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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Kritische Aufsätze

Neigung, sei es aus moralischer Hilflosigkeit, sobald sie sich in Freiheit befinden,
immer wieder in das Verbrechen zurückfallen. Es sind die Verbrechergruppen,
bei denen der Besserungszweck der Strafe kaum mehr in Betracht kommen,
sondern bei welchen der überwiegende Zweck der Strafe sein wird, die mensch¬
liche Gesellschaft möglichst lange vor ihnen zu bewahren, die Verbrecher möglichst
lange unschädlich zu machen. Darum wird als Strafe für das sechste und spätere
Verbrechen Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und für das sechste und spätere
Vergehen Zuchthausstrafe nicht unter zwei und bis zu zehn Jahren festgelegt.

Entsprechend der Gefährlichkeit der Gewohnheitsverbrecher und der strengen,
mit den: Besserungszwecke fast gar nicht mehr rechnenden Behandlung, die ihnen
im Zuchthause zuteil werden soll, schreibt Abs. 3 des Z 89 vor. daß diese
Verbrecher künstig nur in besonderen, nur für. sie bestimmten Strafanstalten
verwahrt werden sollen. Auch diese Bestimmung wird nicht verfehlen, ihren
abschreckenden Eindruck auf die Herren Verbrecher zu machen, da diese zwischen
der Behandlung in den einzelnen Anstalten sorgfältig unterscheiden und sich die
Wissenschaft davon so weiter geben, wie etwa die Reisenden die Adressen guter
Hotels. So schreibt ein alter Verbrecher, der Matrosen-Albert'. in seinen
Memoiren: "Ein Jahr Sonneberg ist so schlimm wie zwei Jahre Neubrandenburg."

Wenn man sich erinnert, daß Anfang der achtziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts ein Teil der deutschen Bundesstaaten noch so kurzsichtig war. die
Bettler und Landstreicher, welche nicht Landeskinder waren, sondern zwar
Reichsangehörige, aber solche eines anderen Bundesstaates, nicht in seine Arbeits¬
häuser zu stecken, sondern über die Landesgrenzen abzuschieben, weil die
Arbeitshäuser nur für die Landeskinder da seien, und es erst eindringlicher
Vorstellungen höchster Reichsorgane bedürfte, um dieser Annehmlichkeit für die
Vagabunden ein Ende zu machen, so wird man ermessen, welchen Fortschritt die
Strafrechtspolitik in den letzten fünfundzwanzig Jahren gemacht hat. daß der
Vorentwurf bei Beurteilung der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit des Ver¬
brechers jetzt sogar über die Neichsgrenzen hinausgreift. Z "9 Abs. 2 bestimmt,
daß für die Beurteilung der Frage, ob Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit
vorliegt, auch ausländische Strafen von mindestens einen: Jahre und der
Strafart. welche unserem Zuchthause am ehesten entspricht, in Betracht kommen
sollen. Es ist dies eine sehr weise Maßregel mit Rücksicht auf das internationale
Verbrechertum der Hochstapler. Mädchenhändler usw.




Kritische Aufsätze

Neigung, sei es aus moralischer Hilflosigkeit, sobald sie sich in Freiheit befinden,
immer wieder in das Verbrechen zurückfallen. Es sind die Verbrechergruppen,
bei denen der Besserungszweck der Strafe kaum mehr in Betracht kommen,
sondern bei welchen der überwiegende Zweck der Strafe sein wird, die mensch¬
liche Gesellschaft möglichst lange vor ihnen zu bewahren, die Verbrecher möglichst
lange unschädlich zu machen. Darum wird als Strafe für das sechste und spätere
Verbrechen Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und für das sechste und spätere
Vergehen Zuchthausstrafe nicht unter zwei und bis zu zehn Jahren festgelegt.

Entsprechend der Gefährlichkeit der Gewohnheitsverbrecher und der strengen,
mit den: Besserungszwecke fast gar nicht mehr rechnenden Behandlung, die ihnen
im Zuchthause zuteil werden soll, schreibt Abs. 3 des Z 89 vor. daß diese
Verbrecher künstig nur in besonderen, nur für. sie bestimmten Strafanstalten
verwahrt werden sollen. Auch diese Bestimmung wird nicht verfehlen, ihren
abschreckenden Eindruck auf die Herren Verbrecher zu machen, da diese zwischen
der Behandlung in den einzelnen Anstalten sorgfältig unterscheiden und sich die
Wissenschaft davon so weiter geben, wie etwa die Reisenden die Adressen guter
Hotels. So schreibt ein alter Verbrecher, der Matrosen-Albert'. in seinen
Memoiren: „Ein Jahr Sonneberg ist so schlimm wie zwei Jahre Neubrandenburg."

Wenn man sich erinnert, daß Anfang der achtziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts ein Teil der deutschen Bundesstaaten noch so kurzsichtig war. die
Bettler und Landstreicher, welche nicht Landeskinder waren, sondern zwar
Reichsangehörige, aber solche eines anderen Bundesstaates, nicht in seine Arbeits¬
häuser zu stecken, sondern über die Landesgrenzen abzuschieben, weil die
Arbeitshäuser nur für die Landeskinder da seien, und es erst eindringlicher
Vorstellungen höchster Reichsorgane bedürfte, um dieser Annehmlichkeit für die
Vagabunden ein Ende zu machen, so wird man ermessen, welchen Fortschritt die
Strafrechtspolitik in den letzten fünfundzwanzig Jahren gemacht hat. daß der
Vorentwurf bei Beurteilung der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit des Ver¬
brechers jetzt sogar über die Neichsgrenzen hinausgreift. Z »9 Abs. 2 bestimmt,
daß für die Beurteilung der Frage, ob Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit
vorliegt, auch ausländische Strafen von mindestens einen: Jahre und der
Strafart. welche unserem Zuchthause am ehesten entspricht, in Betracht kommen
sollen. Es ist dies eine sehr weise Maßregel mit Rücksicht auf das internationale
Verbrechertum der Hochstapler. Mädchenhändler usw.




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[0387] Kritische Aufsätze Neigung, sei es aus moralischer Hilflosigkeit, sobald sie sich in Freiheit befinden, immer wieder in das Verbrechen zurückfallen. Es sind die Verbrechergruppen, bei denen der Besserungszweck der Strafe kaum mehr in Betracht kommen, sondern bei welchen der überwiegende Zweck der Strafe sein wird, die mensch¬ liche Gesellschaft möglichst lange vor ihnen zu bewahren, die Verbrecher möglichst lange unschädlich zu machen. Darum wird als Strafe für das sechste und spätere Verbrechen Zuchthaus nicht unter fünf Jahren und für das sechste und spätere Vergehen Zuchthausstrafe nicht unter zwei und bis zu zehn Jahren festgelegt. Entsprechend der Gefährlichkeit der Gewohnheitsverbrecher und der strengen, mit den: Besserungszwecke fast gar nicht mehr rechnenden Behandlung, die ihnen im Zuchthause zuteil werden soll, schreibt Abs. 3 des Z 89 vor. daß diese Verbrecher künstig nur in besonderen, nur für. sie bestimmten Strafanstalten verwahrt werden sollen. Auch diese Bestimmung wird nicht verfehlen, ihren abschreckenden Eindruck auf die Herren Verbrecher zu machen, da diese zwischen der Behandlung in den einzelnen Anstalten sorgfältig unterscheiden und sich die Wissenschaft davon so weiter geben, wie etwa die Reisenden die Adressen guter Hotels. So schreibt ein alter Verbrecher, der Matrosen-Albert'. in seinen Memoiren: „Ein Jahr Sonneberg ist so schlimm wie zwei Jahre Neubrandenburg." Wenn man sich erinnert, daß Anfang der achtziger Jahre des vorigen Jahrhunderts ein Teil der deutschen Bundesstaaten noch so kurzsichtig war. die Bettler und Landstreicher, welche nicht Landeskinder waren, sondern zwar Reichsangehörige, aber solche eines anderen Bundesstaates, nicht in seine Arbeits¬ häuser zu stecken, sondern über die Landesgrenzen abzuschieben, weil die Arbeitshäuser nur für die Landeskinder da seien, und es erst eindringlicher Vorstellungen höchster Reichsorgane bedürfte, um dieser Annehmlichkeit für die Vagabunden ein Ende zu machen, so wird man ermessen, welchen Fortschritt die Strafrechtspolitik in den letzten fünfundzwanzig Jahren gemacht hat. daß der Vorentwurf bei Beurteilung der Gewerbs- und Gewohnheitsmäßigkeit des Ver¬ brechers jetzt sogar über die Neichsgrenzen hinausgreift. Z »9 Abs. 2 bestimmt, daß für die Beurteilung der Frage, ob Gewerbs- oder Gewohnheitsmäßigkeit vorliegt, auch ausländische Strafen von mindestens einen: Jahre und der Strafart. welche unserem Zuchthause am ehesten entspricht, in Betracht kommen sollen. Es ist dies eine sehr weise Maßregel mit Rücksicht auf das internationale Verbrechertum der Hochstapler. Mädchenhändler usw.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/387>, abgerufen am 23.07.2024.