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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Die !Vahlrcchtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung

2 000 000 M., sondern nur 1 600 000 M. fallen. Dieser Limitierung. an der
ein großer Teil der Steuerzahler unter 10 000 M. einen Vorteil haben würde,
könnte man aus antiplutokratischen Rücksichten zustimmen. Ja, man könnte
erwägen, ob sie nicht wieder in den Städten nach der Regierungsvorlage auf
5000 M. zurückzuführen wäre.

Was die übrigen vier Forderungen der Nationalliberalen betrifft, so wird
man diese nur in beschränktem Maße als berechtigt anerkennen können. Denn
die Zulassung sämtlicher Einwohner eines Landkreises als Wahlmänner in jedem
Urwahlbezirk desselben -- für die Städte, die einen Wahlkreis bilden, besteht
die Zulassung zu Recht -- hebt tatsächlich die Qualität des Vertrauensmannes
auf und annulliert damit das Wesen der indirekten Wahl. Es liegt dem Vor¬
schlag der Gedanke zugrunde, in einem Urwahlbezirk, in dem sich wegen der
vorherrschenden politischen Richtung maßgebender Persönlichkeiten oder einer
bestimmten Partei aus wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gründen ein An¬
hänger einer anderen Parteirichtung als Wahlmann nicht aufstellen lassen will,
Ersatz an die Hand zu bekommen. Dabei wird aber auch übersehen, daß bei
der allgemeinen Fassung des Antrages dem Übelstande der Weg geebnet wird,
der gerade vermieden werden soll, daß in den Gemeinden von außenwohnenden
Personen eine ähnliche Agitation, wie bei den Reichstagswahlen, hineingetragen
werden kann. Namentlich würde sich die Sozialdemokratie eine solche Bestim¬
mung stark zunutze machen. Anderseits kann ein gewisser Mißstand in den
ländlichen Gegenden, in denen die Auswahl der Wahlmänner'keine allzu große
ist, nach dieser Richtung hin zugegeben werden. Um ihn zu beseitigen, genügt
aber eine Bestimmung, nach welcher es für zulässig erklärt wird, den Wahl¬
mann auch aus den Einwohnern der räumlich angrenzenden ländlichen Urwahl-
bezirke auszuwählen. Die städtischen angrenzenden Urwahlbezirke müßten aber
hiervon mit Rücksicht auf die Sozialdemokratie unbedingt ausgeschlossen bleiben.

Ebenso scheint der nationalliberale Antrag, die Ein- und Zweimänner-
wahlabteilungen durch die Zuweisung von und der Wähler in die erste
bezw. zweite Abteilung zu beseitigen, mit dem Grundsatz des Wahlrechtes nach
Maßgabe der Steuerleistung unvereinbar. Es würden damit ebenso starke
Willkürlichkeiten aufgerichtet werden, wie sie sich durch die Drittelung in Ur-
wahlbezirken eingestellt haben. Und von diesen Willkürlichkeiten sind doch gerade
die Nationalliberalen die heftigsten Gegner. Bei den verhältnismäßig steuerlich
nicht erheblichen Verschiedenheiten im Osten könnte eine solche Maßregel leicht
die Tatsache herbeiführen, daß die gewöhnlichen Handarbeiter und kleinen
Eigentümer schon in der zweiten Abteilung die Mehrheit der Stimmen dar¬
stellten. Aber auch gegenüber dem Grundgedanken dieses Antrages ist zugegeben,
daß die Zulässigkeit der Wahl von einem oder zwei Wahlmännern durch einen
oder zwei Urwähler eine Macht- und Rechtspotenzierung begründet, die um
so mehr zu beschränken sein wird, als in den Städten durch die Maximierung
der anrechnungsfähigen Steuer auf 10 000 M. analoge Fälle auf den Aus-


Die !Vahlrcchtsvorlage und ihre notwendige Ergänzung

2 000 000 M., sondern nur 1 600 000 M. fallen. Dieser Limitierung. an der
ein großer Teil der Steuerzahler unter 10 000 M. einen Vorteil haben würde,
könnte man aus antiplutokratischen Rücksichten zustimmen. Ja, man könnte
erwägen, ob sie nicht wieder in den Städten nach der Regierungsvorlage auf
5000 M. zurückzuführen wäre.

Was die übrigen vier Forderungen der Nationalliberalen betrifft, so wird
man diese nur in beschränktem Maße als berechtigt anerkennen können. Denn
die Zulassung sämtlicher Einwohner eines Landkreises als Wahlmänner in jedem
Urwahlbezirk desselben — für die Städte, die einen Wahlkreis bilden, besteht
die Zulassung zu Recht — hebt tatsächlich die Qualität des Vertrauensmannes
auf und annulliert damit das Wesen der indirekten Wahl. Es liegt dem Vor¬
schlag der Gedanke zugrunde, in einem Urwahlbezirk, in dem sich wegen der
vorherrschenden politischen Richtung maßgebender Persönlichkeiten oder einer
bestimmten Partei aus wirtschaftlichen oder gesellschaftlichen Gründen ein An¬
hänger einer anderen Parteirichtung als Wahlmann nicht aufstellen lassen will,
Ersatz an die Hand zu bekommen. Dabei wird aber auch übersehen, daß bei
der allgemeinen Fassung des Antrages dem Übelstande der Weg geebnet wird,
der gerade vermieden werden soll, daß in den Gemeinden von außenwohnenden
Personen eine ähnliche Agitation, wie bei den Reichstagswahlen, hineingetragen
werden kann. Namentlich würde sich die Sozialdemokratie eine solche Bestim¬
mung stark zunutze machen. Anderseits kann ein gewisser Mißstand in den
ländlichen Gegenden, in denen die Auswahl der Wahlmänner'keine allzu große
ist, nach dieser Richtung hin zugegeben werden. Um ihn zu beseitigen, genügt
aber eine Bestimmung, nach welcher es für zulässig erklärt wird, den Wahl¬
mann auch aus den Einwohnern der räumlich angrenzenden ländlichen Urwahl-
bezirke auszuwählen. Die städtischen angrenzenden Urwahlbezirke müßten aber
hiervon mit Rücksicht auf die Sozialdemokratie unbedingt ausgeschlossen bleiben.

Ebenso scheint der nationalliberale Antrag, die Ein- und Zweimänner-
wahlabteilungen durch die Zuweisung von und der Wähler in die erste
bezw. zweite Abteilung zu beseitigen, mit dem Grundsatz des Wahlrechtes nach
Maßgabe der Steuerleistung unvereinbar. Es würden damit ebenso starke
Willkürlichkeiten aufgerichtet werden, wie sie sich durch die Drittelung in Ur-
wahlbezirken eingestellt haben. Und von diesen Willkürlichkeiten sind doch gerade
die Nationalliberalen die heftigsten Gegner. Bei den verhältnismäßig steuerlich
nicht erheblichen Verschiedenheiten im Osten könnte eine solche Maßregel leicht
die Tatsache herbeiführen, daß die gewöhnlichen Handarbeiter und kleinen
Eigentümer schon in der zweiten Abteilung die Mehrheit der Stimmen dar¬
stellten. Aber auch gegenüber dem Grundgedanken dieses Antrages ist zugegeben,
daß die Zulässigkeit der Wahl von einem oder zwei Wahlmännern durch einen
oder zwei Urwähler eine Macht- und Rechtspotenzierung begründet, die um
so mehr zu beschränken sein wird, als in den Städten durch die Maximierung
der anrechnungsfähigen Steuer auf 10 000 M. analoge Fälle auf den Aus-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/594>, abgerufen am 04.07.2024.