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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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l^anotanx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich

auch wenn der Diktator von Bordeaux etwa schon bei seiner Lustballonfahrt
verunglückt wäre. Aber daß er nnter den schaffenden Personen die bedeutendste
und einflußreichste war, das wird niemand bestreiten. Selbst Thiers erreicht ihn
nicht; was er einbrachte an Vertrauen der konservativeren Elemente, das
strömte Gcnnbctta von selten der Radikalen zu; auf alle Fälle war er der
kühnere, feurigere, begeisterndere der beiden Männer, deren Zusammenwirken
den Gaug der Dinge bestimmt hat.

Beim Ende des Krieges herrschte in Frankreich eine monarchistische Strö¬
mung. Alle drei monarchischen Systeme hatten im Laufe von fünfundfünfzig
Jahren Schiffbruch erlitten, das legitime klerikale Königtum, das Bürgerkönigtum,
der demokratische Zäsarismus; dieser sogar zweimal. Dennoch fanden sich die
Neste, so verfeindet sie auch untereinander waren, alsbald zusammen in gemein¬
samem Widerstande gegen die gefürchtete Republik. Thiers sagte einmal in
größter Bitterkeit gegen den Herzog von Broglie, mit dessen Vater er ein
Ministerium unter Louis Philippe gebildet hatte: Er läßt sich eine Gönnerschaft
gefallen, die sein edler Vater verschmäht haben würde, die Gönnerschaft des
Kaiserreichs. In der Tat, die Zurückdrängn"g der äußeren Unterschiede der
monarchistischen Parteien bildete die einzige Möglichkeit, der Republik deu Weg
zur Konsolidierung zu verlege". Was hätte kommen können, wenn sie einig
gewesen wären, wenn sie einen kühnen und weisen Maun für den Thron in
Bereitschaft gehabt hätten, befähigt, selber die Ereignisse zu führen, das kann man
nur ahnen. Aber der Erbe des bourbonischen Hauptstammes war ein Jammer¬
prinz erbärnckichster Art, der Sohn Napoleons des Dritten war ein Kind, der
Angeseheiche der Orleans, der Herzog voll Anmale, war nicht der Thronerbe.
Er würde wahrscheinlich einen guten König abgegeben haben; sogar von seinem
Neffen, dem zum König bestimmten Grafen von Paris, kann man das sagen.
Aber das Haus Orleans verfügte doch nicht über Männer der allerhöchsten
Genialität, es konnte nicht einmal Autorität erlangen über die anderen mo¬
narchistischen Parteien, wie hätte es solche bei den Republikanern beanspruchen
können? Zuletzt verspielte es seine beste Karte, indem es sich nnter die weiße
Fahne des Legitimismus stellte.'

Vom 24. Mai 1873, ehe die Thierssche Republik viel über zwei Jahre
alt geworden war, bis zum 30. Januar 1879 dauerte die Präsidentschaft
Mac Masons, die bestimmt war die Monarchie aufzurichten. Dieser bedeutungs¬
volle Abschnitt bildet den Hauptstoff des Hanotauxschen Geschichtswerks. Der
zweite Band, ein Doppelband, beginnt rin jenem inhaltschweren Tage, als die
Monarchisten den Gesetzentwurf Thiers' über die endgültige Errichtung der
Monarchie ablehnten und damit den ehrwürdigen Greis stürzten. Der Herzog
von Broglie bildete die Seele der ganzen Verschwörung. Um ihn herum
standen die angesehenen Orleanisten, die Herzöge von Decazes und Audisfret-
Pasquier, die Bonapartisten mit dem ehemaligen "Vizekaiser" Rouher an der
Spitze, endlich ohne erhebliche Kapazitäten der geistig verstockte Heerbann der


l^anotanx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich

auch wenn der Diktator von Bordeaux etwa schon bei seiner Lustballonfahrt
verunglückt wäre. Aber daß er nnter den schaffenden Personen die bedeutendste
und einflußreichste war, das wird niemand bestreiten. Selbst Thiers erreicht ihn
nicht; was er einbrachte an Vertrauen der konservativeren Elemente, das
strömte Gcnnbctta von selten der Radikalen zu; auf alle Fälle war er der
kühnere, feurigere, begeisterndere der beiden Männer, deren Zusammenwirken
den Gaug der Dinge bestimmt hat.

Beim Ende des Krieges herrschte in Frankreich eine monarchistische Strö¬
mung. Alle drei monarchischen Systeme hatten im Laufe von fünfundfünfzig
Jahren Schiffbruch erlitten, das legitime klerikale Königtum, das Bürgerkönigtum,
der demokratische Zäsarismus; dieser sogar zweimal. Dennoch fanden sich die
Neste, so verfeindet sie auch untereinander waren, alsbald zusammen in gemein¬
samem Widerstande gegen die gefürchtete Republik. Thiers sagte einmal in
größter Bitterkeit gegen den Herzog von Broglie, mit dessen Vater er ein
Ministerium unter Louis Philippe gebildet hatte: Er läßt sich eine Gönnerschaft
gefallen, die sein edler Vater verschmäht haben würde, die Gönnerschaft des
Kaiserreichs. In der Tat, die Zurückdrängn»g der äußeren Unterschiede der
monarchistischen Parteien bildete die einzige Möglichkeit, der Republik deu Weg
zur Konsolidierung zu verlege». Was hätte kommen können, wenn sie einig
gewesen wären, wenn sie einen kühnen und weisen Maun für den Thron in
Bereitschaft gehabt hätten, befähigt, selber die Ereignisse zu führen, das kann man
nur ahnen. Aber der Erbe des bourbonischen Hauptstammes war ein Jammer¬
prinz erbärnckichster Art, der Sohn Napoleons des Dritten war ein Kind, der
Angeseheiche der Orleans, der Herzog voll Anmale, war nicht der Thronerbe.
Er würde wahrscheinlich einen guten König abgegeben haben; sogar von seinem
Neffen, dem zum König bestimmten Grafen von Paris, kann man das sagen.
Aber das Haus Orleans verfügte doch nicht über Männer der allerhöchsten
Genialität, es konnte nicht einmal Autorität erlangen über die anderen mo¬
narchistischen Parteien, wie hätte es solche bei den Republikanern beanspruchen
können? Zuletzt verspielte es seine beste Karte, indem es sich nnter die weiße
Fahne des Legitimismus stellte.'

Vom 24. Mai 1873, ehe die Thierssche Republik viel über zwei Jahre
alt geworden war, bis zum 30. Januar 1879 dauerte die Präsidentschaft
Mac Masons, die bestimmt war die Monarchie aufzurichten. Dieser bedeutungs¬
volle Abschnitt bildet den Hauptstoff des Hanotauxschen Geschichtswerks. Der
zweite Band, ein Doppelband, beginnt rin jenem inhaltschweren Tage, als die
Monarchisten den Gesetzentwurf Thiers' über die endgültige Errichtung der
Monarchie ablehnten und damit den ehrwürdigen Greis stürzten. Der Herzog
von Broglie bildete die Seele der ganzen Verschwörung. Um ihn herum
standen die angesehenen Orleanisten, die Herzöge von Decazes und Audisfret-
Pasquier, die Bonapartisten mit dem ehemaligen „Vizekaiser" Rouher an der
Spitze, endlich ohne erhebliche Kapazitäten der geistig verstockte Heerbann der


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[0446] l^anotanx, Geschichte des zeitgenössischen Frankreich auch wenn der Diktator von Bordeaux etwa schon bei seiner Lustballonfahrt verunglückt wäre. Aber daß er nnter den schaffenden Personen die bedeutendste und einflußreichste war, das wird niemand bestreiten. Selbst Thiers erreicht ihn nicht; was er einbrachte an Vertrauen der konservativeren Elemente, das strömte Gcnnbctta von selten der Radikalen zu; auf alle Fälle war er der kühnere, feurigere, begeisterndere der beiden Männer, deren Zusammenwirken den Gaug der Dinge bestimmt hat. Beim Ende des Krieges herrschte in Frankreich eine monarchistische Strö¬ mung. Alle drei monarchischen Systeme hatten im Laufe von fünfundfünfzig Jahren Schiffbruch erlitten, das legitime klerikale Königtum, das Bürgerkönigtum, der demokratische Zäsarismus; dieser sogar zweimal. Dennoch fanden sich die Neste, so verfeindet sie auch untereinander waren, alsbald zusammen in gemein¬ samem Widerstande gegen die gefürchtete Republik. Thiers sagte einmal in größter Bitterkeit gegen den Herzog von Broglie, mit dessen Vater er ein Ministerium unter Louis Philippe gebildet hatte: Er läßt sich eine Gönnerschaft gefallen, die sein edler Vater verschmäht haben würde, die Gönnerschaft des Kaiserreichs. In der Tat, die Zurückdrängn»g der äußeren Unterschiede der monarchistischen Parteien bildete die einzige Möglichkeit, der Republik deu Weg zur Konsolidierung zu verlege». Was hätte kommen können, wenn sie einig gewesen wären, wenn sie einen kühnen und weisen Maun für den Thron in Bereitschaft gehabt hätten, befähigt, selber die Ereignisse zu führen, das kann man nur ahnen. Aber der Erbe des bourbonischen Hauptstammes war ein Jammer¬ prinz erbärnckichster Art, der Sohn Napoleons des Dritten war ein Kind, der Angeseheiche der Orleans, der Herzog voll Anmale, war nicht der Thronerbe. Er würde wahrscheinlich einen guten König abgegeben haben; sogar von seinem Neffen, dem zum König bestimmten Grafen von Paris, kann man das sagen. Aber das Haus Orleans verfügte doch nicht über Männer der allerhöchsten Genialität, es konnte nicht einmal Autorität erlangen über die anderen mo¬ narchistischen Parteien, wie hätte es solche bei den Republikanern beanspruchen können? Zuletzt verspielte es seine beste Karte, indem es sich nnter die weiße Fahne des Legitimismus stellte.' Vom 24. Mai 1873, ehe die Thierssche Republik viel über zwei Jahre alt geworden war, bis zum 30. Januar 1879 dauerte die Präsidentschaft Mac Masons, die bestimmt war die Monarchie aufzurichten. Dieser bedeutungs¬ volle Abschnitt bildet den Hauptstoff des Hanotauxschen Geschichtswerks. Der zweite Band, ein Doppelband, beginnt rin jenem inhaltschweren Tage, als die Monarchisten den Gesetzentwurf Thiers' über die endgültige Errichtung der Monarchie ablehnten und damit den ehrwürdigen Greis stürzten. Der Herzog von Broglie bildete die Seele der ganzen Verschwörung. Um ihn herum standen die angesehenen Orleanisten, die Herzöge von Decazes und Audisfret- Pasquier, die Bonapartisten mit dem ehemaligen „Vizekaiser" Rouher an der Spitze, endlich ohne erhebliche Kapazitäten der geistig verstockte Heerbann der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/446>, abgerufen am 23.07.2024.