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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Schiller :ab Hebbel

und Menschen in Schiller. Neben dessen idealisierter Persönlichkeit deren
sachliche Besprechung schon heilte unendlich schwerfällt, muß nun freilich das
Bild Hebbels zurücktreten. Hebbel, mit der ganzen Wucht seiner elementaren
Persönlichkeit gegen die Not seiner jungen Jahre sich anstemmend, bietet dem
Volksgefühl in seiner idealisierenden Tätigkeit nirgends einen Angriffspunkt.
Man vergleiche da nur einmal die berühmte Flucht Schillers mit Hebbels Reise
von München nach Hamburg. Dort der ideale, vor dem Tyrannen flüchtende
Jüngling mit seinem treuen Freunde. Hier der äußerlich herabgekommene
Mensch, der sich wie eine Art Landstreicher durchschlägt und einzig durch einen
beinahe brutalen Drang nach Leben und Größe aufrecht erhält. Und was für
qualvollen Verhältnissen geht dieser Mensch entgegen! Nein, diese Wirklichkeit
enthält keinen idealen Zug. nur eben erbärmliche Wirklichkeit. Wäre Hebbel
weniger sittliche Persönlichkeit, wäre er nur zeitweise wenigstens ein bißchen
..genial verlumpt", die Liebe seines Volkes hätte sich bei seinem Hange zur
Sentimentalität vielleicht eher seiner angenommen. Aber er ist der Sohn des
elementaren, fast brutalen, aber immer ringenden Dithmarscher Maurers gebkeben,
solange er lebte, und das stößt im Grunde immer wieder von ihm ab. Es
gibt, um nur etwas hervorzuheben, nichts Bezeichnenderes in seinem Leben als
sein Verhältnis zum Weibe. Und daran wird man ja überhaupt am ehesten
den Menschen und seine Kultur erkennen, wie er auf das Weib und wie das
Weib auf ihn wirkt. Nur elementare Gefühle, große wie kleine, erfüllen
sein Leben, und nichts eigentlich Anziehendes enthält es. bis er dann an der
Seite einer edlen Frau und im Frieden eines wohlgeordneten Hauses auch
menschlich höher hinauswächst, daß wir auch die andere Seite seines Wesens
erkennen. Denn im tiefsten Grunde seines Wesens bleibt er ja auch darin
immer derselbe.

Schillers Verhältnis zum Weibe ist im ganzen weniger ausgeprägt, und doch
reicht es aus, um auch an ihm diese Seite zu charakterisieren. Einiges, was wir aus
seiner Stuttgarter und Mannheimer Zeit wissen, ist uns heut fast unverständlich.
Es sind künstlich überreizte Gefühle, die da zutage treten. Und so sind auch
die dort entstandenen Liebesgedichte an solchem künstlichen Feuer erwärmte
Produkte und für uns keine Liebesgedichte. Mit ihrer geringen Subjektivität
weisen sie auf eine frühere Periode unserer Literatur zurück, und der Gedanke
ist nicht ganz abzuweisen, daß nicht nur ein in Ideen wurzelndes Empfinden,
sondern auch die bloße Absicht. Liebesgedichte zu schreiben, um bannt einer
gewissen Mode zu folgen, an ihrer Entstehung mitgearbeitet habe. Wurzelsaft
findet man freilich auch in ihnen den Schiller der dritten Periode. Wenn man
aber mit jenen Frühgedichten die Produkte aus Hebbels Frühzeit vergleicht, fo
wird man doch zugeben müssen, daß diese mehr als jene die werdende subjektive
Persönlichkeit hindurchleuchten lassen. Den letzten Grund hierfür wird man
wieder in dem Jdeenhaften auch des jungen Schiller suchen müssen. Der Schwer¬
punkt in Schillers Persönlichkeit liegt eben immer in: Jdeenhaften, und das


Schiller :ab Hebbel

und Menschen in Schiller. Neben dessen idealisierter Persönlichkeit deren
sachliche Besprechung schon heilte unendlich schwerfällt, muß nun freilich das
Bild Hebbels zurücktreten. Hebbel, mit der ganzen Wucht seiner elementaren
Persönlichkeit gegen die Not seiner jungen Jahre sich anstemmend, bietet dem
Volksgefühl in seiner idealisierenden Tätigkeit nirgends einen Angriffspunkt.
Man vergleiche da nur einmal die berühmte Flucht Schillers mit Hebbels Reise
von München nach Hamburg. Dort der ideale, vor dem Tyrannen flüchtende
Jüngling mit seinem treuen Freunde. Hier der äußerlich herabgekommene
Mensch, der sich wie eine Art Landstreicher durchschlägt und einzig durch einen
beinahe brutalen Drang nach Leben und Größe aufrecht erhält. Und was für
qualvollen Verhältnissen geht dieser Mensch entgegen! Nein, diese Wirklichkeit
enthält keinen idealen Zug. nur eben erbärmliche Wirklichkeit. Wäre Hebbel
weniger sittliche Persönlichkeit, wäre er nur zeitweise wenigstens ein bißchen
..genial verlumpt", die Liebe seines Volkes hätte sich bei seinem Hange zur
Sentimentalität vielleicht eher seiner angenommen. Aber er ist der Sohn des
elementaren, fast brutalen, aber immer ringenden Dithmarscher Maurers gebkeben,
solange er lebte, und das stößt im Grunde immer wieder von ihm ab. Es
gibt, um nur etwas hervorzuheben, nichts Bezeichnenderes in seinem Leben als
sein Verhältnis zum Weibe. Und daran wird man ja überhaupt am ehesten
den Menschen und seine Kultur erkennen, wie er auf das Weib und wie das
Weib auf ihn wirkt. Nur elementare Gefühle, große wie kleine, erfüllen
sein Leben, und nichts eigentlich Anziehendes enthält es. bis er dann an der
Seite einer edlen Frau und im Frieden eines wohlgeordneten Hauses auch
menschlich höher hinauswächst, daß wir auch die andere Seite seines Wesens
erkennen. Denn im tiefsten Grunde seines Wesens bleibt er ja auch darin
immer derselbe.

Schillers Verhältnis zum Weibe ist im ganzen weniger ausgeprägt, und doch
reicht es aus, um auch an ihm diese Seite zu charakterisieren. Einiges, was wir aus
seiner Stuttgarter und Mannheimer Zeit wissen, ist uns heut fast unverständlich.
Es sind künstlich überreizte Gefühle, die da zutage treten. Und so sind auch
die dort entstandenen Liebesgedichte an solchem künstlichen Feuer erwärmte
Produkte und für uns keine Liebesgedichte. Mit ihrer geringen Subjektivität
weisen sie auf eine frühere Periode unserer Literatur zurück, und der Gedanke
ist nicht ganz abzuweisen, daß nicht nur ein in Ideen wurzelndes Empfinden,
sondern auch die bloße Absicht. Liebesgedichte zu schreiben, um bannt einer
gewissen Mode zu folgen, an ihrer Entstehung mitgearbeitet habe. Wurzelsaft
findet man freilich auch in ihnen den Schiller der dritten Periode. Wenn man
aber mit jenen Frühgedichten die Produkte aus Hebbels Frühzeit vergleicht, fo
wird man doch zugeben müssen, daß diese mehr als jene die werdende subjektive
Persönlichkeit hindurchleuchten lassen. Den letzten Grund hierfür wird man
wieder in dem Jdeenhaften auch des jungen Schiller suchen müssen. Der Schwer¬
punkt in Schillers Persönlichkeit liegt eben immer in: Jdeenhaften, und das


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[0427] Schiller :ab Hebbel und Menschen in Schiller. Neben dessen idealisierter Persönlichkeit deren sachliche Besprechung schon heilte unendlich schwerfällt, muß nun freilich das Bild Hebbels zurücktreten. Hebbel, mit der ganzen Wucht seiner elementaren Persönlichkeit gegen die Not seiner jungen Jahre sich anstemmend, bietet dem Volksgefühl in seiner idealisierenden Tätigkeit nirgends einen Angriffspunkt. Man vergleiche da nur einmal die berühmte Flucht Schillers mit Hebbels Reise von München nach Hamburg. Dort der ideale, vor dem Tyrannen flüchtende Jüngling mit seinem treuen Freunde. Hier der äußerlich herabgekommene Mensch, der sich wie eine Art Landstreicher durchschlägt und einzig durch einen beinahe brutalen Drang nach Leben und Größe aufrecht erhält. Und was für qualvollen Verhältnissen geht dieser Mensch entgegen! Nein, diese Wirklichkeit enthält keinen idealen Zug. nur eben erbärmliche Wirklichkeit. Wäre Hebbel weniger sittliche Persönlichkeit, wäre er nur zeitweise wenigstens ein bißchen ..genial verlumpt", die Liebe seines Volkes hätte sich bei seinem Hange zur Sentimentalität vielleicht eher seiner angenommen. Aber er ist der Sohn des elementaren, fast brutalen, aber immer ringenden Dithmarscher Maurers gebkeben, solange er lebte, und das stößt im Grunde immer wieder von ihm ab. Es gibt, um nur etwas hervorzuheben, nichts Bezeichnenderes in seinem Leben als sein Verhältnis zum Weibe. Und daran wird man ja überhaupt am ehesten den Menschen und seine Kultur erkennen, wie er auf das Weib und wie das Weib auf ihn wirkt. Nur elementare Gefühle, große wie kleine, erfüllen sein Leben, und nichts eigentlich Anziehendes enthält es. bis er dann an der Seite einer edlen Frau und im Frieden eines wohlgeordneten Hauses auch menschlich höher hinauswächst, daß wir auch die andere Seite seines Wesens erkennen. Denn im tiefsten Grunde seines Wesens bleibt er ja auch darin immer derselbe. Schillers Verhältnis zum Weibe ist im ganzen weniger ausgeprägt, und doch reicht es aus, um auch an ihm diese Seite zu charakterisieren. Einiges, was wir aus seiner Stuttgarter und Mannheimer Zeit wissen, ist uns heut fast unverständlich. Es sind künstlich überreizte Gefühle, die da zutage treten. Und so sind auch die dort entstandenen Liebesgedichte an solchem künstlichen Feuer erwärmte Produkte und für uns keine Liebesgedichte. Mit ihrer geringen Subjektivität weisen sie auf eine frühere Periode unserer Literatur zurück, und der Gedanke ist nicht ganz abzuweisen, daß nicht nur ein in Ideen wurzelndes Empfinden, sondern auch die bloße Absicht. Liebesgedichte zu schreiben, um bannt einer gewissen Mode zu folgen, an ihrer Entstehung mitgearbeitet habe. Wurzelsaft findet man freilich auch in ihnen den Schiller der dritten Periode. Wenn man aber mit jenen Frühgedichten die Produkte aus Hebbels Frühzeit vergleicht, fo wird man doch zugeben müssen, daß diese mehr als jene die werdende subjektive Persönlichkeit hindurchleuchten lassen. Den letzten Grund hierfür wird man wieder in dem Jdeenhaften auch des jungen Schiller suchen müssen. Der Schwer¬ punkt in Schillers Persönlichkeit liegt eben immer in: Jdeenhaften, und das

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/427>, abgerufen am 23.07.2024.