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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schiller und Hebbel

es für Herzog Albrecht eine Besänftigung gibt, der seinen Tod suchende und
findende Max Piccolomini steht uns menschlich näher.

Beim Untergange Marias empfinden wir nur Mitleid. Und doch lag
hier der Weg zu einer wirklichen Tragödie offen, wenn einzig Marias Schönheit
die Ursache zu den Empörungen geworden wäre, und wenn das Recht des
Staates gegenüber ihrem Rechte auf deu englischen Thron ihren Tod gefordert
hätte. Das alles ist zwar angedeutet, aber nicht voll gestaltet. Die Einheit
der Handlung, die auch notwendig zum Begriff einer großen Tragödie gehört,
ist gestört und damit die Erhabenheit des Geschehens. Die Vertreterin des Staates
wird zur Megäre, um nur ja das "schöne" Weib in Maria herauszuarbeiten.

Im übrigen wollen wir die alten Vorwürfe, eines Otto Ludwig etwa,
nicht wiederholen.

Die Schwäche der Charaktere erwächst aber immer aus ihrer, d. h. also
genauer aus Schillers idealistischer Anlage. Daher wächst auch keine seiner
Gestalten über das allgemeine Maß hinaus, und wenn wir sein Drama als
idealistisches Charakterdrama bezeichneten, so dürfen wir jetzt hinzufügen, daß
es sich nie auf einem oder mehreren überragenden Gestalten aufbaut, sondern
daß seine Charaktere immer auf mehr oder weniger gleichem Niveau stehen.
Dadurch ist für das im Drama gestaltete Geschehen immer eine gewisse Eben¬
mäßigkeit gewahrt, anderseits entbehrt aber sein Drama deshalb an Wucht des
Geschehens. So sind seine Dramen im Grunde genommen nur große Schau¬
spiele. Das Umgekehrte gilt nun von Hebbels Drama: es erzeugt auf der
Bühne nicht jenen Eindruck der Ebenmäßigkeit, aber die Wucht des Geschehens,
in dem sich das maßlose Wollen einzelner Persönlichkeiten verkörpert, ist eine
gewaltige, niederschmetternde.

Weil der scharf schauende Hebbel es nun liebt, das tragische Gesetz bis in
die letzten Konsequenzen zu verfolgen, erhält sein Drama den Ausdruck der
Problemdichtung. Selbstverständlich schließt das ein, daß es wirklich auch ein
noch für uns geltendes Problem gestalte. Während nnn Schiller vor allem
ein historisches Geschehen in seiner Totalität bildvoll vor unserem Auge vorüber¬
ziehen läßt, wodurch wir ein großes historisches Schauspiel erhalten, sieht Hebbel
überhaupt nur dort ein der Gestaltung werdes Geschehen, wo in irgendeinem
welthistorischen Prozesse der Mensch ein besseres Fundament für die schon vor¬
handenen Institutionen schaffen, wo er sie auf Notwendigkeit und Sittlichkeit
gründen will. Und wenn dann der Dichter "wahrhaft lebt, so darf er dem
Zuge seines Geistes getrost folgen und kann gewiß sein, daß er in seinen
Bedürfnissen die Bedürfnisse der Welt, in seinen Phantasien die Bilder der
Zukunft ausspricht". Und so fehlt es in der Tat bei keinen: der Hebbelschen
Dramen an den großen Beziehungen zu der Zeit, in der der Dichter selbst
lebt, so wird sein Drama zum Problemdrama im besten Sinne. So wächst
auch sein bürgerliches Drama "Maria Magdalena" über Schillers "Kabale und
Liebe" hinaus. Es wird zum sozialen Drama der modernen Zeit.


Schiller und Hebbel

es für Herzog Albrecht eine Besänftigung gibt, der seinen Tod suchende und
findende Max Piccolomini steht uns menschlich näher.

Beim Untergange Marias empfinden wir nur Mitleid. Und doch lag
hier der Weg zu einer wirklichen Tragödie offen, wenn einzig Marias Schönheit
die Ursache zu den Empörungen geworden wäre, und wenn das Recht des
Staates gegenüber ihrem Rechte auf deu englischen Thron ihren Tod gefordert
hätte. Das alles ist zwar angedeutet, aber nicht voll gestaltet. Die Einheit
der Handlung, die auch notwendig zum Begriff einer großen Tragödie gehört,
ist gestört und damit die Erhabenheit des Geschehens. Die Vertreterin des Staates
wird zur Megäre, um nur ja das „schöne" Weib in Maria herauszuarbeiten.

Im übrigen wollen wir die alten Vorwürfe, eines Otto Ludwig etwa,
nicht wiederholen.

Die Schwäche der Charaktere erwächst aber immer aus ihrer, d. h. also
genauer aus Schillers idealistischer Anlage. Daher wächst auch keine seiner
Gestalten über das allgemeine Maß hinaus, und wenn wir sein Drama als
idealistisches Charakterdrama bezeichneten, so dürfen wir jetzt hinzufügen, daß
es sich nie auf einem oder mehreren überragenden Gestalten aufbaut, sondern
daß seine Charaktere immer auf mehr oder weniger gleichem Niveau stehen.
Dadurch ist für das im Drama gestaltete Geschehen immer eine gewisse Eben¬
mäßigkeit gewahrt, anderseits entbehrt aber sein Drama deshalb an Wucht des
Geschehens. So sind seine Dramen im Grunde genommen nur große Schau¬
spiele. Das Umgekehrte gilt nun von Hebbels Drama: es erzeugt auf der
Bühne nicht jenen Eindruck der Ebenmäßigkeit, aber die Wucht des Geschehens,
in dem sich das maßlose Wollen einzelner Persönlichkeiten verkörpert, ist eine
gewaltige, niederschmetternde.

Weil der scharf schauende Hebbel es nun liebt, das tragische Gesetz bis in
die letzten Konsequenzen zu verfolgen, erhält sein Drama den Ausdruck der
Problemdichtung. Selbstverständlich schließt das ein, daß es wirklich auch ein
noch für uns geltendes Problem gestalte. Während nnn Schiller vor allem
ein historisches Geschehen in seiner Totalität bildvoll vor unserem Auge vorüber¬
ziehen läßt, wodurch wir ein großes historisches Schauspiel erhalten, sieht Hebbel
überhaupt nur dort ein der Gestaltung werdes Geschehen, wo in irgendeinem
welthistorischen Prozesse der Mensch ein besseres Fundament für die schon vor¬
handenen Institutionen schaffen, wo er sie auf Notwendigkeit und Sittlichkeit
gründen will. Und wenn dann der Dichter „wahrhaft lebt, so darf er dem
Zuge seines Geistes getrost folgen und kann gewiß sein, daß er in seinen
Bedürfnissen die Bedürfnisse der Welt, in seinen Phantasien die Bilder der
Zukunft ausspricht". Und so fehlt es in der Tat bei keinen: der Hebbelschen
Dramen an den großen Beziehungen zu der Zeit, in der der Dichter selbst
lebt, so wird sein Drama zum Problemdrama im besten Sinne. So wächst
auch sein bürgerliches Drama „Maria Magdalena" über Schillers „Kabale und
Liebe" hinaus. Es wird zum sozialen Drama der modernen Zeit.


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[0431] Schiller und Hebbel es für Herzog Albrecht eine Besänftigung gibt, der seinen Tod suchende und findende Max Piccolomini steht uns menschlich näher. Beim Untergange Marias empfinden wir nur Mitleid. Und doch lag hier der Weg zu einer wirklichen Tragödie offen, wenn einzig Marias Schönheit die Ursache zu den Empörungen geworden wäre, und wenn das Recht des Staates gegenüber ihrem Rechte auf deu englischen Thron ihren Tod gefordert hätte. Das alles ist zwar angedeutet, aber nicht voll gestaltet. Die Einheit der Handlung, die auch notwendig zum Begriff einer großen Tragödie gehört, ist gestört und damit die Erhabenheit des Geschehens. Die Vertreterin des Staates wird zur Megäre, um nur ja das „schöne" Weib in Maria herauszuarbeiten. Im übrigen wollen wir die alten Vorwürfe, eines Otto Ludwig etwa, nicht wiederholen. Die Schwäche der Charaktere erwächst aber immer aus ihrer, d. h. also genauer aus Schillers idealistischer Anlage. Daher wächst auch keine seiner Gestalten über das allgemeine Maß hinaus, und wenn wir sein Drama als idealistisches Charakterdrama bezeichneten, so dürfen wir jetzt hinzufügen, daß es sich nie auf einem oder mehreren überragenden Gestalten aufbaut, sondern daß seine Charaktere immer auf mehr oder weniger gleichem Niveau stehen. Dadurch ist für das im Drama gestaltete Geschehen immer eine gewisse Eben¬ mäßigkeit gewahrt, anderseits entbehrt aber sein Drama deshalb an Wucht des Geschehens. So sind seine Dramen im Grunde genommen nur große Schau¬ spiele. Das Umgekehrte gilt nun von Hebbels Drama: es erzeugt auf der Bühne nicht jenen Eindruck der Ebenmäßigkeit, aber die Wucht des Geschehens, in dem sich das maßlose Wollen einzelner Persönlichkeiten verkörpert, ist eine gewaltige, niederschmetternde. Weil der scharf schauende Hebbel es nun liebt, das tragische Gesetz bis in die letzten Konsequenzen zu verfolgen, erhält sein Drama den Ausdruck der Problemdichtung. Selbstverständlich schließt das ein, daß es wirklich auch ein noch für uns geltendes Problem gestalte. Während nnn Schiller vor allem ein historisches Geschehen in seiner Totalität bildvoll vor unserem Auge vorüber¬ ziehen läßt, wodurch wir ein großes historisches Schauspiel erhalten, sieht Hebbel überhaupt nur dort ein der Gestaltung werdes Geschehen, wo in irgendeinem welthistorischen Prozesse der Mensch ein besseres Fundament für die schon vor¬ handenen Institutionen schaffen, wo er sie auf Notwendigkeit und Sittlichkeit gründen will. Und wenn dann der Dichter „wahrhaft lebt, so darf er dem Zuge seines Geistes getrost folgen und kann gewiß sein, daß er in seinen Bedürfnissen die Bedürfnisse der Welt, in seinen Phantasien die Bilder der Zukunft ausspricht". Und so fehlt es in der Tat bei keinen: der Hebbelschen Dramen an den großen Beziehungen zu der Zeit, in der der Dichter selbst lebt, so wird sein Drama zum Problemdrama im besten Sinne. So wächst auch sein bürgerliches Drama „Maria Magdalena" über Schillers „Kabale und Liebe" hinaus. Es wird zum sozialen Drama der modernen Zeit.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/431>, abgerufen am 25.08.2024.