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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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su"5 Emil von Schöneres-Larolath

Schule. Die Mathematik blieb ihm wie Goethe und Mörike zeitlebens ein
Greuel. Im gastfreien Hause seiner Eltern lernte er Dichter wie Gustav Freytag
und Bodenstedt kennen. Das elegante, leichtlebige Milieu, in dem er aufwuchs,
vermochte jedoch den tiefen Tatendurst feiner Seele nicht zu stillen. Immer
größer, immer reiner wuchs seine Leidenschaft für die Poesie.

Gleich vielen anderen Dichtern vor ihn: und nach ihm reifte auch er durch
eine erschütternde, tragische Liebe. Sie schuf ihm eine schwere, eine bittere
Enttäuschung, aber ihr entquollen dafür auch seine ersten glühenden Lieder.
Von nun an irrte die Sphinx des Ewig-Weiblichen wie ein drohender Dämon durch
sein Leben. Und hätte er nicht in der unwandelbaren Freundschaft eines alten
Schulgefährten, Huth, der bis an den eigenen Tod ihm der getreueste Begleiter
blieb, einen festen Rückhalt gefunden, so wäre der früher Kindlich-Fromme in
der Philosophie Schopenhauers und Voltaires fassungslos untergegangen. Allein
diese Freundschaft, sein heißer Lebensdrang, sein im tiefsten Kern bejahender
Charakter hielten ihn über den Wellen.

Von der Stätte, wo er sein erstes großes Leid erfuhr, strebte Schönaich-
Carolath in die Ferne. In Zürich besuchte er die Vorlesungen von Scherr
und Gottfried Kinkel. "Otto der Schütz" mit seinein blühenden Sprachgeist
übte auf die sich entwickelnde Formenstrenge des jungen Dichters einen nach¬
hallenden Einfluß aus. Scherr wieder wirkte vor allem anf die demokratischen
Neigungen Carolaths ein.

1872 trat der junge Feuergeist in das Kurmärkische Dragonerregiment zu
Kolmar im Elsaß ein. Aber wie Ferdinand von Saar, Martin Greif und
andere Dichter-Offiziere der neuesten Zeit ertrug er nicht lange die harte
soldatische Last.

In alten romantischen Ländern am Mittelmeergestade zog er, ein leiden¬
schaftlicher Jäger, jahrelang umher, nach dem Tod seiner Eltern fremd in der
Heimat, ohne Frieden, ohne Trost eines mütterlichen Herzens. Zwar war er
noch einmal für einige Zeit zu seinein Regiment zurückgekehrt; allein er gab
sich vergebliche Mühe, die Ferne lockte ihn immer wieder unwiderstehlich.

In Kolmar hatte Carolath Alberta von Puttkamer, die nachmals bekannte
heißblutige Dichterin, kennen und verehren gelernt. Von ihr besitzen wir eine
Schilderung des Prinzen in jener Zeit: "Äußerlich war er nicht sonderlich
anziehend, wenigstens neben den ungewöhnlich ritterlichen und schönen Gestalten
der damaligen Offiziere kaum. Eine schlanke, ziemlich hohe Gestalt, die in
ihren Bewegungen etwas liebenswürdig Schmiegsames hatte; ein kleiner runder
Kopf, blonde, leicht geringelte Haare um eine breitgewölbte Stirn. Die kurze
Nase und die ein wenig hervorstehenden Backenknochen gaben dein Gesicht eine
slawische Prägung. Aber -- die Augen! In denen lag damals schon dämmernd
die ganze feurige, schmerzliche, lebensehnende Lyrik seiner späteren Dichtung.
Die Augen hatten etwas so merkwürdig Erstauntes, als frugen sie weit in die
Zeiten und tief in das Wesen alles Lebendigen hin . . ." Byron und Musset


su»5 Emil von Schöneres-Larolath

Schule. Die Mathematik blieb ihm wie Goethe und Mörike zeitlebens ein
Greuel. Im gastfreien Hause seiner Eltern lernte er Dichter wie Gustav Freytag
und Bodenstedt kennen. Das elegante, leichtlebige Milieu, in dem er aufwuchs,
vermochte jedoch den tiefen Tatendurst feiner Seele nicht zu stillen. Immer
größer, immer reiner wuchs seine Leidenschaft für die Poesie.

Gleich vielen anderen Dichtern vor ihn: und nach ihm reifte auch er durch
eine erschütternde, tragische Liebe. Sie schuf ihm eine schwere, eine bittere
Enttäuschung, aber ihr entquollen dafür auch seine ersten glühenden Lieder.
Von nun an irrte die Sphinx des Ewig-Weiblichen wie ein drohender Dämon durch
sein Leben. Und hätte er nicht in der unwandelbaren Freundschaft eines alten
Schulgefährten, Huth, der bis an den eigenen Tod ihm der getreueste Begleiter
blieb, einen festen Rückhalt gefunden, so wäre der früher Kindlich-Fromme in
der Philosophie Schopenhauers und Voltaires fassungslos untergegangen. Allein
diese Freundschaft, sein heißer Lebensdrang, sein im tiefsten Kern bejahender
Charakter hielten ihn über den Wellen.

Von der Stätte, wo er sein erstes großes Leid erfuhr, strebte Schönaich-
Carolath in die Ferne. In Zürich besuchte er die Vorlesungen von Scherr
und Gottfried Kinkel. „Otto der Schütz" mit seinein blühenden Sprachgeist
übte auf die sich entwickelnde Formenstrenge des jungen Dichters einen nach¬
hallenden Einfluß aus. Scherr wieder wirkte vor allem anf die demokratischen
Neigungen Carolaths ein.

1872 trat der junge Feuergeist in das Kurmärkische Dragonerregiment zu
Kolmar im Elsaß ein. Aber wie Ferdinand von Saar, Martin Greif und
andere Dichter-Offiziere der neuesten Zeit ertrug er nicht lange die harte
soldatische Last.

In alten romantischen Ländern am Mittelmeergestade zog er, ein leiden¬
schaftlicher Jäger, jahrelang umher, nach dem Tod seiner Eltern fremd in der
Heimat, ohne Frieden, ohne Trost eines mütterlichen Herzens. Zwar war er
noch einmal für einige Zeit zu seinein Regiment zurückgekehrt; allein er gab
sich vergebliche Mühe, die Ferne lockte ihn immer wieder unwiderstehlich.

In Kolmar hatte Carolath Alberta von Puttkamer, die nachmals bekannte
heißblutige Dichterin, kennen und verehren gelernt. Von ihr besitzen wir eine
Schilderung des Prinzen in jener Zeit: „Äußerlich war er nicht sonderlich
anziehend, wenigstens neben den ungewöhnlich ritterlichen und schönen Gestalten
der damaligen Offiziere kaum. Eine schlanke, ziemlich hohe Gestalt, die in
ihren Bewegungen etwas liebenswürdig Schmiegsames hatte; ein kleiner runder
Kopf, blonde, leicht geringelte Haare um eine breitgewölbte Stirn. Die kurze
Nase und die ein wenig hervorstehenden Backenknochen gaben dein Gesicht eine
slawische Prägung. Aber — die Augen! In denen lag damals schon dämmernd
die ganze feurige, schmerzliche, lebensehnende Lyrik seiner späteren Dichtung.
Die Augen hatten etwas so merkwürdig Erstauntes, als frugen sie weit in die
Zeiten und tief in das Wesen alles Lebendigen hin . . ." Byron und Musset


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[0574] su»5 Emil von Schöneres-Larolath Schule. Die Mathematik blieb ihm wie Goethe und Mörike zeitlebens ein Greuel. Im gastfreien Hause seiner Eltern lernte er Dichter wie Gustav Freytag und Bodenstedt kennen. Das elegante, leichtlebige Milieu, in dem er aufwuchs, vermochte jedoch den tiefen Tatendurst feiner Seele nicht zu stillen. Immer größer, immer reiner wuchs seine Leidenschaft für die Poesie. Gleich vielen anderen Dichtern vor ihn: und nach ihm reifte auch er durch eine erschütternde, tragische Liebe. Sie schuf ihm eine schwere, eine bittere Enttäuschung, aber ihr entquollen dafür auch seine ersten glühenden Lieder. Von nun an irrte die Sphinx des Ewig-Weiblichen wie ein drohender Dämon durch sein Leben. Und hätte er nicht in der unwandelbaren Freundschaft eines alten Schulgefährten, Huth, der bis an den eigenen Tod ihm der getreueste Begleiter blieb, einen festen Rückhalt gefunden, so wäre der früher Kindlich-Fromme in der Philosophie Schopenhauers und Voltaires fassungslos untergegangen. Allein diese Freundschaft, sein heißer Lebensdrang, sein im tiefsten Kern bejahender Charakter hielten ihn über den Wellen. Von der Stätte, wo er sein erstes großes Leid erfuhr, strebte Schönaich- Carolath in die Ferne. In Zürich besuchte er die Vorlesungen von Scherr und Gottfried Kinkel. „Otto der Schütz" mit seinein blühenden Sprachgeist übte auf die sich entwickelnde Formenstrenge des jungen Dichters einen nach¬ hallenden Einfluß aus. Scherr wieder wirkte vor allem anf die demokratischen Neigungen Carolaths ein. 1872 trat der junge Feuergeist in das Kurmärkische Dragonerregiment zu Kolmar im Elsaß ein. Aber wie Ferdinand von Saar, Martin Greif und andere Dichter-Offiziere der neuesten Zeit ertrug er nicht lange die harte soldatische Last. In alten romantischen Ländern am Mittelmeergestade zog er, ein leiden¬ schaftlicher Jäger, jahrelang umher, nach dem Tod seiner Eltern fremd in der Heimat, ohne Frieden, ohne Trost eines mütterlichen Herzens. Zwar war er noch einmal für einige Zeit zu seinein Regiment zurückgekehrt; allein er gab sich vergebliche Mühe, die Ferne lockte ihn immer wieder unwiderstehlich. In Kolmar hatte Carolath Alberta von Puttkamer, die nachmals bekannte heißblutige Dichterin, kennen und verehren gelernt. Von ihr besitzen wir eine Schilderung des Prinzen in jener Zeit: „Äußerlich war er nicht sonderlich anziehend, wenigstens neben den ungewöhnlich ritterlichen und schönen Gestalten der damaligen Offiziere kaum. Eine schlanke, ziemlich hohe Gestalt, die in ihren Bewegungen etwas liebenswürdig Schmiegsames hatte; ein kleiner runder Kopf, blonde, leicht geringelte Haare um eine breitgewölbte Stirn. Die kurze Nase und die ein wenig hervorstehenden Backenknochen gaben dein Gesicht eine slawische Prägung. Aber — die Augen! In denen lag damals schon dämmernd die ganze feurige, schmerzliche, lebensehnende Lyrik seiner späteren Dichtung. Die Augen hatten etwas so merkwürdig Erstauntes, als frugen sie weit in die Zeiten und tief in das Wesen alles Lebendigen hin . . ." Byron und Musset

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/574>, abgerufen am 23.07.2024.