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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Illane von Lbner-Lschenl'ach

in den geraden, einfachen Linien des ewigen Geschehens gebaut. Marie von Ebners
Kunst ist ethisch, klassisch, mit Mitteln geschaffen, die in ihrer Unaufdringlichkeit
in unserer törichten Zeit nicht immer klar in die Erscheinung traten. Die Ebner
hat gerade an den Stellen, die heute am lautesten ihr Lob singen, jahrzehntelanges
Unverstehen und gewollte böse Gegnerschaft gefunden. -- Liest man der Ebner erste
Novellen -- durch dreißig Kampfjahre hatte sie sich vergebens mit größter Bewußtheit
ihr Ziel als dramatische Dichterin gesteckt --, so fällt eines sofort in die Augen:
die Frau war damals nicht modern und sie ist es heute nicht. Ihre Zeit wird
erst kommen, oder besser, man wird späterhin einsehen, daß ihre Zeit ewig ist für
die, die hienieden suchen, die einem großen Geiste folgen wollen und können, für
andere war und wird die Ebnersche Kunst nie etwas sein. Sie hat uns, endlich
gesehen, die Poesie des deutsch-österreichischen Landlebens, die österreichische
Aristokratenseele erschlossen. Ihre "Freiherren von Gemperlein". ihr "Gemeinde¬
kind", ihre "Bozena". ihr scharf soziales Bild "Er läßt die Hand küssen" usw.
verleugnen ebensowenig die dramatische Schulung ihrer Schöpferin, wie die Kreise,
in denen die Ebner-Eschenbach lebt. Sie hat die Vorzüge ihrer Geburt zum
Richtigsten gewendet, sie hat sie genützt, um kraft der ihr offen stehenden Türen in
der Erkenntnis weiterzugehen, stets demütig nach unten und streng nach oben, die
Welt richtig zu verteilen; nicht nur in ihren Werken, sie hat ihr edles Fühlen und
Denken oft und oft auch in die Tat umgesetzt, auch hier Aristokratin und Weib,
was so ziemlich daS gleiche ist. Sie ist die Verkörperung des österreichischen
Wesens, des alten Österreichertums aus der Zeit, da wir in großer Gegenwart
lebten und nicht rückwärts sehen mußten, und nicht das Wörtlein "Deutsch" vor
Österreich hingen. Sie ist eine reine Seele, die sich mühte, alle Vorurteile, die
ihr im Blute lagen, zu tilgen, auf ihr gerechtsames Bestehen zu prüfen; sie sah
die Menschen mit zärtlicher und richtender, die Natur mit ehrfurchtsvoller Liebe.
In der Ebner "Aphorismen", vielleicht dem dauerndsten ihrer Bücher, steht der
Satz: "Es gibt eine nähere Verwandtschaft als die zwischen Mutter und Kind:
die zwischen dein Künstler und seinem Werk." Marie von Ebner-Eschenbach hat
keine Kinder, sie trat drum ins Leben und sprach zu vielen, und jedes ihrer Worte
War wie das Mutterwort von Liebe gelenkt. Und wie die erwachsenen Kinder --
ach. leider haben wir viel ausgewachsene, entwachsene und nicht erwachsene --
der Mutter längstes Leben wünschen, schon weil die Tatsache des Bestehens einer
edlen Persönlichkeit stärkt, so wünschen auch wir. alle die wollen und mittun am
großen Werke der Verbesserung der Menschheit, der Ebner-Eschenbach noch langes
Sein, neben ihrem Werke, das selbständig und unsterblich in den Zeiten steht.






Illane von Lbner-Lschenl'ach

in den geraden, einfachen Linien des ewigen Geschehens gebaut. Marie von Ebners
Kunst ist ethisch, klassisch, mit Mitteln geschaffen, die in ihrer Unaufdringlichkeit
in unserer törichten Zeit nicht immer klar in die Erscheinung traten. Die Ebner
hat gerade an den Stellen, die heute am lautesten ihr Lob singen, jahrzehntelanges
Unverstehen und gewollte böse Gegnerschaft gefunden. — Liest man der Ebner erste
Novellen — durch dreißig Kampfjahre hatte sie sich vergebens mit größter Bewußtheit
ihr Ziel als dramatische Dichterin gesteckt —, so fällt eines sofort in die Augen:
die Frau war damals nicht modern und sie ist es heute nicht. Ihre Zeit wird
erst kommen, oder besser, man wird späterhin einsehen, daß ihre Zeit ewig ist für
die, die hienieden suchen, die einem großen Geiste folgen wollen und können, für
andere war und wird die Ebnersche Kunst nie etwas sein. Sie hat uns, endlich
gesehen, die Poesie des deutsch-österreichischen Landlebens, die österreichische
Aristokratenseele erschlossen. Ihre „Freiherren von Gemperlein". ihr „Gemeinde¬
kind", ihre „Bozena". ihr scharf soziales Bild „Er läßt die Hand küssen" usw.
verleugnen ebensowenig die dramatische Schulung ihrer Schöpferin, wie die Kreise,
in denen die Ebner-Eschenbach lebt. Sie hat die Vorzüge ihrer Geburt zum
Richtigsten gewendet, sie hat sie genützt, um kraft der ihr offen stehenden Türen in
der Erkenntnis weiterzugehen, stets demütig nach unten und streng nach oben, die
Welt richtig zu verteilen; nicht nur in ihren Werken, sie hat ihr edles Fühlen und
Denken oft und oft auch in die Tat umgesetzt, auch hier Aristokratin und Weib,
was so ziemlich daS gleiche ist. Sie ist die Verkörperung des österreichischen
Wesens, des alten Österreichertums aus der Zeit, da wir in großer Gegenwart
lebten und nicht rückwärts sehen mußten, und nicht das Wörtlein „Deutsch" vor
Österreich hingen. Sie ist eine reine Seele, die sich mühte, alle Vorurteile, die
ihr im Blute lagen, zu tilgen, auf ihr gerechtsames Bestehen zu prüfen; sie sah
die Menschen mit zärtlicher und richtender, die Natur mit ehrfurchtsvoller Liebe.
In der Ebner „Aphorismen", vielleicht dem dauerndsten ihrer Bücher, steht der
Satz: „Es gibt eine nähere Verwandtschaft als die zwischen Mutter und Kind:
die zwischen dein Künstler und seinem Werk." Marie von Ebner-Eschenbach hat
keine Kinder, sie trat drum ins Leben und sprach zu vielen, und jedes ihrer Worte
War wie das Mutterwort von Liebe gelenkt. Und wie die erwachsenen Kinder —
ach. leider haben wir viel ausgewachsene, entwachsene und nicht erwachsene —
der Mutter längstes Leben wünschen, schon weil die Tatsache des Bestehens einer
edlen Persönlichkeit stärkt, so wünschen auch wir. alle die wollen und mittun am
großen Werke der Verbesserung der Menschheit, der Ebner-Eschenbach noch langes
Sein, neben ihrem Werke, das selbständig und unsterblich in den Zeiten steht.






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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/515>, abgerufen am 23.07.2024.