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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr.

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Llsaß-lothringische Fragen

ersetzt werden, oder sind unsere Mißerfolge lediglich auf Fehler zurückzuführen,
deren Vermeidung bei Beibehaltung und eventuellen gleichzeitigen organischen
Ausbau dieser Grundlage in Zukunft bessere Resultate erhoffen läßt?

Hat die Erfahrung gezeigt, daß die elsaß-lothringische Frage (natürlich
im Sinne der inneren Politik) nicht gelöst werden kann, solange Elsaß-Lothringen
ein eigener Staat im Reiche bleibt?

Wenn dies der Fall ist, so wird man nicht zögern dürfen, den in blutigem
Ringen erworbenen Provinzen eine andere staatsrechtliche Stellung im Reiche
anzuweisen. Die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Maßnahme ist unbestreitbar.
Zweifelhaft scheint bei der gegenwärtigen politischen Lage ihre praktische Durchführ¬
barkeit, nicht wegen des Widerspruchs, der sich in Elsaß-Lothringen gegen die
Lapiti8 äiminutio erheben würde, welche dessen Einverleibung in Preußen oder
dessen Aufteilung zwischen mehreren deutschen Bundesstaaten (Preußen, Baden
Bayern) mit sich brächte, wohl aber wegen der Widerstände aus dem Reiche
selbst. Wird doch heutzutage die bittere staatliche Notwendigkeit, die uns ver¬
wehrt hat, völlige politische Einheit zu erringen, geradezu als ein Vorzug
deutschen Staatslebens gepriesen und der Partikularismus, der die Zusammen¬
fassung der politischen Kräfte der Nation verhindert, als derjenige Zustand ver¬
herrlicht, der am besten deutscher Eigenart entspreche! Zudem stellen sich
der oben angedeuteten Änderung der staatsrechtlichen Gestaltung der Reichslande
nicht nur das bleierne Schwergewicht eines jetzt seit nahezu vierzig Jahren
bestehenden Zustandes entgegen, sondern auch andere erhebliche Schwierigkeiten.

Werden sich die übrigen Bundesstaaten ohne weiteres damit einverstanden
erklären, daß Preußen einen Machtzuwachs erhält, und werden sie nicht Kom¬
pensationen verlangen? Und, falls Elsaß-Lothringen zwischen Preußen, Bayern
und Baden aufgeteilt werden sollte, wird es den zuletzt genannten Staaten
gelingen, sich ihre neuen Gebietsteile zu assimilieren?

So viel Fragen, so viel Zweifel. Und doch stehe ich nicht an,
die Zuteilung Elsaß-Lothringens zu Preußen a priori als diejenige
Lösung zu bezeichnen, die nicht nur für das Reich selbst, sondern trotz
anfänglich zu erwartenden Widerspruchs der Elsaß-Lothringer auch für
diese die beste sein würde. Nur durch sie wird endlich der Bevölkerung
von Elsaß-Lothringen das seit der Annektion entbehrte stolze und freudige
Gefühl wiedergegeben werden, einem großen Kulturstaate anzugehören, nur diese
kann die Möglichkeit schaffen, die zahlreichen Elsaß-Lothringer, die sich dem
Staatsdienste widmen wollen, dem engen Bannkreis ihrer heimatlichen Ver¬
hältnisse zu entrücken. Nur sie gibt Gewähr dafür, daß die bisher gemachten
Fehler in Zukunft unmöglich werden und daß das Zerrbild einer parlamentarischen
Negierung, das Elsaß-Lothringen gegenwärtig bietet, verschwindet.

Die gegenwärtige politische Lage im Reiche läßt es freilich, wie schon
gesagt, wenig wahrscheinlich erscheinen, daß die Reichsregierung den Mut und
die Energie finden wird, die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Preußen zu


Llsaß-lothringische Fragen

ersetzt werden, oder sind unsere Mißerfolge lediglich auf Fehler zurückzuführen,
deren Vermeidung bei Beibehaltung und eventuellen gleichzeitigen organischen
Ausbau dieser Grundlage in Zukunft bessere Resultate erhoffen läßt?

Hat die Erfahrung gezeigt, daß die elsaß-lothringische Frage (natürlich
im Sinne der inneren Politik) nicht gelöst werden kann, solange Elsaß-Lothringen
ein eigener Staat im Reiche bleibt?

Wenn dies der Fall ist, so wird man nicht zögern dürfen, den in blutigem
Ringen erworbenen Provinzen eine andere staatsrechtliche Stellung im Reiche
anzuweisen. Die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Maßnahme ist unbestreitbar.
Zweifelhaft scheint bei der gegenwärtigen politischen Lage ihre praktische Durchführ¬
barkeit, nicht wegen des Widerspruchs, der sich in Elsaß-Lothringen gegen die
Lapiti8 äiminutio erheben würde, welche dessen Einverleibung in Preußen oder
dessen Aufteilung zwischen mehreren deutschen Bundesstaaten (Preußen, Baden
Bayern) mit sich brächte, wohl aber wegen der Widerstände aus dem Reiche
selbst. Wird doch heutzutage die bittere staatliche Notwendigkeit, die uns ver¬
wehrt hat, völlige politische Einheit zu erringen, geradezu als ein Vorzug
deutschen Staatslebens gepriesen und der Partikularismus, der die Zusammen¬
fassung der politischen Kräfte der Nation verhindert, als derjenige Zustand ver¬
herrlicht, der am besten deutscher Eigenart entspreche! Zudem stellen sich
der oben angedeuteten Änderung der staatsrechtlichen Gestaltung der Reichslande
nicht nur das bleierne Schwergewicht eines jetzt seit nahezu vierzig Jahren
bestehenden Zustandes entgegen, sondern auch andere erhebliche Schwierigkeiten.

Werden sich die übrigen Bundesstaaten ohne weiteres damit einverstanden
erklären, daß Preußen einen Machtzuwachs erhält, und werden sie nicht Kom¬
pensationen verlangen? Und, falls Elsaß-Lothringen zwischen Preußen, Bayern
und Baden aufgeteilt werden sollte, wird es den zuletzt genannten Staaten
gelingen, sich ihre neuen Gebietsteile zu assimilieren?

So viel Fragen, so viel Zweifel. Und doch stehe ich nicht an,
die Zuteilung Elsaß-Lothringens zu Preußen a priori als diejenige
Lösung zu bezeichnen, die nicht nur für das Reich selbst, sondern trotz
anfänglich zu erwartenden Widerspruchs der Elsaß-Lothringer auch für
diese die beste sein würde. Nur durch sie wird endlich der Bevölkerung
von Elsaß-Lothringen das seit der Annektion entbehrte stolze und freudige
Gefühl wiedergegeben werden, einem großen Kulturstaate anzugehören, nur diese
kann die Möglichkeit schaffen, die zahlreichen Elsaß-Lothringer, die sich dem
Staatsdienste widmen wollen, dem engen Bannkreis ihrer heimatlichen Ver¬
hältnisse zu entrücken. Nur sie gibt Gewähr dafür, daß die bisher gemachten
Fehler in Zukunft unmöglich werden und daß das Zerrbild einer parlamentarischen
Negierung, das Elsaß-Lothringen gegenwärtig bietet, verschwindet.

Die gegenwärtige politische Lage im Reiche läßt es freilich, wie schon
gesagt, wenig wahrscheinlich erscheinen, daß die Reichsregierung den Mut und
die Energie finden wird, die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Preußen zu


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[0602] Llsaß-lothringische Fragen ersetzt werden, oder sind unsere Mißerfolge lediglich auf Fehler zurückzuführen, deren Vermeidung bei Beibehaltung und eventuellen gleichzeitigen organischen Ausbau dieser Grundlage in Zukunft bessere Resultate erhoffen läßt? Hat die Erfahrung gezeigt, daß die elsaß-lothringische Frage (natürlich im Sinne der inneren Politik) nicht gelöst werden kann, solange Elsaß-Lothringen ein eigener Staat im Reiche bleibt? Wenn dies der Fall ist, so wird man nicht zögern dürfen, den in blutigem Ringen erworbenen Provinzen eine andere staatsrechtliche Stellung im Reiche anzuweisen. Die rechtliche Zulässigkeit einer solchen Maßnahme ist unbestreitbar. Zweifelhaft scheint bei der gegenwärtigen politischen Lage ihre praktische Durchführ¬ barkeit, nicht wegen des Widerspruchs, der sich in Elsaß-Lothringen gegen die Lapiti8 äiminutio erheben würde, welche dessen Einverleibung in Preußen oder dessen Aufteilung zwischen mehreren deutschen Bundesstaaten (Preußen, Baden Bayern) mit sich brächte, wohl aber wegen der Widerstände aus dem Reiche selbst. Wird doch heutzutage die bittere staatliche Notwendigkeit, die uns ver¬ wehrt hat, völlige politische Einheit zu erringen, geradezu als ein Vorzug deutschen Staatslebens gepriesen und der Partikularismus, der die Zusammen¬ fassung der politischen Kräfte der Nation verhindert, als derjenige Zustand ver¬ herrlicht, der am besten deutscher Eigenart entspreche! Zudem stellen sich der oben angedeuteten Änderung der staatsrechtlichen Gestaltung der Reichslande nicht nur das bleierne Schwergewicht eines jetzt seit nahezu vierzig Jahren bestehenden Zustandes entgegen, sondern auch andere erhebliche Schwierigkeiten. Werden sich die übrigen Bundesstaaten ohne weiteres damit einverstanden erklären, daß Preußen einen Machtzuwachs erhält, und werden sie nicht Kom¬ pensationen verlangen? Und, falls Elsaß-Lothringen zwischen Preußen, Bayern und Baden aufgeteilt werden sollte, wird es den zuletzt genannten Staaten gelingen, sich ihre neuen Gebietsteile zu assimilieren? So viel Fragen, so viel Zweifel. Und doch stehe ich nicht an, die Zuteilung Elsaß-Lothringens zu Preußen a priori als diejenige Lösung zu bezeichnen, die nicht nur für das Reich selbst, sondern trotz anfänglich zu erwartenden Widerspruchs der Elsaß-Lothringer auch für diese die beste sein würde. Nur durch sie wird endlich der Bevölkerung von Elsaß-Lothringen das seit der Annektion entbehrte stolze und freudige Gefühl wiedergegeben werden, einem großen Kulturstaate anzugehören, nur diese kann die Möglichkeit schaffen, die zahlreichen Elsaß-Lothringer, die sich dem Staatsdienste widmen wollen, dem engen Bannkreis ihrer heimatlichen Ver¬ hältnisse zu entrücken. Nur sie gibt Gewähr dafür, daß die bisher gemachten Fehler in Zukunft unmöglich werden und daß das Zerrbild einer parlamentarischen Negierung, das Elsaß-Lothringen gegenwärtig bietet, verschwindet. Die gegenwärtige politische Lage im Reiche läßt es freilich, wie schon gesagt, wenig wahrscheinlich erscheinen, daß die Reichsregierung den Mut und die Energie finden wird, die Einverleibung Elsaß-Lothringens in Preußen zu

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_315638/602>, abgerufen am 26.08.2024.