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Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr.

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Weltanschauung, Politik und politische Parteien

richten. Sind nicht die hier gezeichneten Gegensätze beherrschende für das
politische Leben? Was bedeutet gegenüber einer solchen Kluft die Übereinstimmung
in den Fragen der theistisch - teleologischen Weltauffassung für die praktische
Politik? Während die einen Deutschlands Größe und Macht als Hauptziel
ansehen, ihre Stellung zum Monarchen, zu Heer und Marine, zur auswärtigen
Politik, zur Nationalitätenpolitik und in wie vielen anderen Beziehungen dadurch
vorzugsweise bestimmen lassen, werden die anderen, wenn und soweit sie wirklich
von christlichen Gedanken sich leiten lassen, höchstens notdürftig "dem Kaiser
geben, was des Kaisers ist", wobei ihr Haß oder ihre Gleichgültigkeit gegen
Kaiser und Reich das auf ein Minimum reduzieren wird. Es erscheint doch
sehr erwünscht, daß die Geschicke des deutschen Staates nicht dem "Pflichtgefühl",
auch der frömmsten Polen und Protestler, anvertraut sind!

Ganz ähnliches gilt von den Gegensätzen in der Grundauffasstmg des
Staates, einerseits der universalistischen, die die Staatszwecke weit hinaus erstreckt
und den Einzelnen zum Dienste und zur Hingabe an das Ganze bestimmt, die
die Aufgabe der Gegenwart im Dienste der Zukunft steht; anderseits der
individualistischen, die das Jndividium und feine Interessen in den Vordergrund
stellt, den Staat ausschließlich als Wohlfahrtsanstatt sür die Individuen der
Gegenwart zu betrachten geneigt ist. Ergeben sich daraus nicht zahlreiche politisch¬
praktische Folgerungen, was die Staatsverfassung, den Staatsdienst, das Staats¬
bürgerrecht, die Staatslasten, die Staatsausgaben nach außen und innen angeht?
Und können nicht, wie die Geschichte und die Gegenwart beweist, die Vertreter
beider Anschauungen, die in der praktischen Politik meist Antipoden sein müssen,
in gleicher Weise aus dem Boden der christlichen Weltanschauung stehen?

Ein beherrschendes politisches Sammelzeichen bieten ferner die praktischen
Verfafsungsideale der Monarchie und der demokratischen Republik. Aus den:
Boden des teleologischen Theismus, ja der positiven christlichen Sittenlehre kann
ebensowohl der Nonalist wie der Republikaner stehen: sowohl der Politiker, der
das Heil unseres Volkes nur in der Erhaltung der historischen Monarchie sehen
kann, dem daher die Pflege dieser Verfassuugsgrundlage und ihrer Lebens¬
bedingungen ein leitendes Prinzip sein wird, wie auch der Demokrat, der vielleicht
als frommer Christ die Barrikaden nicht besteigen wird, den: aber Deutschlands
Zukunft unweigerlich in der Richtung der Republik zu liegen scheint, und der
daher die politische Arbeit der Gegenwart nur als eine vorbereitende für dieses
Endziel ansieht und gestaltet.

Wir könnten das ganze Staatsleben durchwandern und würden noch vielen
solchen politisch-praktischen, oft der Entwicklung und Wandlung unterworfenen
Idealen begegnen, die die Geister scheiden und die, wie ein Blick in Geschichte
und Gegenwart lehrt, tatsächlich, neben und über den Klassen und den materiellen
Interessen, ein sehr wesentliches Element der Parteibildung und Gruppierung
send. Und sie alle vertragen sich regelmäßig mit der theistisch-teleologischen,
der christlichen Weltanschauung!


Weltanschauung, Politik und politische Parteien

richten. Sind nicht die hier gezeichneten Gegensätze beherrschende für das
politische Leben? Was bedeutet gegenüber einer solchen Kluft die Übereinstimmung
in den Fragen der theistisch - teleologischen Weltauffassung für die praktische
Politik? Während die einen Deutschlands Größe und Macht als Hauptziel
ansehen, ihre Stellung zum Monarchen, zu Heer und Marine, zur auswärtigen
Politik, zur Nationalitätenpolitik und in wie vielen anderen Beziehungen dadurch
vorzugsweise bestimmen lassen, werden die anderen, wenn und soweit sie wirklich
von christlichen Gedanken sich leiten lassen, höchstens notdürftig „dem Kaiser
geben, was des Kaisers ist", wobei ihr Haß oder ihre Gleichgültigkeit gegen
Kaiser und Reich das auf ein Minimum reduzieren wird. Es erscheint doch
sehr erwünscht, daß die Geschicke des deutschen Staates nicht dem „Pflichtgefühl",
auch der frömmsten Polen und Protestler, anvertraut sind!

Ganz ähnliches gilt von den Gegensätzen in der Grundauffasstmg des
Staates, einerseits der universalistischen, die die Staatszwecke weit hinaus erstreckt
und den Einzelnen zum Dienste und zur Hingabe an das Ganze bestimmt, die
die Aufgabe der Gegenwart im Dienste der Zukunft steht; anderseits der
individualistischen, die das Jndividium und feine Interessen in den Vordergrund
stellt, den Staat ausschließlich als Wohlfahrtsanstatt sür die Individuen der
Gegenwart zu betrachten geneigt ist. Ergeben sich daraus nicht zahlreiche politisch¬
praktische Folgerungen, was die Staatsverfassung, den Staatsdienst, das Staats¬
bürgerrecht, die Staatslasten, die Staatsausgaben nach außen und innen angeht?
Und können nicht, wie die Geschichte und die Gegenwart beweist, die Vertreter
beider Anschauungen, die in der praktischen Politik meist Antipoden sein müssen,
in gleicher Weise aus dem Boden der christlichen Weltanschauung stehen?

Ein beherrschendes politisches Sammelzeichen bieten ferner die praktischen
Verfafsungsideale der Monarchie und der demokratischen Republik. Aus den:
Boden des teleologischen Theismus, ja der positiven christlichen Sittenlehre kann
ebensowohl der Nonalist wie der Republikaner stehen: sowohl der Politiker, der
das Heil unseres Volkes nur in der Erhaltung der historischen Monarchie sehen
kann, dem daher die Pflege dieser Verfassuugsgrundlage und ihrer Lebens¬
bedingungen ein leitendes Prinzip sein wird, wie auch der Demokrat, der vielleicht
als frommer Christ die Barrikaden nicht besteigen wird, den: aber Deutschlands
Zukunft unweigerlich in der Richtung der Republik zu liegen scheint, und der
daher die politische Arbeit der Gegenwart nur als eine vorbereitende für dieses
Endziel ansieht und gestaltet.

Wir könnten das ganze Staatsleben durchwandern und würden noch vielen
solchen politisch-praktischen, oft der Entwicklung und Wandlung unterworfenen
Idealen begegnen, die die Geister scheiden und die, wie ein Blick in Geschichte
und Gegenwart lehrt, tatsächlich, neben und über den Klassen und den materiellen
Interessen, ein sehr wesentliches Element der Parteibildung und Gruppierung
send. Und sie alle vertragen sich regelmäßig mit der theistisch-teleologischen,
der christlichen Weltanschauung!


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[0497] Weltanschauung, Politik und politische Parteien richten. Sind nicht die hier gezeichneten Gegensätze beherrschende für das politische Leben? Was bedeutet gegenüber einer solchen Kluft die Übereinstimmung in den Fragen der theistisch - teleologischen Weltauffassung für die praktische Politik? Während die einen Deutschlands Größe und Macht als Hauptziel ansehen, ihre Stellung zum Monarchen, zu Heer und Marine, zur auswärtigen Politik, zur Nationalitätenpolitik und in wie vielen anderen Beziehungen dadurch vorzugsweise bestimmen lassen, werden die anderen, wenn und soweit sie wirklich von christlichen Gedanken sich leiten lassen, höchstens notdürftig „dem Kaiser geben, was des Kaisers ist", wobei ihr Haß oder ihre Gleichgültigkeit gegen Kaiser und Reich das auf ein Minimum reduzieren wird. Es erscheint doch sehr erwünscht, daß die Geschicke des deutschen Staates nicht dem „Pflichtgefühl", auch der frömmsten Polen und Protestler, anvertraut sind! Ganz ähnliches gilt von den Gegensätzen in der Grundauffasstmg des Staates, einerseits der universalistischen, die die Staatszwecke weit hinaus erstreckt und den Einzelnen zum Dienste und zur Hingabe an das Ganze bestimmt, die die Aufgabe der Gegenwart im Dienste der Zukunft steht; anderseits der individualistischen, die das Jndividium und feine Interessen in den Vordergrund stellt, den Staat ausschließlich als Wohlfahrtsanstatt sür die Individuen der Gegenwart zu betrachten geneigt ist. Ergeben sich daraus nicht zahlreiche politisch¬ praktische Folgerungen, was die Staatsverfassung, den Staatsdienst, das Staats¬ bürgerrecht, die Staatslasten, die Staatsausgaben nach außen und innen angeht? Und können nicht, wie die Geschichte und die Gegenwart beweist, die Vertreter beider Anschauungen, die in der praktischen Politik meist Antipoden sein müssen, in gleicher Weise aus dem Boden der christlichen Weltanschauung stehen? Ein beherrschendes politisches Sammelzeichen bieten ferner die praktischen Verfafsungsideale der Monarchie und der demokratischen Republik. Aus den: Boden des teleologischen Theismus, ja der positiven christlichen Sittenlehre kann ebensowohl der Nonalist wie der Republikaner stehen: sowohl der Politiker, der das Heil unseres Volkes nur in der Erhaltung der historischen Monarchie sehen kann, dem daher die Pflege dieser Verfassuugsgrundlage und ihrer Lebens¬ bedingungen ein leitendes Prinzip sein wird, wie auch der Demokrat, der vielleicht als frommer Christ die Barrikaden nicht besteigen wird, den: aber Deutschlands Zukunft unweigerlich in der Richtung der Republik zu liegen scheint, und der daher die politische Arbeit der Gegenwart nur als eine vorbereitende für dieses Endziel ansieht und gestaltet. Wir könnten das ganze Staatsleben durchwandern und würden noch vielen solchen politisch-praktischen, oft der Entwicklung und Wandlung unterworfenen Idealen begegnen, die die Geister scheiden und die, wie ein Blick in Geschichte und Gegenwart lehrt, tatsächlich, neben und über den Klassen und den materiellen Interessen, ein sehr wesentliches Element der Parteibildung und Gruppierung send. Und sie alle vertragen sich regelmäßig mit der theistisch-teleologischen, der christlichen Weltanschauung!

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 69, 1910, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341891_314996/497>, abgerufen am 04.07.2024.