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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Peter Behrens und die A, L.

einer Klasse von gut sttuierten Leuten bleibe, umßteu und aller Entschiedenheit
auf die Volkstümlichkeit des "neuen Stils" -- wenn mau ihn der Kürze halber
so nennen darf -- hinarbeiten. Wir glaubten zu Anfang, dieses Programm
unter gänzlicher oder teilweiser Ausschaltung der Industrie und durch Rückkehr
zur Handarbeit erfüllen zu können. Das war ein Irrtum, dessen bedenkliche
Folgen uns die englischen Reformer, mit Ruskin an der Spitze, hätten lehren
können; und es war gut. das; dieser Irrtum von kurzer Dauer war. In: Zeit¬
alter der Maschine die Industrie zu den überwundenen Arbeitsformen werfen zu
wollen, wäre ein Unding. Aber wenn sie nicht ausgeschaltet werden kauu, wo
es sich um die Befriedigung des Massenbedarfes handelt -- wie kann sie mit
ihren spezifischen Kräften der technischen Vollendung und Exaktheit ästhetisch
wirksam eingeschaltet werden? Das war die weitere Frage. Und daß mit ihr
nicht nur eine technologische Sonderfrage, sondern eine volkswirtschaftlich wie
ästhetisch gleich bedeutsame Lebensfrage des neuen Stils gestellt war, scheu wir
jetzt mit zunehmender Klarheit ein.

Es handelt sich also, kurz gesagt, um die Eroberung der Industrie durch
dieselben Prinzipien, die unser Kunsthandwerk zu einem so erfreuliche,! Siege
geführt haben. Die Industrie ihrerseits hatte mit raschem Instinkt begriffen,
daß sie sich das Neue auf irgendeine Weise aneignen und zunutze machen müsse.
Leider fing sie es verkehrt an und ahmte nach, was unnachahmlich ist, und
nieder dem besonderen Arbeitsverfahren, noch dem jeweiligen Material der
Industrien zugedacht war. Diese Schuellfertigkeit hat sich schnell gerächt und
fast der gesamten deutscheu industriellen Erzeugung, soweit sie sogenannte Kunst¬
produkte schafft, den ohnehin schon recht schwachen ästhetischen Kredit bei allen
urteilsfähigen Leuten uoch gründlicher entzogen.

Es fehlte in den Interessentenkreisen der Industrie aber uicht an Ein¬
sichtigen, die den Fehler gutzumachen trachteten und sich entschlossen, dort anzu¬
klopfen, wo auch das Handwerk seine Kräfte neu belebt hatte: bei den Künstlern.
Freilich: niemand kann über seine Vergangenheit hinweg. Der industrielle
Unternehmer wollte auch dem angestellten Künstler gegenüber Herr im Hause
sein und sah in ihm zumeist doch nicht viel mehr als einen bessern Muster¬
zeichner, dein er, da er ihn bezahlte, in Streitfällen durch seiue erprobte geschäft¬
liche Erfahrung, durch seine Kenntnis der Bedürfnisse des Publikums glaubte
das Richtige vorschreiben zu können. In einer solchen schiefen Stellung aber
konnte sich auf die Dauer kein wirklich schöpferisches Talent frei entfalten oder
wohlfühlen. Und so schieden beide Parteien, nach manchen mißglückter Ver¬
suchen, nach mancherlei Aufwand an redlichem Willen, an Zeit und Geld von¬
einander, um aufs neue die alte Gegnerschaft zu betonen: hie Kunst, hie
Industrie.

Auf der Frankfurter Tagung des Deutschen Werkbundes im Herbste 1909
hat Henry van de Velde diese Situation mit folgenden Worten gekennzeichnet:
"So wie die Dinge heute stehen, hat das Eingreifen der Künstler die deutsche


Grenzbowl III 1910 4
Peter Behrens und die A, L.

einer Klasse von gut sttuierten Leuten bleibe, umßteu und aller Entschiedenheit
auf die Volkstümlichkeit des „neuen Stils" — wenn mau ihn der Kürze halber
so nennen darf — hinarbeiten. Wir glaubten zu Anfang, dieses Programm
unter gänzlicher oder teilweiser Ausschaltung der Industrie und durch Rückkehr
zur Handarbeit erfüllen zu können. Das war ein Irrtum, dessen bedenkliche
Folgen uns die englischen Reformer, mit Ruskin an der Spitze, hätten lehren
können; und es war gut. das; dieser Irrtum von kurzer Dauer war. In: Zeit¬
alter der Maschine die Industrie zu den überwundenen Arbeitsformen werfen zu
wollen, wäre ein Unding. Aber wenn sie nicht ausgeschaltet werden kauu, wo
es sich um die Befriedigung des Massenbedarfes handelt — wie kann sie mit
ihren spezifischen Kräften der technischen Vollendung und Exaktheit ästhetisch
wirksam eingeschaltet werden? Das war die weitere Frage. Und daß mit ihr
nicht nur eine technologische Sonderfrage, sondern eine volkswirtschaftlich wie
ästhetisch gleich bedeutsame Lebensfrage des neuen Stils gestellt war, scheu wir
jetzt mit zunehmender Klarheit ein.

Es handelt sich also, kurz gesagt, um die Eroberung der Industrie durch
dieselben Prinzipien, die unser Kunsthandwerk zu einem so erfreuliche,! Siege
geführt haben. Die Industrie ihrerseits hatte mit raschem Instinkt begriffen,
daß sie sich das Neue auf irgendeine Weise aneignen und zunutze machen müsse.
Leider fing sie es verkehrt an und ahmte nach, was unnachahmlich ist, und
nieder dem besonderen Arbeitsverfahren, noch dem jeweiligen Material der
Industrien zugedacht war. Diese Schuellfertigkeit hat sich schnell gerächt und
fast der gesamten deutscheu industriellen Erzeugung, soweit sie sogenannte Kunst¬
produkte schafft, den ohnehin schon recht schwachen ästhetischen Kredit bei allen
urteilsfähigen Leuten uoch gründlicher entzogen.

Es fehlte in den Interessentenkreisen der Industrie aber uicht an Ein¬
sichtigen, die den Fehler gutzumachen trachteten und sich entschlossen, dort anzu¬
klopfen, wo auch das Handwerk seine Kräfte neu belebt hatte: bei den Künstlern.
Freilich: niemand kann über seine Vergangenheit hinweg. Der industrielle
Unternehmer wollte auch dem angestellten Künstler gegenüber Herr im Hause
sein und sah in ihm zumeist doch nicht viel mehr als einen bessern Muster¬
zeichner, dein er, da er ihn bezahlte, in Streitfällen durch seiue erprobte geschäft¬
liche Erfahrung, durch seine Kenntnis der Bedürfnisse des Publikums glaubte
das Richtige vorschreiben zu können. In einer solchen schiefen Stellung aber
konnte sich auf die Dauer kein wirklich schöpferisches Talent frei entfalten oder
wohlfühlen. Und so schieden beide Parteien, nach manchen mißglückter Ver¬
suchen, nach mancherlei Aufwand an redlichem Willen, an Zeit und Geld von¬
einander, um aufs neue die alte Gegnerschaft zu betonen: hie Kunst, hie
Industrie.

Auf der Frankfurter Tagung des Deutschen Werkbundes im Herbste 1909
hat Henry van de Velde diese Situation mit folgenden Worten gekennzeichnet:
„So wie die Dinge heute stehen, hat das Eingreifen der Künstler die deutsche


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/37>, abgerufen am 08.01.2025.