzfahrer durchzieht er die Lande, das süße Trost¬
wort auf den Lippen:


Prinz Genil von Schönaich-Larolath

Stimmungen merkwürdig zusammentrafen, neben Freiligrath, dessen exotische,
farbenprunkende Phantasie ihn, den Europamüden, in einem Gedichtzyklus
„Westwärts" zu den von keiner Kultur beleckten Rothäuten führte, ziehen ihn
auch die reineren Elemente der Poesie, die im deutschen Volkslied, bei Chamisso,
Uhland und Eichendorff verkörpert sind, in ihren Bann. Und so weist uns
Schönaich-Carolath bereits in seinein ersten Werke aus dem Salon der mondänen
Gesellschaft, aus der Sinnemvelt der großen Städte in den tiefen Frieden des
deutschen Waldes, wo er die Stimme einer anderen Herzensbraut lispeln hört
„von allem, was groß und schön, von Glück und ewiger Treue, von Liebe
und Wiedersehn". Und er sieht im Abendstrahl die alte, graue Stadt mit dem
stillen Haus auf dem Markt, mit dem Garten und Laubengang, daraus dereinst
das goldne Lachen seiner Liebsten herüberdrang. Und durch das gewaltige
Charaktergemälde „Sulamith", dieses Hohelied christlicher Nächstenliebe, wie
ihrer nur ein Weib, die Mutter, fähig sein kann, läßt Carolath schon in jenen
stürmischen Jugendtagen seinen tiefen deutschen Ernst, seine gerechte, versöhnungs¬
volle Milde durchleuchten, die sein späteres Schaffen nur noch mehr auszeichnen
sollte. So heiß ist seine Vaterlandsliebe, daß sie ihn gegen die Schwächen des
neuen Reiches keineswegs blind macht:

So tief ist sein Schmerz über das Los der blinden Menge, die wie im
Traum auf ausgetretenen Pfaden wandelt, daß er sich der ganzen Menschheit
weiht und von Gott die größte, selbstloseste Liebe erfleht, um jene miterlösen
zu können.

In den „Dichtungen", die Schönaich-Carolath 1883 herausgab, trat dies
alles noch viel deutlicher zutage. Das Herz, vom Weib zu Gott gewendet,
wird nun dauernd seines höchsten Preislieds Gegenstand. Das persönliche
Erlebnis gestaltet sich ihm zum allgemeinen Vorfall. Das Subjektive, Ver¬
einzelte erhebt er zum Typus. Erst die „Dichtungen" (jetzt in 10. Auflage)
haben Carolaths Ruhm begründet. Von nun an sehen wir den Dichter in
strenger Selbstzucht an den einzelnen Fassungen feilen, ihren stofflichen Inhalt
vermehren und aus dem lyrischen Stürmer und Dränger zum besonnenen
Epiker heranreifen. Ein märchenhafter Zauber umfängt uns. Die graue Stadt
im Norden, wie Storm sie einst geschildert hat und lange vor ihm Eichendorff,
diese Stadt mit ihren tief geheimnisvollen Stimmungen taucht wieder vor uns
auf. Sie birgt ein tragisches Liebesgeschick. Aber der Dichter hat sich in
Entsagung gefaßt. In letzten Liedern trügt er sein großes Leid zu Gott
empor. Als Büßer, als Kreuzfahrer durchzieht er die Lande, das süße Trost¬
wort auf den Lippen:


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[0576] Prinz Genil von Schönaich-Larolath Stimmungen merkwürdig zusammentrafen, neben Freiligrath, dessen exotische, farbenprunkende Phantasie ihn, den Europamüden, in einem Gedichtzyklus „Westwärts" zu den von keiner Kultur beleckten Rothäuten führte, ziehen ihn auch die reineren Elemente der Poesie, die im deutschen Volkslied, bei Chamisso, Uhland und Eichendorff verkörpert sind, in ihren Bann. Und so weist uns Schönaich-Carolath bereits in seinein ersten Werke aus dem Salon der mondänen Gesellschaft, aus der Sinnemvelt der großen Städte in den tiefen Frieden des deutschen Waldes, wo er die Stimme einer anderen Herzensbraut lispeln hört „von allem, was groß und schön, von Glück und ewiger Treue, von Liebe und Wiedersehn". Und er sieht im Abendstrahl die alte, graue Stadt mit dem stillen Haus auf dem Markt, mit dem Garten und Laubengang, daraus dereinst das goldne Lachen seiner Liebsten herüberdrang. Und durch das gewaltige Charaktergemälde „Sulamith", dieses Hohelied christlicher Nächstenliebe, wie ihrer nur ein Weib, die Mutter, fähig sein kann, läßt Carolath schon in jenen stürmischen Jugendtagen seinen tiefen deutschen Ernst, seine gerechte, versöhnungs¬ volle Milde durchleuchten, die sein späteres Schaffen nur noch mehr auszeichnen sollte. So heiß ist seine Vaterlandsliebe, daß sie ihn gegen die Schwächen des neuen Reiches keineswegs blind macht: So tief ist sein Schmerz über das Los der blinden Menge, die wie im Traum auf ausgetretenen Pfaden wandelt, daß er sich der ganzen Menschheit weiht und von Gott die größte, selbstloseste Liebe erfleht, um jene miterlösen zu können. In den „Dichtungen", die Schönaich-Carolath 1883 herausgab, trat dies alles noch viel deutlicher zutage. Das Herz, vom Weib zu Gott gewendet, wird nun dauernd seines höchsten Preislieds Gegenstand. Das persönliche Erlebnis gestaltet sich ihm zum allgemeinen Vorfall. Das Subjektive, Ver¬ einzelte erhebt er zum Typus. Erst die „Dichtungen" (jetzt in 10. Auflage) haben Carolaths Ruhm begründet. Von nun an sehen wir den Dichter in strenger Selbstzucht an den einzelnen Fassungen feilen, ihren stofflichen Inhalt vermehren und aus dem lyrischen Stürmer und Dränger zum besonnenen Epiker heranreifen. Ein märchenhafter Zauber umfängt uns. Die graue Stadt im Norden, wie Storm sie einst geschildert hat und lange vor ihm Eichendorff, diese Stadt mit ihren tief geheimnisvollen Stimmungen taucht wieder vor uns auf. Sie birgt ein tragisches Liebesgeschick. Aber der Dichter hat sich in Entsagung gefaßt. In letzten Liedern trügt er sein großes Leid zu Gott empor. Als Büßer, als Kreuzfahrer durchzieht er die Lande, das süße Trost¬ wort auf den Lippen:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/576>, abgerufen am 23.07.2024.