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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr.

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Friedrich Stepß

Während der eine der Prinzipale, Rothstein, auf der Leipziger Messe
weilte, bereitete Stepß seine Flucht vor. Er fälschte auf einer Einladung für
den Polizeikommissar in Erfurt, Kahlert, die Unterschrift Lentins. Damit gelang
es ihm, anstandslos einen Paß nach Naumburg zu erhalten. Später radierte
er darin das Wort Naumburg fort, und setzte an dessen Stelle Wien. Bei
dem Webermeister Rothe, der ein Wechselbureau hatte, endlich er sich elf Friedrichs-
d'or. Ein Arbeiter seiner Fabrik mußte ihm einen Miethwagen besorgen, an¬
geblich um jemand in Weimar abzuholen; seine Freunde, denen er sagte, er
gehe nach Weimar, glaubten, er habe dazu von Lentin Urlaub. An diesen
hinterließ er einen Zettel: "Wichtige Gründe machten es mir unmöglich,
in Erfurt länger zu bleiben. Alle Bemühungen, zu erforschen, mo ich bin,
werden vergebens sein. An meine Eltern brauchen Sie nicht zu schreiben,
indem ich es schon gethan habe und sie um Verzeihung bat; sie werden das,
was ich hier borgte, als das Letzte für mich bezahlen". Ein Billet an Zerrenner
und die Freunde hatte folgenden Wortlaut: "Si vous veri? ins elierclisr, vou8
No ML tiouvere-i que parmi >L8 vamquer8 c>u parmi Is8 mort8 3ur le
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LONM als V0U8". Am 23. September hatte er auch einen Mschiedsbrief an
die Eltern geschrieben, des Inhalts, er müsse fort, um Tausende von ihrem
Verderben, vom Tode zu retten, und dann selbst zu sterben. Was und wie
er es tun wolle, dürfe er ihnen nicht entdecken. AIs er nach anfänglichen
Hindernissen Gott bat, ihn: die Mittel zum Vollbringen zu gewähren, war es ihm,
als sähe er Gott in seiner Majestät, der mit donnerähnlichen Worten zu ihm
sprach: "Gehe hiu und tue, was du dir vorgenommen hast". Da habe er
ihm Gehorsam bis in den Tod geschworen, obwohl er diesen Schwur dann oft
bereute und auch seine Geliebte verlassen müsse. Später, als man ihm in seinem
Verhör vorhielt, nach den Grundsätzen seiner Religion sei doch der Mord ver¬
boten, erwiderte er, er wisse es wohl; aber er wollte lieber für das Glück
Europas und der Menschheit sein Leben opfern als in einem so kostbaren Augen¬
blick untätig bleiben. Auch habe er die innerste Überzeugung, es werde ihm nicht
nur gelinge", den Zorn des höchsten Wesens zu versöhnen, sondern der ewige Vater
werde ihn noch belohnen, weil er die Erde von einem Fürsten befreien wollte, den er
für die erste Ursache des Krieges hielt. Bei den starken Rekrutierungen in seiner
Heimat wäre er wohl selbst ausgehoben worden. Als tapferer Soldat hätte er die
Pflicht gehabt, Morde zu begehen, bei denen für sein Vaterland nichts heraus¬
gekommen wäre, während der eine Mord, den er vollbringen wollte, seiner
Meinung nach der Menschheit günstig gewesen wäre. Besonders gestärkt habe
ihn, wie er deu Eltern schrieb, die letzte Sonntagspredigt, die mit den Worten
schloß: "Erhaben über Staub, unsterblich ist des Menschen Geist".

Am 24. September verließ er Erfurt; die beiden ersten Tage reiste er allein
in seiner Kariole über Arnstadt, Ilmenau bis Eisfeld; dort verkaufte er den Wagen.
Von da ritt er über Koburg uach Banreuth; dort veräußerte er auch das Pferd.


Friedrich Stepß

Während der eine der Prinzipale, Rothstein, auf der Leipziger Messe
weilte, bereitete Stepß seine Flucht vor. Er fälschte auf einer Einladung für
den Polizeikommissar in Erfurt, Kahlert, die Unterschrift Lentins. Damit gelang
es ihm, anstandslos einen Paß nach Naumburg zu erhalten. Später radierte
er darin das Wort Naumburg fort, und setzte an dessen Stelle Wien. Bei
dem Webermeister Rothe, der ein Wechselbureau hatte, endlich er sich elf Friedrichs-
d'or. Ein Arbeiter seiner Fabrik mußte ihm einen Miethwagen besorgen, an¬
geblich um jemand in Weimar abzuholen; seine Freunde, denen er sagte, er
gehe nach Weimar, glaubten, er habe dazu von Lentin Urlaub. An diesen
hinterließ er einen Zettel: „Wichtige Gründe machten es mir unmöglich,
in Erfurt länger zu bleiben. Alle Bemühungen, zu erforschen, mo ich bin,
werden vergebens sein. An meine Eltern brauchen Sie nicht zu schreiben,
indem ich es schon gethan habe und sie um Verzeihung bat; sie werden das,
was ich hier borgte, als das Letzte für mich bezahlen". Ein Billet an Zerrenner
und die Freunde hatte folgenden Wortlaut: „Si vous veri? ins elierclisr, vou8
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LONM als V0U8". Am 23. September hatte er auch einen Mschiedsbrief an
die Eltern geschrieben, des Inhalts, er müsse fort, um Tausende von ihrem
Verderben, vom Tode zu retten, und dann selbst zu sterben. Was und wie
er es tun wolle, dürfe er ihnen nicht entdecken. AIs er nach anfänglichen
Hindernissen Gott bat, ihn: die Mittel zum Vollbringen zu gewähren, war es ihm,
als sähe er Gott in seiner Majestät, der mit donnerähnlichen Worten zu ihm
sprach: „Gehe hiu und tue, was du dir vorgenommen hast". Da habe er
ihm Gehorsam bis in den Tod geschworen, obwohl er diesen Schwur dann oft
bereute und auch seine Geliebte verlassen müsse. Später, als man ihm in seinem
Verhör vorhielt, nach den Grundsätzen seiner Religion sei doch der Mord ver¬
boten, erwiderte er, er wisse es wohl; aber er wollte lieber für das Glück
Europas und der Menschheit sein Leben opfern als in einem so kostbaren Augen¬
blick untätig bleiben. Auch habe er die innerste Überzeugung, es werde ihm nicht
nur gelinge», den Zorn des höchsten Wesens zu versöhnen, sondern der ewige Vater
werde ihn noch belohnen, weil er die Erde von einem Fürsten befreien wollte, den er
für die erste Ursache des Krieges hielt. Bei den starken Rekrutierungen in seiner
Heimat wäre er wohl selbst ausgehoben worden. Als tapferer Soldat hätte er die
Pflicht gehabt, Morde zu begehen, bei denen für sein Vaterland nichts heraus¬
gekommen wäre, während der eine Mord, den er vollbringen wollte, seiner
Meinung nach der Menschheit günstig gewesen wäre. Besonders gestärkt habe
ihn, wie er deu Eltern schrieb, die letzte Sonntagspredigt, die mit den Worten
schloß: „Erhaben über Staub, unsterblich ist des Menschen Geist".

Am 24. September verließ er Erfurt; die beiden ersten Tage reiste er allein
in seiner Kariole über Arnstadt, Ilmenau bis Eisfeld; dort verkaufte er den Wagen.
Von da ritt er über Koburg uach Banreuth; dort veräußerte er auch das Pferd.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Drittes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_316288/227>, abgerufen am 24.07.2024.