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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Cavour

Dieses Gelöbnis wurde erfüllt. Zunächst freilich hatte Cavour kein ent¬
scheidendes Wort, denn am Tage nach Villa Franca hatte er seine Ministerschaft
an Rattazzi abgegeben. Doch Cavour ermunterte mit der ganzen persönlichen
Autorität, die ihm verblieben, die Bevölkerung von Modena, Bologna,
Florenz usw., an ihren persönlichen Idealen nicht zu verzweifeln, und gemeinsam
Mit den königlich sardischen Gouverneuren sich allen Versuchen ihrer alten
Herren, die verlassenen Throne wieder einzunehmen, mit Gewalt zu widersetzen.
Die Gouverneure, namentlich Farini in Modena und Massino d' Azeglio in
Bologna, waren entschlossen, unter keiner Bedingung von ihren Plätzen zu
weichen. Cavour wollte sogar als einfacher Soldat eintreten, "um sich töten
zu lassen für die Verteidigung der italienischen Unabhängigkeit".

1860 stand Cavour wieder an der Spitze eines erneuerten Ministeriums.
Im Frühjahr waren Toskana, Parma. Modena und die päpstlichen Legationen
in aller Form dem Königreich Sardinien einverleibt. Napoleon, der angesichts
des Verdrusses ob Villa Franca mit einem Ersatz der Kriegskosten zufrieden sein
zu wollen erklärt hatte, erhielt zur Beschwichtigung und als LaMio bene-
volsntiae Nizza und Savonen. die gewünschte Prämie von Plombieres.

Der nächste Schritt zur nationalen Einheit mußte den Papst empfindlich
berühren, und Cavour verhehlte sich nicht, daß hiermit Gefahren von größter
Tragweite erwuchsen. Wie wir ans den "diplomatischen Episoden" des Generals
Giacomo Durando ersehen, ließ Cavour durch den General Cialdini Napoleon
vertraulich benachrichtigen, daß die Turiner Regierung die Marken zu besetzen
gedenke, "um dort einer republikanischen Revolution zuvorzukommen". Napoleon
widersprach zunächst, wies auf den Unwillen und den Zorn der Katholiken, auf
die unberechenbaren politischen Schwierigkeiten in Europa und auf die Kom¬
promittierung seiner eigenen Stellung gegenüber den Franzosen hin, ließ sich
aber schließlich durch jenes Gespenst der Revolution begütigen und empfacht,
dann wenigstens rasch vorzugehen, damit die Diplomatie sich nicht erst vom
Staunen erholen könnte; ja, er gab sogar einen Anhalt, wann, wo und wie
der französische, in päpstlichein Dienst stehende General Lamoriciöre unschädlich
gemacht werden könnte.

Doch ehe die Annexion der Marken vollzogen werden konnte, ehe damit
das römische Problem ernstlich auf die Tagesordnung gesetzt wurde, gab es
noch ein anderes Werk zu tun. Im Königreiche beider Sizilien hatten die
Bourbonen seit 1848/49 Schwierigkeiten, deren sie namentlich durch Landes¬
verweisung der unruhigen Untertanen Herr zu werden gewußt hatten. Die
Ereignisse in Oberitalien belebten die Wünsche der Verbannten und der
unzufriedenen Verbliebenen, uuter ihnen Francesco Crispis. Sie brachten auf
Sizilien einen Aufruhr zustande, der vorzüglich zu den Hoffnungen Ccwours
und Garibaldis paßte. Sich hier offen einzumischen, war indessen für die Turiner
Regierung nicht angängig. Teils um der Bourbonen willen, teils um
revolutionäre und dem allgemeinen Völkerrecht zuwiderlaufende Akte schon im


Cavour

Dieses Gelöbnis wurde erfüllt. Zunächst freilich hatte Cavour kein ent¬
scheidendes Wort, denn am Tage nach Villa Franca hatte er seine Ministerschaft
an Rattazzi abgegeben. Doch Cavour ermunterte mit der ganzen persönlichen
Autorität, die ihm verblieben, die Bevölkerung von Modena, Bologna,
Florenz usw., an ihren persönlichen Idealen nicht zu verzweifeln, und gemeinsam
Mit den königlich sardischen Gouverneuren sich allen Versuchen ihrer alten
Herren, die verlassenen Throne wieder einzunehmen, mit Gewalt zu widersetzen.
Die Gouverneure, namentlich Farini in Modena und Massino d' Azeglio in
Bologna, waren entschlossen, unter keiner Bedingung von ihren Plätzen zu
weichen. Cavour wollte sogar als einfacher Soldat eintreten, „um sich töten
zu lassen für die Verteidigung der italienischen Unabhängigkeit".

1860 stand Cavour wieder an der Spitze eines erneuerten Ministeriums.
Im Frühjahr waren Toskana, Parma. Modena und die päpstlichen Legationen
in aller Form dem Königreich Sardinien einverleibt. Napoleon, der angesichts
des Verdrusses ob Villa Franca mit einem Ersatz der Kriegskosten zufrieden sein
zu wollen erklärt hatte, erhielt zur Beschwichtigung und als LaMio bene-
volsntiae Nizza und Savonen. die gewünschte Prämie von Plombieres.

Der nächste Schritt zur nationalen Einheit mußte den Papst empfindlich
berühren, und Cavour verhehlte sich nicht, daß hiermit Gefahren von größter
Tragweite erwuchsen. Wie wir ans den „diplomatischen Episoden" des Generals
Giacomo Durando ersehen, ließ Cavour durch den General Cialdini Napoleon
vertraulich benachrichtigen, daß die Turiner Regierung die Marken zu besetzen
gedenke, „um dort einer republikanischen Revolution zuvorzukommen". Napoleon
widersprach zunächst, wies auf den Unwillen und den Zorn der Katholiken, auf
die unberechenbaren politischen Schwierigkeiten in Europa und auf die Kom¬
promittierung seiner eigenen Stellung gegenüber den Franzosen hin, ließ sich
aber schließlich durch jenes Gespenst der Revolution begütigen und empfacht,
dann wenigstens rasch vorzugehen, damit die Diplomatie sich nicht erst vom
Staunen erholen könnte; ja, er gab sogar einen Anhalt, wann, wo und wie
der französische, in päpstlichein Dienst stehende General Lamoriciöre unschädlich
gemacht werden könnte.

Doch ehe die Annexion der Marken vollzogen werden konnte, ehe damit
das römische Problem ernstlich auf die Tagesordnung gesetzt wurde, gab es
noch ein anderes Werk zu tun. Im Königreiche beider Sizilien hatten die
Bourbonen seit 1848/49 Schwierigkeiten, deren sie namentlich durch Landes¬
verweisung der unruhigen Untertanen Herr zu werden gewußt hatten. Die
Ereignisse in Oberitalien belebten die Wünsche der Verbannten und der
unzufriedenen Verbliebenen, uuter ihnen Francesco Crispis. Sie brachten auf
Sizilien einen Aufruhr zustande, der vorzüglich zu den Hoffnungen Ccwours
und Garibaldis paßte. Sich hier offen einzumischen, war indessen für die Turiner
Regierung nicht angängig. Teils um der Bourbonen willen, teils um
revolutionäre und dem allgemeinen Völkerrecht zuwiderlaufende Akte schon im


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[0273] Cavour Dieses Gelöbnis wurde erfüllt. Zunächst freilich hatte Cavour kein ent¬ scheidendes Wort, denn am Tage nach Villa Franca hatte er seine Ministerschaft an Rattazzi abgegeben. Doch Cavour ermunterte mit der ganzen persönlichen Autorität, die ihm verblieben, die Bevölkerung von Modena, Bologna, Florenz usw., an ihren persönlichen Idealen nicht zu verzweifeln, und gemeinsam Mit den königlich sardischen Gouverneuren sich allen Versuchen ihrer alten Herren, die verlassenen Throne wieder einzunehmen, mit Gewalt zu widersetzen. Die Gouverneure, namentlich Farini in Modena und Massino d' Azeglio in Bologna, waren entschlossen, unter keiner Bedingung von ihren Plätzen zu weichen. Cavour wollte sogar als einfacher Soldat eintreten, „um sich töten zu lassen für die Verteidigung der italienischen Unabhängigkeit". 1860 stand Cavour wieder an der Spitze eines erneuerten Ministeriums. Im Frühjahr waren Toskana, Parma. Modena und die päpstlichen Legationen in aller Form dem Königreich Sardinien einverleibt. Napoleon, der angesichts des Verdrusses ob Villa Franca mit einem Ersatz der Kriegskosten zufrieden sein zu wollen erklärt hatte, erhielt zur Beschwichtigung und als LaMio bene- volsntiae Nizza und Savonen. die gewünschte Prämie von Plombieres. Der nächste Schritt zur nationalen Einheit mußte den Papst empfindlich berühren, und Cavour verhehlte sich nicht, daß hiermit Gefahren von größter Tragweite erwuchsen. Wie wir ans den „diplomatischen Episoden" des Generals Giacomo Durando ersehen, ließ Cavour durch den General Cialdini Napoleon vertraulich benachrichtigen, daß die Turiner Regierung die Marken zu besetzen gedenke, „um dort einer republikanischen Revolution zuvorzukommen". Napoleon widersprach zunächst, wies auf den Unwillen und den Zorn der Katholiken, auf die unberechenbaren politischen Schwierigkeiten in Europa und auf die Kom¬ promittierung seiner eigenen Stellung gegenüber den Franzosen hin, ließ sich aber schließlich durch jenes Gespenst der Revolution begütigen und empfacht, dann wenigstens rasch vorzugehen, damit die Diplomatie sich nicht erst vom Staunen erholen könnte; ja, er gab sogar einen Anhalt, wann, wo und wie der französische, in päpstlichein Dienst stehende General Lamoriciöre unschädlich gemacht werden könnte. Doch ehe die Annexion der Marken vollzogen werden konnte, ehe damit das römische Problem ernstlich auf die Tagesordnung gesetzt wurde, gab es noch ein anderes Werk zu tun. Im Königreiche beider Sizilien hatten die Bourbonen seit 1848/49 Schwierigkeiten, deren sie namentlich durch Landes¬ verweisung der unruhigen Untertanen Herr zu werden gewußt hatten. Die Ereignisse in Oberitalien belebten die Wünsche der Verbannten und der unzufriedenen Verbliebenen, uuter ihnen Francesco Crispis. Sie brachten auf Sizilien einen Aufruhr zustande, der vorzüglich zu den Hoffnungen Ccwours und Garibaldis paßte. Sich hier offen einzumischen, war indessen für die Turiner Regierung nicht angängig. Teils um der Bourbonen willen, teils um revolutionäre und dem allgemeinen Völkerrecht zuwiderlaufende Akte schon im

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/273>, abgerufen am 23.07.2024.